Die Farbe war noch nicht ganz trocken, da war es schon verkauft: das schöne “Meeresleuchten”-Bild von Georg Dittmar im Likedeeler. Woran man sieht, dass der Winter weicht: Kunst geht wieder los, Frühlings-Farbe ist willkommen, gutes Essen sowieso: Im Restaurant Likedeeler in Steenodde hat Georg Dittmar, der auf Amrum lebt, siebzehn Bilder zur Schau gestellt: über Tischen, hinter Flaschen, neben Spiegeln und zwischen den Fenstern hängen die Werke des 58-jährigen Malers, Musikers und Fotografen. Bis zum Sommer ist seine Ausstellung immer dann anzuschauen, wenn drinnen auf ist und man sich draußen im Sundowner-Garten am wunderbaren Watt-Weitblick selig gesehen hat.
Wer Dittmars Bilder kennt, den wundern diese neuen Werke, und überrascht folgt man ihnen durch die Räume des Likedeeler bis rein in den Wintergarten. Plötzlich ganz viel Landschaft. Gar nicht so überzeichnet, nicht plakativ, nicht so drängend wie seine Bilder vor zwei Jahren mit Titeln wie “Keine Hände, keine Flügel” oder “Heldenverbrennung”.
Stattdessen Licht, Dünen, Watt, Buhnen, Sand, Villa Helgoland. Wie kommt das? “Das war tatsächlich ein schwieriger Zugang”, sagt Dittmar. “Ich male seit Jahren abstrakt, und hinter jedem Bild steht immer eine Geschichte. Hinter der Landschaft steht keine. Aber ich hatte durchaus Lust drauf, ich habe teilweise einfach Farbe auf die Leinwand gegeben, kein Vorzeichnen, nichts. Und mich gefragt, was passiert jetzt als nächstes?”
Einer seiner Lieblingsorte, die Kurve des Landesstraße kurz vorm Leuchtturm, die hat er auch gemalt. “Weil da das Licht immer anders ist, egal, wie oft man dran vorbei kommt.” Dittmar fährt immer Rad, er kommt dort oft vorbei. “Mir gefällt die Reflexion in den Birken”, sagt er. Dabei ist Schönheit an sich nicht so seins. “Immer nur Idyll malen, wird der Insel nicht gerecht.” Auch ist nicht immer alles so, wie später auf der Leinwand. “Der Leuchtturm steht eigentlich nicht so”, erklärt Dittmar. “Aber bei mir ist der ein graphisches Element und steht in der Mitte.”
Ein Bild zeigt den Dünenübergang hinter der Fachklinik Satteldüne. Dort arbeitet seine Frau, mit der er seit über 25 Jahren verheiratet ist. Jetzt, wo es im Likedeeler an der Wand hängt, gefällt es ihm. Mit dem Sand und dem feinen Flaum der Heide. “Du stehst im Atelier und bist dir einfach nicht sicher, wie es wirkt”, sagt Dittmar. Er würde nie auf die Idee kommen, in der Natur zu malen. Er malt im Dachgeschoss seines Zuhauses in Nebel. Ein Raum, der halb Atelier, halb Proberaum ist. Leinwände, Bücher, Farben, Instrumente. Dittmar spielt und singt (wunderbar) und gibt Musikunterricht. Er ist Teil der Band Crazy Horst, die ihren Zuhörern regelmäßig und wahrlich mitreißend Berührung für Hirn und Herz schenkt.
Reizvoll findet er die Idee, immer den gleichen Ausschnitt zu malen, aber immer zu unterschiedlichen Zeiten. Hat er noch nicht gemacht, aber hat er im Kopf. Zum Beispiel sowas, wie den Blick nach Föhr rüber, den er gemalt hat, weil er das Bild bei seinen Wattspaziergängen ständig vor Augen hat, inklusive blühender Salzwiese. Tritt man näher ran (an das Bild), dann merkt man erst wie aufgebrochen die Oberfläche ist, wie rasant die Strichelungen, wie kräftig getupft, wie nuancenreich die Farben. Seine Frau Birgit mag das Bild besonders. “Ich sehe darin einen sehr freien Strich.” Ihm geht es selten um das genaue Abbild dessen, was die Natur zeigt. “Mir geht es eher um Empfindungen.” Es ist eins der Bilder, die nicht vorgezeichnet sind. “Da habe ich die Farbe einfach passieren lassen.”
Dittmar, der aus Gelsenkirchen stammt und Fotograf gelernt hat, hat in seinem Künstler-Folder als Zusammenfassung für seinen Werdegang so schöne Worte gefunden, die man besser genau so abschreibt: “Seine Wanderjahre brachten ihn durch die Länder des Kontinents. Er arbeitete als Straßenmusiker, Totengräber, Tellerwäscher und Millionär in Metropolen, Gelegenheiten und Verhältnissen.”
Gleichermaßen versiert in Musik und Text sind Georg Dittmars Inspirationsquellen sowohl die Literatur als auch die Malerei. Seine abstrakteren Werke kommen thematisch immer wieder auf die Odyssee, sind entstanden aus der Beschäftigung mit Homer, den Abenteuern seines Helden Odysseus, der auf seiner Irrfahrt Polyphemus, den Zyklopen, besiegte, der in Dittmars Bildern als ein Vertreter der älteren Kultur auftaucht, als einer aus der eindimensionalen (Eltern-)Welt, die man hinter sich lassen möchte. Für die Landschaften kommt Dittmars Liebe aus der Klassischen Moderne, von so unterschiedlichen Kandidaten wie Max Beckmann, von Emil Noldes kräftigen Mohnfeldern (“die haben mich als Kind sehr berührt”) und den Kunstwerken eines Vincent Van Gogh. “Das war die spannendste Welt, die mir damals angeboten wurde.” Begeistert erzählt er von dem Film, den er als Kind sah, mit Kirk Douglas in der Rolle des Malers (Vincent Van Gogh – Ein Leben in Leidenschaft; 1956). “Das war volle Romantik.”
Wobei er, der nicht studiert hat, von sich nicht als Maler spricht. “Ob das nun Malerei oder Kunst ist, überlasse ich dem Betrachter. Ich bin das, was ich bin.” Diese Bescheidenheit gibt einem die Chance, nochmal zurückzukommen auf seinen Lebenslauf, der ist nämlich nicht ohne. Die eingangs in der Kurzvita erwähnten Verhältnisse fanden sich wahrscheinlich entlang einer Route, die der junge Dittmar nach Ausbildung und erster Ausstellung (Collagen) wählte, um der Bundeswehr zu entgehen. Er war 22 Jahre alt, als er Gelsenkirchen mit unbekanntem Ziel verlies – “Verweigerungs-Tourismus” – und 30 als er Ingo Insterburg in Berlin traf und mit dem Multi-Sänger-Komiker-Talent fortan als Georg Himmelblau und – Zitat Dittmar – “zweiter oder dritter Aufguss seiner Band” durch die Clubs zog. Zum Menschenfänger hats damals nicht gereicht: die Band löste sich nach sechs Jahren auf. Aber dazu reichts heute, wenn er als Crazy Horst mit Bandkollege Philipp Mayer (plus manchmal Olli Vogt) auf der Bühne steht. Dieses Frühjahr soll ihre dritte CD erscheinen. Am 8. April spielen sie in der “Blauen Maus”, einen Tag später in der Druckerei in Wyk. Rund sechzehn Termine hat der 2017er-Spielplan schon.
Mit Blick auf seine Arbeit im Atelier mag Georg Dittmar – jetzt wieder Maler – diese Momente, wo der Flow kommt, wenn die Arbeit fließt, wenn er den Punkt gefunden hat, ab dem er nicht mehr überlegt, wo alle Absicht vergessen ist. “Wo du selbst überrascht bist, was du geschaffen hast.” Der Weg dahin ist freilich kein einfacher. “Er ist sowieso das, was an einem Bild am längsten dauert.” Er hat viel gemalt im letzten Winter. Nicht alles wurde fertig. “Die Mühle mit Mond über dem Flügel, das Bild habe ich im Kopf, aber es ist mir bisher nicht gelungen, es zu beenden.”
Georg Dittmars gerahmte Bilder kosten je nach Format 220 bis 950 Euro; außer das große “Niemand & Polyphem” aus dem Jahre 2013, dafür möchte er 1650 Euro. Er tut sich schwer mit Geld. Da ist er ganz old school typisch Künstler. “Ich will keine Kunst machen, die sich niemand leisten kann”, sagt er. Man solle doch mal aufs Theater blicken, wohin das mit den teuren Karten geführt habe. “Keiner weiß heute mehr, wofür Shakespeare steht. Das ist doch schade.” Es gibt einige Amrumer, die seine Bilder sammeln. Anguckbar hängen einige in der Arztpraxis an der Mühle und eins in der “Blauen Maus”.
Was der Ausstellung im Steenodder Likedeeler zusätzlich eine charmante Note verleiht: Georg Dittmar arbeitet dort an der Bar. Der Künstler ist also anwesend. Und das jetzt wieder öfter, denn die Saison geht los und alles geht auf. Im Likedeeler gibts Kunst und gute Küche jetzt jeden Tag außer dienstags ab 17 Uhr.