Im “Sonnenau” tummeln sich die Handwerker


Am strandnahe gelegenen großen Gebäude der AOK Nordseeklinik für Mutter und Kind, im Hause “Sonnenau”, sind draußen und drinnen seit Monaten die Handwerker zugange. Es geht um eine neue Fassadenverkleidung, vor allem aber um die Grundrenovierung im Inneren über vier Etagen des unverändert weitgehend aus Holz bestehenden Hauses. Dabei bleibt die äußere Form aber originalgetreu erhalten.

Das Seehospiz II, 1893

“Sonnenau”, wie es heute heißt, oder “Hospiz II”, wie es die älteren Insulaner noch kennen, verzeichnet eine bemerkenswerte Geschichte. Und diese beginnt mit dem Engagement der Westfälischen Diakonissen­anstalt “Sarepta” in Bethel bei Bielefeld unter der Leitung von Pa­stor Friedrich von Bodelschwingh (1831 – 1910).

Diesen hohen Herren, durch seine sozialen Werke im Deutschen Reich sehr bekannt, hatten die Amrumer –   vornean der Inselpastor Tamsen – gerufen, damit er auf Amrum im Trubel des sich an deutschen Küsten ausbreitenden Frem­denverkehres “die frommen Sitten und den Vaterglauben” bewahren mö­ge. Zu diesem Zweck wurde dem “Seehospiz”, wie es kurz genannt wurde, ein umfangreiches Terrain nördlich von Norddorf zunächst verpachtet und später verkauft. Dort entstand 1890 das Seehospiz I. Aber als dann angesichts des Andranges kauflustiger Interessenten und deren Gelder in der Gemeindevertretung alle frommen Vorsätze vergessen wurden und ein überschwenglicher Verkauf von Hektar um Hektar Inselland auf Wittdün und auf der Westerheide an der Sattel­düne bei Nebel begann, erwarb das Seehospiz in weiser Voraussicht und zur Sicherung seiner Arbeit in Norddorf weitere umfangreiche Landflächen vom westlichen Dorfrand längs des Dünenrandes bis fast hin zum Strande und hatte damit zumindest die bauliche Entwicklung und das Fernhalten anderer Interessenten in seiner Hand. Das erste Hospiz öffnete sich christlich gesonnenen Erholungsgästen frei von gesellschaftlichen Konventionen und dem entsprechenden “Brimborium” jener Zeit. Und diese Art des Fremdenverkehres fand im Deutschen Reich einen derartigen Zuspruch, dass sich das Hospiz vor Anfragen kaum retten konnte. Selbst hohe und allerhöchste Herrschaf­ten suchten nun diese ganz auf Erholung ausgerichtete “Sommerfrische” (wie die Ferien an der See genannt wurden), so auch Prinzessin Irene Heinrich, Gattin von Prinz Heinrich (dem Bruder des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II.) sowie Prinz Heinrich höchstselbst, die ungeachtet der eher primitiven Umstände Besucher im Seehospiz waren.
Die Prinzessin übernahm 1893 sogar das Patronat für das Seehospiz. Und das hatte angesichts der hohen Verehrung für die damalige Herr­schaft im Deutschen Reich eine unvorstellbare Reklamewirkung.

Das Seehospiz II
Weil die Nachfrage kaum noch zu bewältigen war, wurde in der Verwal­tung des Seehospizes bald über einen weiteren Bau nachgedacht. Es stellten sich allerdings Zweifel über die weitere Arbeit ein, weil es inzwischen einem Interessenten gelungen war, in Norddorf Fuß zu fassen – dem Eisenbahnsekretär Heinrich Hüttmann, der das klei­ne reetgedeckte Schulhäuschen erworben hatte, um darin ein Hotel mit Tanz und Theke einzurichten. Nach der 1940 gedruckten Festschrift “50 Jahre Christliches Seehospiz auf Amrum” von Dr. Bode soll Pastor Bodelschwingh der Gemeinde Amrum (damals Gesamtgemeinde) gedroht ha­ben, mit dem Seehospiz nach der ostfriesischen Insel Baltrum umzu­siedeln, was einen wesentlichen wirtschaftlichen Nachteil für Norddorf bzw. Amrum bedeutet hätte, hatte doch das Seehospiz auch die Häuser in Norddorf in die Belegung mit Sommergästen einbezogen und damit mancher Seemannswitwe zu einer kleinen Einnahme verholfen. Im Gemeinderatsprotokoll ist von einer Auseinandersetzung jedoch nichts vermerkt. Heinrich Hüttmann baute sein Hotel auf, und die West­fälische Diakonissenanstalt errichtete 1893 das Seehospiz II. Auf ei­ner Sitzung im Dezember 1892 hieß es dazu: “Wir wollen zwischen Norddorf und dem Rettungsbootschuppen einen Speisesaal für Gäste mit entschieden christlicher Hausordnung versehen, so dass ein Pastor hier im Sommer Wohnung nimmt. Nur so können wir Norddorf vor weiterer Versumpfung und Überflutung schützen. Die Sache ist doch nicht ganz ohne Wichtigkeit für das Reich Gottes”.
Ein Hamburger Architekt lieferte den Bauplan, und im Frühjahr 1893 wuchs das Gebäude mit vier Etagen, einem Speisesaal und zahlreichen Gästezimmern in die Höhe. Der Holzbau war mit handwerkli­cher Zier geschmückt und trug auf dem Dach einen Rundbalkon mit wei­ter Aussicht über die Insel nach Sylt und Föhr, gekrönt von einem Turm mit Glocke. Die Glocke rief die Hospizgäste zum Gottesdienst, der im Speisesaal stattfand (erst 1929 kam mit Hilfe des Seehospizes das großzügige “Gemeindehaus” mit dem großen Veranstaltungssaal zustande). Ein Prospekt des Jahres 1897 verrät, dass sich im Seehospiz II neben Speisesaal und vorgebauten Veranden 40 Zimmer für etwa 100 Gäste befanden. Und wie beschrieben, alles aus Holz. Nur der Anbau nach Südwesten mit der Küche und Personalzimmern war aus Stein.
Das Hospiz II war damit bis zum Jahre 1911 das “Flaggschiff” der Seehospize und wurde oft das “Pastorale” genannt. Erst nach dem Bau des großen “Ambronenhauses” 1911 wurde es von diesem übertroffen.
Die Seehospize standen unter der Leitung von Diakonissen, die ihre Arbeit wohl verstanden und die auch ein Hotel hätten leiten können, was die Seehospize in gewisser Weise ja auch waren. Unvergessen sind aus den Nachkriegsjahrzehnten Schwester Emma Jühe (1954-1965) oder Schwester Edith Hauthal (1969 – 1989).
Das Seehospiz II hat nun über ein Jahrhundert seine äußere Form be­wahrt. Nur der Aussichtsbalkon mit dem Glockenturm ist zu unbekann­ter Zeit, jedenfalls noch vor den 1930er Jahren verschwunden, vermut­lich auch infolge der Anfälligkeit für Wind und Wetter. Auch im Inne­ren blieb die Holzkonstruktion dank der verwendeten Qualität des Hol­zes erhalten, manche Räumlichkeiten, so der Speisesaal, bis in die jüng­ste Zeit. Nur die Decke wurde wegen der Beheizung aus der Höhe “her­untergeholt”. So kam das Seehospiz II auch durch die beiden Weltkrie­ge ohne Militärbelegung. Nur auf den hohen Dünen im Südwesten wurde ein Beobachtungsstand gebaut. Hier hauste ein Herr Hagendefeld, der sich aber offenbar mehr für das Eiersuchen im Norddorfer Revier als für die Meldung der einfliegenden alliierten Bomberflotten interes­sierte. Jedenfalls bemerkte er nicht, dass in der Nacht vom 7.  auf den 8. September 1941 nur 200 Meter entfernt ein britischer Bomber, Vickers Wellington, auf der Fleeghamheide notlandete und vom Piloten, der an­schließend in das Dorf spazierte und dort als Kriegsgefangener fest­genommen wurde, in Brand gesteckt wurde. Die übrige Besatzung war schon vorher aus dem durch Flakbeschuss beschädigten Bomber über dem Fest­land mit dem Fallschirm abgesprungen.

Erst gegen Kriegsende wurde das Ho­spiz II für eine kurze Zeit mit Nachrichtenhelfern, sogenannten “Blitz­mädchen” belegt. Ostflüchtlinge und Vertriebene musste das große Haus aber nicht aufnehmen. Es war dazu mangels Beheizung auch nicht geeignet, da es ja nur für die Sommersaison gedacht war. Dafür aber wurde das große “Ambronenhaus” bis unter das Dach ab Februar 1945 mit Flüchtlingen aus dem deutschen Osten belegt und war dann nach deren Umsiedlung 1950 in einem derartigen Zustand, dass es für die folgenden Jahre nur als Jugendfreizeitheim genutzt werden konnte. Das Seehospiz II aber konnte wenige Jahre nach Kriegsende seine Tü­ren wieder für Sommergäste öffnen. Dabei behielt dieses Haus noch seinen originalen Charakter mit den knarrenden Treppenstufen und den unverwüstlichen Fußbodendielen. Erst in den 1990er Jahren erfolgte die Renovierung und der Einbau von “Nasszellen”. Und die Holzfassade wurde mit Plastikplatten verkleidet.

Aber ansonsten hielt das Seehospiz II den Veränderungen durch grund­legende An- und Umbauten hinsichtlich der äußeren Silhouette stand. Bis heute! Das große Haus hat nur den Namen gewechselt. Im Jahre 1990 gab die Westfälische Diakonissenanstalt Sarepta nach der Feier zum 100jährigen Bestehen ihre Arbeit auf Amrum auf und verkaufte das um­fangreiche Gewese für die unvorstellbar niedrige Summe von 12 Milli­onen Deutsche Mark an den deutschgebürtigen schwedischen Unternehmer Siegfried Dath. Und dieser war mit der bekannten Kinderbuchautorin Astrid Lindgren befreundet, die bereit war, die Patenschaft für die Hospize zu übernehmen. Diese erhielten aber neue Namen, benannt nach den Titeln der Lindgren-Bücher. Aus dem Ambronenhaus wurde “Saltkrokan”, aus dem Seehospiz II “Sonnenau”. Die Hospize III und IV hießen nun “Ronja” bzw. “Birkenlund“. Allerdings waren die Hospize schon einige Jahre vorher von ihren profanen Namen befreit worden und hießen in der obigen Reihenfolge „Ambronenhaus“, „Bodelschwingh-Haus“, Tamsen-Haus“ (benannt nach dem Inselpastor Wilhelm Tamsen, der 1888 Pastor Bodelschwingh für die Gründung eines christlichen Seehospizes nach Amrum gerufen hatte) und „Böle Bonken-Haus“ (benannt nach einem überfrommen Küster und Lehrer auf Amrum in den 1880/90er Jahren).
Aber der nicht mehr ganz junge Dath war mit der erfolgreichen Füh­rung des größten Amrumer Fremdenverkehrunternehmens offenbar über­fordert, stellte den Betrieb zunächst auf Mutter und Kind-Kuren um und verkaufte schließlich im Jahre 1993 alles mit “Kind und Kegel” für 25 Millionen DM an ein Konsortium von Kurklinikbetreibern (Rehasan) aus Köln.

Die gegenwärtige Grundrenovierung wird auch am äußeren Bild wenig än­dern. Sie bezieht sich auf die Innengestaltung, wo nach einer Forderung der Belegstellen Mutter und Kinder in getrennten Räumen untergebracht werden müssen. Dadurch gehen zwangsläufig einige Appartements verloren, so dass das Haus “Sonnenau“ nach Abschluß der Arbeiten noch über 18 Appartements verfügt.

Baustelle “Sonnenau”

Aber nicht nur im Haus “Sonnenau” brummt es von handwerklicher Tätigkeit. Auch das ehemalige Seehospiz III, alias Tamsen und jetzt „Haus Ronja“ beschäftigt Scharen von Handwerkern. Hier wird im ehemals geräumigen Speisesaal eine weitere Wohnetage für Räumlichkeiten für Mutter und Kind eingezogen und damit die durch die „Zweiraumforderung“ im „Sonnenau“ reduzierte Nutzung ausgeglichen.
Beide Bauvorhaben sind ein Beweis für das Engagement des Rehasan-Kurkonzernes und ein positiver Faktor für den ganzjährigen Fremdenverkehr im Nordseebad Norddorf.

Georg Quedens

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