Ein Ausflug zur Hallig Habel


„Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß. Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren, und auf den Fluren lass die Winde los.“

Wer wollte dem Dichter Rainer Maria Rilke widersprechen nach diesem schier endlosen Sommer, in dem der Verein Jordsand sein 111-jähriges Bestehen feierte? 111 öffentliche Veranstaltungen machten im Jubiläumsjahr auf den Schutz der Seevögel und der Natur aufmerksam. Allein im Naturschutzgebiet Amrum Odde erlebten rund 500 Gäste am Tag der Offenen Tür großartige Naturfotografien, spannende Vorträge und Wanderungen. (Amrum News berichtete.)

Eine ganz besondere Exkursion führte am 9.9. von Schlüttsiel in den Nationalpark Wattenmeer. Es ging per Schiff zur Hallig Habel, der kleinsten nordfriesischen Hallig. Habel ist Brut-und Rastgebiet vieler Seevögel und wird wie die Amrumer Nordspitze, Norderoog und Südfall vom Verein Jordsand betreut. Hallig Habel liegt in Schutzzone I des Wattenmeeres und darf von der Allgemeinheit nicht betreten werden, sondern nur von den angemeldeten Vogelwärtern der Schutzstation. Im Rahmen des Jubiläumsjahres wurde eine sehr seltene Ausnahme gemacht und so bot sich zum Ausklang des Sommers die Gelegenheit, dieses einzigartige Fleckchen Erde einmal zu besuchen und auch Sie, liebe Leserinnen und Leser, in Wort und Bild daran teilhaben zu lassen.

Bei auflaufend Wasser ging es los. Kapitän Uwe Petersen führte die kleine Gruppe auf dem Motorschiff „Rungholt“ (Heimathafen Oland) fachkundig durch das Halligmeer. Mit an Bord: Fachleute aus dem Natur- und Küstenschutz, die viel Interessantes beizutragen hatten, weil sie beruflich mit Habel verbunden oder als „Jordsandler“ selbst Vogelwart dort waren. So wie Mario Radloff, der 1996 als Zivildienstleistender viele Monate auf der einsamen Hallig verbrachte und anschließend sieben Jahre jede Saison beim Auf- und Abbau half. Als Familienvater engagiert er sich inzwischen anderweitig im Verein, aber die Liebe zu diesem kleinen Stückchen Erde blieb.

Für den langjährigen Westküsten-Referenten des Vereins Jordsand, Bernd-Dieter Drost, und seine Frau Helene war es die vorletzte Fahrt nach Habel. Seine Aufgabe übernimmt Stefan Wolff, der Hallig Habel künftig betreuen wird und sich vor Ort gleich einen ersten Eindruck verschaffen konnte. Auch für Peter und Helga Kämpfer war es ein Abschied. Als Vogelwart hatte Peter die letzten neun Sommer auf Habel verbracht, seine Frau sieben. Sie würden die Fahrt nutzen, um ihre Hamburger Nachbarn als Nachfolger einzuarbeiten. Peter würde nicht mit der „Rungholt“ zurück fahren, sondern noch ein paar Tage bleiben, um Habel mit winterfest zu machen, wie all die Jahre, und danach zu Fuß zurück durchs Watt laufen. Er kennt den Weg.

Allen anderen blieben mindestens drei Stunden zur Erkundung der Hallig und des Hallig-Hauses, bis das Schiff sie wieder abholen würde. Viel Zeit! Habel hat keinen Schiffsliegeplatz und die „Rungholt“ kann erst bei ablaufendem Wasser wieder anlegen, zwischenzeitlich würde sie weiter draußen Anker werfen. Dass später dennoch keiner trockenen Fußes an Bord kommen wird, ahnt zu diesem Zeitpunkt noch niemand.

Diese Stille! Unendliche Stille. Die kleine Gruppe hat sich zerstreut, die Hallig zu umwandern. Es geht immer am Deckwerk entlang, durch die fast abgeblühten Salzwiesen. Letzte Strandastern, verblühender Strandflieder, würzig duftender Wermut und ein Flickenteppich aus rotem Queller – eine kleine Oase der Ruhe mitten im Wattenmeer. Wirklich ein ganz besonderer Ort: freie Sicht ringsum. Man hört nichts als den Wind und die Vögel. Am Deckwerk bricht sich die See, plätschert seicht durch die großen, hellen Steine. Rund um die Hallig gleiten Vogelschwärme durch die Lüfte, in immer wechselnden, fantastischen Formationen. Unglaublich schön! Selbst für Amrumer ist dies kein gewöhnliches Bild.

Ja, man bekommt eine Vorstellung davon, wie einsam es auf Habel sein kann – und auch wie mühsam… Am verschilften kleinen Feeting geht es vorbei ins Haus. So pittoresk das Hallig-Haus auf den ersten Blick scheint, so spartanisch und instandhaltungsträchtig ist es auf den zweiten. Sparsam mit Strom und Wasser haushalten, sich mit auseichend Lebensmitteln und Ersatzteilen verproviantieren, weil die Versorgung von außen selten kommt und man sonst durch’s Watt aufs Festland muss. Das Leben als Vogelwart hier ist draußen ist einsam und erfordert neben vogelkundlichen Kenntnissen und ökologisch-landwirtschaftlichem Verständnis auch körperliche Fitness, handwerkliches Geschick, viel Improvisationstalent und starke Nerven.

Wenn nämlich Tausende von Seevögeln sich vor den Fenstern um das Haus auf der Warft scharen, die Funkstation das Mobiltelefon ersetzt, (weil man drinnen keinen Empfang hat, aber nicht mehr von der Warft runter kann), wenn man nicht genau weiß, wie hoch das Wasser noch steigt und ob man vielleicht doch die Notbetten auf dem Speicher beziehen sollte, dann ist „Land unter“ auf Hallig Habel. Helga Kämpfer und ihr Mann Peter haben das im letzten Jahr erlebt, als Sturmtief Sebastian schon Anfang September Orkanstärken brachte.

Habel liegt östlich von Gröde und ist wohl die kleinste Hallig der Welt, da es außerhalb des nordfriesischen Wattenmeeres keine weiteren Halligen gibt. Die Hallig misst etwas über 100 Meter in der Breite, rund 650 Meter in der Länge und ist einschließlich des Küstenschutz-Deckwerks nur 7,4 Hektar groß, doch es sind immerhin 1.544 Meter, um die Hallig entlang des Deckwerks zu umrunden.

Mit dem Küstenschutz auf Habel wurde 1976 begonnen, von 1984 bis 1996 wurde das Deckwerk vollendet. Erst seit der Steinwall an einigen tiefer gesetzten Stellen den Wasserzufluss ermöglicht, schlägt Wasser auf Wasser, wenn es über das Deckwerk tritt und das Land dahinter „keult nicht mehr aus“ wie zuvor. Trotzdem kommt es durch das Raudeckwerk (das im Fachjargon „Igel“ genannt wird) zu einer Entsalzung des Bodens, denn die regelmäßigen Überschwemmungen der Hallig bleiben aus. Dadurch verändern sich die typische Salzwiesenvegetation und die daran angepasste Tierwelt. Artenschutz und Küstenschutz unter einen Hut zu bringen, scheint also auch auf einer landeseigenen Hallig nicht ganz so einfach.

Hallig Habel gehört dem Land Schleswig-Holstein und verwaltungstechnisch zur Hallig Gröde, der kleinsten selbständigen Gemeinde Deutschlands, wo im Nebenerwerb noch die Allmende Wirtschaft existiert. Im Unterschied zu Gröde ist Habel jedoch schon seit 1924 unbewohnt. Bereits von 1871 bis 1903 war die Einwohnerzahl von zwölf auf drei gesunken. Die letzten privaten Eigentümer waren Meinert Nommensen und Bandix Petersen, bis die Hallig 1906 an den preußischen Staat verkauft und im Laufe der Jahrzehnte zu verschiedenen Zwecken verpachtet wurde, unter anderem als Gastwirtschaft. Der Name „Habel“ aber blieb dänisch (friesisch: Haabel), denn die Hallig gehörte wie Amrum, Sylt und West-Föhr bis 1864 zum Königreich Dänemark.

Das Hallig-Haus liegt auf der Norderwarft. Ein abgetretener, alter Grabstein vor der Türschwelle soll „Wiedergänger“ abhalten. Die Wiedergänger sind Verstorbene der Hallig, die der Sage nach dem Meer entsteigen und nachts am Bett der Lebenden erscheinen. Ihr nächtlicher Besuch im Hallig-Haus könne nur an den feuchten Spuren, die sie auf dem Boden hinterlassen, erkannt werden, besagt die Überlieferung, denn wer vorzeitig nachts erwache, werde mitgenommen.

Bis Ende des 19. Jahrhunderts gab es noch zwei Warften auf Habel, eine im Norden und eine im Süden, doch die Süderwarft versank im Meer. Wie auf anderen Halligen auch wurde bei der schweren Sturmflut 1981 das Haus auf der Norderwarft von den Wassermassen zum Teil „eingeschlagen“ und der letzte Pächter der Hallig, Hans Andresen aus Husum, gab auf. Nur zögerlich beschloss das Land, auch das Hallig-Haus auf Habel wieder aufzubauen. Aus Kostengründen blieb es als einziges jedoch ohne eigenen Schutzraum und ist deshalb in den Wintermonaten nicht bewohnbar. Draußen, hoch oben am Mauerwerk, zeigt eine weiße Gipsmarke an, ob neue Risse aufgetreten sind.

1983 wurde Hallig Habel an den Verein Jordsand verpachtet, der sich seither von Frühjahr bis Herbst vor Ort um die Vogelwelt, den Erhalt der spezifischen Salzwiesen-Landschaft und das Hallig-Hauses kümmert.

78 verschiedene Vogelarten, darunter viele Enten-, Gänse- und Möwen- und Wattvogelarten, aber auch seltene Raubvögel wie der Seeadler und die Kornweihe wurden im letzten Jahr auf Hallig Habel festgestellt. In Deutschland inzwischen gefährdete Brutvögel wie Mehl- und Rauchschwalben, der Bluthänfling, die Feldlerche und der Star fanden sich auf der Hallig ein und die durch den Verlust ihrer Brutplätze stark oder sogar vom Aussterben bedrohten Fluss-, Küsten- und Brandseeschwalben, Fluss-Uferläufer, Steinwälzer, Sandregenpfeifer, Alpenstrandläufer, Kiebitze und Wiesenpieper, die Bekassine und der große Brachvogel.

Für alle Vogelfreunde ist Hallig Habel ein kleines Paradies. Wahrlich ein schützenswertes Kleinod im Nationalpark Wattenmeer. Danke, Verein Jordsand.

 

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Über Astrid Thomas-Niemann

Astrid Thomas-Niemann ist gelernte Schifffahrtskauffrau sowie studierte Sprach- und Erziehungswissenschaftlerin. Sie hat viele Jahre als Schifffahrtsanalystin gearbeitet und lebt seit 2015 in Wittdün. Als junge Frau kam Astrid 1981 das erste Mal auf die Insel und besuchte auf Zeltplatz II die Niemanns aus Hamburg, die Amrum seit 1962 urlaubsmäßig die Treue halten, inzwischen bereits in der 4. Generation.

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