Es gibt Orte auf der Insel, da schaut man hin und fragt sich, wer da wohl wohnt. Für das Haus von Seefahrthistoriker Clas Broder Hansen gilt das gleich doppelt: Blickt man vom Leuchtturm nordwärts, sieht man mitten in den Dünen ein Häuschen liegen. Wunderschön! Fährt man auf dem Tanenwai vom Leuchtturm in eine leichte Rechtskurve, zweigt links ein dichtbewachsener Privatpfad ab. Verwunschen! Angekommen an diesem Ort, bewahrheitet sich beides: Auf dem Rasen, der von der großen Leuchtturm-Düne herabfällt, steht das kleine Haus mit niedrigem Dach und alten Dielen, vor der Haustür nichts als Dünen, dahinter der Strand und das Meer. Das ganze Areal ist auf eine so wunderschöne Art naturbelassen, dass man sich vorkommt wie der erste Mensch auf einer zauberhaften Insel.
Hier lebt Clas Broder Hansen, der a) gerade ein Buch über ein Schiff geschrieben hat, das vor Amrum sank, b) Präsident der deutschen Hochschule für Seriositätswissenschaften ist und c) in einem hellroten Bademantel mit Fliege und dicker Zigarre zu kirchlichen Festen in der „Blauen Maus“, Amrums schönster Kneipe, aufläuft. Nicht einfach zu erfassen das alles.
Wir beginnen mit dem Buch. Die Idee dazu hatte Clas Broder Hansen schon lange: Ein ganzes Buch über die Geschichte des Erzfrachters „Pella“ zu schreiben, der im Sommer 1964 vor Amrum strandete und an einer Sandbank zerbrach, wie die „Bild“-Zeitung dramatisch titelte. Während Hansen letztes Jahr einen Artikel für den aktuellen „Kleinen Amrumer“ schrieb, das Ferienmagazin der Insel, merkte er, wie ihn die „Pella“-Story immer noch fesselte. „Die ‘Pallas’ kennt jeder – aber die „Pella“! Die hat eine viel interessantere Geschichte, da waren noch Menschen drauf, als sie zerbrach. Und dann die Strandräuberei!“ Zum fünfzigsten Strandungstag ist das Buch nun da. Inselbuchhändler Jens Quedens hat einen großen Teil der Auflage für seine Läden geordert und damit eine finanzielle Grundlage für die Druckkosten geschaffen. „Ohne seine Hilfe hätte ich das Buch nicht machen können“, sagt Hansen.
Nun also hundert Seiten Abenteuer über einen Frachter, der 1943 in Kanada vom Stapel lief, zigmal den Namen und den Reeder wechselte; Kohlen, Holz und Eisenerz lud; U-Boot-Angriffe und Feuer überstand, im eisigen Winter 1963 schon einmal ganz nah vor Amrum lag und am 31. Juli 1964 samt Waffen, Schweinehälften, Erz und Schnaps siebeneinhalb Seemeilen südsüdwestlich des Amrumer Leuchtturms auf Grund lief. Die „Pella“ war weit ab vom Kurs und hatte einen, wie sich später zeigen sollte, sehr redeunlustigen Kapitän. Obwohl die Strandung fünfzig Jahre her ist und strafrechtlich nicht mehr von Bedeutung, ranken sich wilde Gerüchte um den alten Kahn und sein Ende vor Amrum. „Irre Räuberpistolen“, sagt Hansen.
Hansen hat viel recherchiert: er war in der Guildhall Library in London, einer Bibliothek, die über jeden Unfall und jede Reise des Schiffes Material vorliegen hat, wunderte sich über fehlende Berichte beim Zoll und bei der Polizei und wunderte sich weniger über zugeknöpfte griechische Familienclans, die das Schiff einst bereederten. Er hat zig Fotoalben gewälzt und auf Amrum und Föhr wichtige Zeitzeugen ausfindig gemacht, wie den 93-jährigen August Jakobs aus Steenodde , der jahrzehntelang Kapitän auf der Hallig-Linie zwischen Schlüttsiel und Amrum war oder Knut Pörksen von Föhr, den Sohn von Amrums Ex-Pastor, der als Jugendlicher raus fuhr zum Wrack. Zu danken hätte er auch seiner Gefährtin Barbara und Tochter Charlotte, die monatelang nur das Wort „Pella“ hörten, sagt er. In einem sehr schönen, sehr persönlichen Vorwort widmet er das Buch dem Gedanken an seine Eltern, der Vater Kunstkritiker, die Mutter Fotografin, die 1951 dieses wunderschöne, kleine Haus auf Amrum kauften, weil ihnen Sylt als Feriendomizil zu voll wurde.
Clas Broder Hansen ist quasi ein Amrumer. „Hineingeboren“ sei er hier, sagt der 60-Jährige. Und fragt man auf der Insel nach ihm, hört man schnell von den legendären Partys im Haus am Leuchtturm, von der „Klapsmühle“, wie man das feierfreudige Haus in den wilden 80er-Jahren nannte und von seinen, nun ja, außergewöhnlichen Auftritten in der „Maus“-Kneipe: Bademantel, Fliege, dicke Brasil-Zigarre. „Aber nur zu kirchlichen Feiertagen“, sagt Hansen und geht ins Haus, wo er den hellroten Bademantel, den er immer noch hat, leider nicht findet.. In die „Blaue Maus“ geht er regelmäßig, „sie ist wichtig“, er ist dort oft zum Tarock spielen verabredet: In kleiner Männerrunde erfreuen sie sich dann an einem der ältesten Kartenspiele der Welt. Es wundert so überhaupt nicht, dass dieser Mann nicht einfach nur Skat spielt.
Weiße Jeans, strahlendes Koralle-Hemd, blauer Siegelring an schönen Händen, kleiner Ziegenbart und ein schmaler „Künstler“-Zopf aus grauem Haar: Hansen sitzt unter einem Sonnensegel an der Rückwand seines Hauses, an einem Holztisch mit viel Krimskrams, freier Blick auf Dünen und Leuchtturm, rote Gauloises rauchend, Holunderblütenwasser trinkend, erzählend. Sehr offen und zugewandt, mit warmen Worten über Kindheit, Eltern und seine Amrumliebe: Wie er, in München aufgewachsen, immer in den Ferien hierher kam. Auch im Sommer 1964, als in einer stürmischen Nacht draußen vor Amrum die „Pella“ zerbrach und – es war schließlich mitten in der Saison – die Strandungsstelle zum Ausflugsort wurde.
Mit allem, was schwimmen konnte, machten sich Amrumer, Halligleute und Festländer auf, den Havaristen in Augenschein zu nehmen. Hansen war damals zehn Jahre alt und mit seinem Vater an Bord eines Ausflugsschiffes, das längsseits der „Pella“ ging. Er konnte gar nicht so schnell gucken, wie sein Vater plötzlich das Deck wechselte, um sich kurz auf dem 135 Meter langen Schiff umzuschauen. Über Tage gab es einen unglaublichen Run auf das Schiff, und wenn man mal von der ungehörigen Bunkermentalität eines reichen Wiesbadener Yachtbesitzers absah, der gleich eine ganze Kajüte aus dem Schiff schälte, waren es natürlich (!) nur ganz harmlose Hobby-Entertouren abenteuerlustiger Insulaner. Nicht ungefährlich: ständig patrouillierten Zoll- und Polizeiboote, und die See ging hoch. Man brauchte mit mancher Jolle bis zu zwei Stunden raus zur „Pella“, wo sich andere mit Schlauchbooten gefährlich an der Wand des Schiffes scheuerten, das sich, nachdem es zwei Tage nach der Strandung auseinander gebrochen war immer tiefer im Sand festsetzte und immer höher überspült wurde. „Aus heutiger Sicht war es ein ganz schöner Unsinn“, zitiert Hansen im Buch einen, der dabei war. Beute wurde trotzdem gemacht, und zwar – wie Hansen betont – die Sorte Beutegut, die man am liebsten hat. Also nicht so was wie Alkohol und Zigaretten, was man unmittelbar zu Geld machen kann; nicht Kupferrohr oder Holz, was man noch verbauen kann; sondern Laternen, die Nachtlektüre des Funkers („Russische Meisterbriefe“), Seekarten, Flaggen, Küchenmesser. Kleine, unwichtige Souvenirs, über die sich viele, kleine Strandräuber heute noch freuen, weil diese Erinnerungen eben nicht mit dem Schiff im Sand versunken sind.
In Hansens Haus leben eine Laterne und ein paar Seekarten weiter. Mindestens drei Monate im Jahr ist er auf der Insel, die restliche Zeit über kann man das Haus mieten und bekommt damit einen Teil von Hansens Persönlichkeit geschenkt. In der quietschgelb und rot gestrichenen Küche mit Leuchtturmblick und alter Friesenkachelwand hängen Fotos wie Stationen aus seinem Leben. Schwarzweiß beim Dünentoben mit Vater Hans Jürgen. Studienfreunde (Volkskunde in München und Hamburg) mit Schnauzer, die Teil der berühmten Klapsmühle-Partykultur waren. „Der Name entstand spontan“, sagt Hansen. „Genauso wie die Idee, eine deutsche Hochschule für Seriositätswissenschaften zu gründen oder PUMI-Deutsch zu erfinden, eine extraterrestrische Sprache, die nur von mir und zwei Kumpels gesprochen wird.“ Wobei – Töchterchen Charlotte kann sie auch ein bisschen. Alles ein wenig skurril, aber herzlich zum Schmunzeln, wenn man sich ein paar Clips auf „YouTube“ anschaut, wo Hansen im Priester-Look mit Gedichtbuch auf der Hand vor verschiedenen Kulissen „die weisen Aussprüche des Fred Has“ (sein Pseudonym) proklamiert, von denen es inzwischen an die zweitausend geben soll. Mit seinen Freunden hat er die „Schwimmbadbröckelung“ in Wittdün filmisch dokumentiert und 1982 im Norddorfer Kino uraufgeführt. Ganz anderes Lebensthema, aber auch eine interessante Seite von Clas Broder Hansen.
Aber erst das Buch lesen. Der letzte Satz daraus: „Wenn man in einer klaren Nacht auf einer Amrumer Düne steht und in Südwest zu Süd den Schein des Leuchtfeuers von Helgoland über die Kimm wischen sieht, dann mag man sich daran erinnern, dass genau in dieser Richtung unter den Wellen die Reste eines alten Frachters liegen, der nun Legende geworden ist.“
Clas Broder Hansen: Gestrandet vor Amrum. Die Geschichte der Pella, Urbes Verlag 2014. Das Buch kostet 9,95, ist in den Inselbuchhandlungen erhältlich und kann auch bestellt werden.
Herzlichen Glückwunsch zu diesem interessanten Beitrag! Das Buch werde ich so schnell wie möglich erstehen und bin schon ganz gespannt.
Selten habe ich einen so informationsreichen Bericht in den Amrum News gelesen wie den über die Pella. Selbst als gebürtiger Amrumer war mir diese Geschichte unbekannt. Nur schade, dass ich die Insel aus beruflichen Gründen 1961 verlassen habe, sonst hätte mir damals sicherlich auch ein paar Souvenirs “besorgt”. Das Buch werde ich mir umgehend in Bücherei bestellen.
Gruß an die Insel mit dem schönsten Strand in Europa sendet aus Lüneburg der gebürtige Insulaner
Peter Siebert