Kunst-Flaggen im Wind


Mit neuen künstlerischen Projekten startet der Kunstverein Amrum in den Sommer. Schon in den letzten beiden Jahren haben sich internationale Künstler/innen rund um den Nebeler Strand nicht nur inspirieren lassen, sondern auch vor Ort ihre Werke ausgestellt. Entlang des Bolenweges Richtung Wasser werden die Besucher des Strandes von Flaggenmasten begleitet, an deren Spitze bedeutende Kunstwerke im Wind wehen und den Naturgewalten trotzen. Diesjährige Kuratorin Valeska Hageney hat zusammen mit Kalle Wruck und Philipp Ricklefs, die beiden Initiatoren des Kunstvereins, diese gen Himmel gezogen. Das Thema der Flaggenausstellung „Flucht und Vertreibung aus der Heimat“ wurde vielseitig von den Künstlern dabei umgesetzt, das Valeska Hageney in Worte fasst:

Zeigen Flagge…
Kalle Wruck, Valeska Hageney und Philipp Ricklefs

Die Insel Amrum zieht im Sommer viele Menschen an. Der Strand wird zur wichtigsten Austausch- und Begegnungsstätte aller Insulaner und Sommergäste. Daher findet die saisonale Ausstellung nicht im üblichen Rahmen einer institutionellen Präsentation statt, sondern zeichnet sich der Kunstverein Amrum dadurch aus, die Ausstellung dort zu präsentieren, wo sich die Gäste und Einheimischen am ehesten aufhalten und die gezeigten Werke 24h sichtbar sind: Am Strand. 

Die letzten beiden Jahre stand der Fokus der Ausstellung eher im reinen Format der Flagge und weniger in ihrer Symbolkraft. Dieses Jahr haben wir sechs Künstler eingeladen, die in ihrer künstlerischen Praxis sowohl politischen, zivilgesellschaftlichen und kulturellen Fragestellungen nachgehen und ggf. schon einmal mit dem Format der Flagge experimentiert haben. Teilnehmende Künstler in diesem Jahr sind: Jeanno Gaussi, Andrew Gilbert, Manaf Halbouni, Jeewi Lee, Jonathan Meese und Lukas Troberg. Bei den Flaggen wird die Auseinandersetzung mit Identität, Nationalität und Heimatverbundenheit verarbeitet.

Die Flagge von Jeanno Gaussi (in Kabul geboren, dort und in Neu Delhi und Berlin aufgewachsen) ist als solches im ersten Augenblick nicht zu erkennen. Sie ist eingerollt und wird von Gurten, die im Wind wehen, zusammengehalten. Sie Symbolkraft dieses Aktes ist sehr stark, signalisiert sie doch eine temporäre Nichtexistenz. Da der Flagge nun der kommunikative Bildträger fehlt, ist die Zugehörigkeit nicht mehr zu erkennen. Die zusammengerollte Flagge deutet auch auf eine Reise oder das Verlassen der Zugehörigkeit hin. Die Assoziation zu Flüchtlingen liegt nahe. Sie verlassen ihre Heimat, nicht wissend ob sie jemals in ihr Land zurückkehren werden oder was aus ihrer Heimat werden wird. Die meisten von ihnen werden wohl Heimatlos werden und keine Zugehörigkeit mehr haben. Jeanno Gaussis Werke beschäftigten sich mit der Frage der kulturellen Identität und der Speicherung von Erinnerungsfragmenten. Ihr multikultureller Hintergrund hat einen großen Einfluss auf ihre künstlerische Arbeit.

Das Thema Krieg, Flucht und Verlust der Heimat beschäftigt den deutsch-syrischen Künstler Manaf Halbouni (1984 in Syrien geboren), der 2008 als Nicht-Flüchtling von Syrien nach Deutschland kam. Er weiß was es bedeutet sein Zuhause aufzugeben. Viel schmerzhafter jedoch, weiß er, was es bedeutet, nicht in die Heimat zurückkehren zu können. Die Suche nach der Bedeutung “was ist Heimat” stellt Halbouni sich nicht nur persönlich, sondern auch in seinen Kunstwerken.

Die Flaggen werden vorbereitet…

Auf der Flagge Now – Here is Home ist ein Kleinwagen, vollgepackt mit Habseligkeiten, zu sehen. Auf dem Gepäckträger finden sich ein Fahrrad, ein Kasten Radeberger Bier, ein Reisekoffer, zusammengerollte Teppiche und anderer Hausrat, alles sicher mit Spanngurten verschnürt. Sind es vielleicht diese Gegenstände, die ein Deutscher auf einer Flucht mitnehmen würde? Das mit persönlichem Besitz beladene Auto wird in einen Wohnraum verwandelt, der aber niemals in der Lage sein wird die Heimat zu ersetzen geschweige denn irgendwo Wurzeln zu schlagen. Halbounis Arbeit steht für den Verlust aber auch für die Hoffnung der weltweit über 50 Millionen Vertriebenen, die oftmals gezwungen sind, schnellstmöglich ein paar Habseligkeiten auf das eigene Auto zu packen, bevor sie den Krieg, Naturkatastrophen oder Konflikten entkommen müssen.

Doch nicht alle Künstler gehen mit dem Thema Nationalität und Herkunft von sich selber aus, wie die Flagge des Künstlers Lukas Troberg. Für seine Flagge bedient Troberg sich einer Strophe eines friesischen Heimatliedes in Öömrang, welches auf Amrum (Nebel) in Stein gemeißelt ist. leewen mei din aard bestun! bedeutet zu Deutsch “immer möge deine Art bestehen!”. Das hier verwendetet Öömrang ist ein Dialekt der nordfriesischen Sprache, der auf der Insel Amrum zwar noch gesprochen wird, jedoch immer mehr an Bedeutung verliert. Für immer mehr Insulaner ist die erste Sprache Hochdeutsch, das kulturelle Spracherbe wird oftmals nicht mehr weitergegeben. Mit dem Satz “immer mögel deine Art bestehen!” spielt Troberg genau auf dieses (Sprach-)Verfall an. Das längliche Format der Flagge verstärkt diesen Verfall, da sie dadurch, bedingt durch den heftig wehenden Wind, am ehesten sich auflösen wird. Ebenso wie die Flagge so wird auch das Öömrang und die sprachliche Heimatverbundenheit der Amrumer immer mehr schwinden. Das letzte was zu sehen sein wird ist der # (hashtag), dem Symbol der neuen Sprache und digitalen Kommunikation.

Alle Künstler sind eher kritische Beobachter aktueller politischer Geschehnisse und globaler Veränderungen – ihre Flaggen sollten uns Betrachter als Signalwesen dienen und Gedankenanstoß sein auch wenn wir unseren Sommer auf einer idyllischen kleinen Insel verbringen, wo die Welt noch in Ordnung zu sein scheint.”

Dieses und weitere Projekte gibt es unter www.kunstverein-amrum.de

Fotos Sandra Hermannsen

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Über Kinka Tadsen

Kinka Tadsen erblickte 1972 in Hamburg das Licht der Welt. Aufgewachsen ist sie dann auf Amrum. Abitur hat sie auf Föhr gemacht und sich für eine Fotografenlehre in Bad Oldesloe entschieden. Fotografen- und Lebenserfahrung hat sie in der großen weiten Welt auf diversen Kreuzfahrtschiffen als Bordfotografin gesammelt. 2003 folgte dann die Rückkehr nach Amrum. Seit 2008 gehört sie als freie Journalistin zum Amrum-News Team.

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