Die Kapelle in Wittdün und ihr eigenartiger Altaraufsatz


Nachdem im Jahre 1890 auf der bis dahin unbewohnten Amrumer Süd­spitze Wittdün zunächst durch den einheimischen Kapitän und Strand­vogt Volkert Quedens, dann in den Jahren ab 1892 durch den aus Tondern stammenden Hotelier Heinrich Andresen, ein kompletter Badeort, genannt nach der Südspitze Wittdün, errichtet worden war, stellte sich bald die Frage nach einer kirchlichen Betreuung der Kurgäste bzw. nach Gottesdiensten. Diese wurden zunächst im Direktionsgebäude der Aktiengesellschaft (heute Haus Daheim im Zentrum an der Inselstraße) gehalten. kapelle_web_zweiAber im Februar 1902 bot Heinrich Andresen namens der Aktiengesellschaft der St. Clemens-Gemeinde Amrum eine Parzelle an der Hauptstraße von Wittdün kostenlos an, mit der Maßgabe, hier eine Kapelle für den Gottesdienst während der Sommersaison zu bauen. Die Direktion der Aktiengesellschaft verpflichtete sich ferner, für einen Teil der Ausstattung, Altar, Kanzel und Glocke, zu sorgen. Den Zuschlag für den Kapellenbau, veranschlagt auf 13.000 Mark, er­hielt die Fa. Stocks aus Kiel, die für eine Summe von 11.000 Mark (im Ge­gensatz zu heute kam es seinerzeit häufig vor, dass die tatsächlichen Baukosten unter der veranschlagten Summe blieben!) den Kapellenbau ausführte. Zu Pfingsten des Jahres 1903 konnte die Wittdüner Kapelle durch den Inselpastor Carl Friedrich Meyer eingeweiht werden. Aller­dings stellte sich bald heraus, dass die Fa. Stocks zum Anmischen des Mörtels auch Sand aus dem nahen Watt verwendet hatte, der einen ent­sprechenden Salzgehalt hatte, so dass die dadurch bald entstehenden Bauschäden durch die hiesige Baufirma Heinrich Behrens (die fast alle Häuser auf Wittdün, aber auch auf der übrigen Insel, darunter den Turm der St. Clemens-Kirche, errichtet hatte) behoben werden mussten.

Altarblatt mit Strandungsfall
In den folgenden Jahren wurde die Ausstattung der Kapelle weiter ver­vollständigt: “Die hochherzige Stiftung einer Dame, die hier länger als Kurgast weilte”, ermöglichte den Einbau einer Orgel. Und der Kauf­mann Franz Schiller aus Flensburg stiftete den Taufstein und war Initiator des Kronleuchters und der Seitenlichter. Ungewöhnlich für eine Kirche aber ist der Altaraufsatz, dessen drei Felder keine bib­lischen Szenen, sondern den Amrumer Leuchtturm mit dem Spruch “Ich bin das Licht des Lebens” sowie einen dramatischen Strandungsfall und den Einsatz eines Rettungsbootes zeigen, gemalt von Professor Nicolaus Soltau (1877 – 1956), der etliche Jahre Kurgast auf Amrum war und im Hotel “Vier Jahreszeiten” bei Pine und Carl Quedens wohn­te. Das linke Blatt zeigt einen gesunkenen Dampfer, über den die Bran­dung hinwegschäumt und dessen Besatzung sich in den Mast gerettet hat. Über dem gesunkenen Dampfer leuchtet im dunklen Himmel ein Kreuz, und unter dem Bild steht der Vers: RUFE MICH AN IN DER NOT; SO WILL ICH DICH RETTEN; SO SOLLST DU MICH PREISEN. Der rechte Flügel zeigt das herannahende Rettungsboot, offenbar die “Hermann Frese” der Sta­tion Amrum-Süd, Vormann Carl Quedens.dsc_0023
Vermutlich beziehen sich diese beiden Altarbilder auf einen Vorfall mit unmittelbarer Beteiligung von Carl Quedens. Dabei handelt es sich um die Strandung des Hamburger Dampfers “Albis” am 24. November 1922. Die 18köpfige Besatzung wäre ohne den mutigen Einsatz des Wittdüner und des Norddorfer Rettungsbootes verloren gewesen. Das Rettungsboot der Station Süd rettete zunächst 9 Mann, die halbtot nach Wittdün ge­bracht wurden, während die andere Hälfte der Besatzung am Tage darauf vom Norddorfer Rettungsboot “Picker”, Vormann Gerret Peters, aus un­mittelbarer Lebensgefahr gerettet wurde. Und unter den Geretteten be­fand sich auch der DGzRS-Vormann Carl Quedens. Er war nämlich auf den gesunkenen Dampfer übergesprungen, um die Möglichkeit einer eventuellen Bergung zu erkunden – in der Tradition seines Vaters Volkert, der als Strandvogt und Vormann an die 30 gestrandeten Schiffe geborgen und hohe Bergelöhne kassiert hatte. Dieses Ziel verfolgte auch der Sohn Carl und musste nun unfreiwillig die Nacht mit der schiffbrüchi­gen Restbesatzung auf dem gesunkenen und verlorenen Dampfer verbrin­gen, weil das Rettungsboot “Hermann Frese” wegen der hohen Brandung nach der ersten Rettungsfahrt nicht wieder eingesetzt werden konnte. Das Norddorfer Rettungsboot bekam für den todesmutigen Einsatz und die Rettung der übrigen 9 Männer sowie des Vormannes Carl Quedens von der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger die “Prinz Heinrich – Rettungsmedaille”, während sich der Vormann der “Hermann Frese” “eine solche um die Nase wischen konnte”, wie Carl Quedens in seiner Familienchronik bitter vermerkte. Aber offenbar wurde ihm seitens der DGzRS sein Geschäftssinn, Bergung und Bergelohn mit seiner Aufgabe als Rettungsmann der DGzRS zu verbinden, verübelt. Im Gefolge weiterer Differenzen mit dem Vorstand der Rettungsgesell­schaft in Bremen wurde Carl dann auch 1923 von seiner Aufgabe als Vormann entbunden.
Möglich ist aber auch, dass Professor Soltau als Vorbild für das obige Altarblatt die Strandung und den Untergang des norwegischen Dampfers “Frida” am 10. Oktober 1890 genommen hat. Unter dramatischen Umständen rettete der Amrumer Tonnenleger Gerret Ricklefs die Besatzung des Dampfers, 11 Mann, und erhielt dafür die höchsten Auszeichnungen der deutschen Rettungsgesellschaft und des Königreiches Norwegen. Carl Quedens hatte die Altarflügel allerdings 1929 zusammen mit sei­ner Frau Pine gestiftet, und es ist kaum anzunehmen, dass Professor Soltau einen anderen Strandungs- und Rettungsfall zum Vorbild genom­men hat als jenen, an dem Carl Quedens unmittelbar beteiligt gewesen war. Der Wittdüner Hotelier hatte sich in seinem Eifer als Schiffsberger allerdings umsonst bemüht. Der Dampfer “Albis”, Kapt. Kucker, ging to­tal verloren. Bergungsversuche wurden nicht mehr unternommen. Aber nur ein Jahr später, 1923, sollte Carl noch ein Meisterstück seiner Bergefähigkeiten liefern, als er den gekenterten Rumpf des deutschen Motor­schoners “Hermina” mittels Verankerung von Sturmflut zu Sturmflut über den Kniepsand bei Wittdün beförderte, so dass der Rumpf durch eine Hamburger Taucherfirma 1926 wieder aufgerichtet und neu betakelt werden konnte. Unter wechselnden Namen war das Schiff dann noch bis 1974 in Fahrt. Es hatte bald nach der Strandung aber den Na­men “Totenschiff” erhalten, weil Carl Quedens, als er über eine Sand­auskolkung in das Innere der “Hermina” kriechen konnte, zwei Skelette der komplett ums Leben gekommenen Besatzung fand.

Georg Quedens

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