Als ich mit meiner Frau unseren Kinderwagen um die Südspitze von Amrum geschoben habe, traute ich meinen Augen kaum. Fast zum Greifen nah flog eine junge Eismöwe an uns vorbei.
Zu Hause angekommen, verschaffte der Blick ins Bestimmungsbuch Gewissheit: Kaffeebraunes Gefieder, rosafarbene Beine und Schnabel mit schwarzer Spitze, keine schwarzen Flügelspitzen wie bei den heimischen Möwen. Ausgewachsen werden sie viel heller und erinnern an eine riesige Silbermöwe.
Dieser hocharktische Vogel brütet nur in der Arktis, mit die südlichsten Brutplätze finden sich im Süden von Grönland! Die Brutkolonien der Eismöwe sind nicht so dicht wie bei den hier vorkommenden Möwen, da sie etwas mehr Abstand zu ihren sehr aggressiven Artgenossen benötigen. Sogar gegen Eisfüchse können sie ihre Brut verteidigen, indem sie die Vierbeiner scharf anfliegen und mit ihren Füßen wegstoßen.
In der arktischen Tundra und im Packeis findet sie alles, was ein Eismöwenmagen begehrt. Es gibt dort den Polardorsch und viele Vögel, die ihre Jungen aufziehen. Wobei die Eismöwe die Eier und Jungvögel bevorzugt, aber auch vor einer ausgewachsenen Dickschnabellumme nicht haltmacht (was ich auf Spitzbergen fotografieren konnte).
Gerne jagt sie anderen Vögeln ihre Beute ab, indem sie diesen dicht hinterher fliegt und solange bedrängt, bis sie ihre gefangenen Fische fallenlassen oder hervorwürgen. Auf der nordsibirischen Insel Nowaja Semlja haben die Möwen sogar gelernt, die Köder aus Pelztierfallen zu entwenden, ohne dabei selbst gefangen zu werden. Während eines Aufenthaltes im Packeis nördlich von Spitzbergen konnte ich sie auch dabei beobachten, wie sie Eisbären Teile ihrer erlegten Robbe stibitzten.
Während des Winters bleiben einige Eismöwen in der Arktis, andere halten sich auf dem Ozean auf und wieder andere suchen die Nähe zu Fischereihäfen und Mülldeponien mit ihrem reichhaltigen Angebot aus Eismöwennahrung. Viele Hobbyornithologen oder neudeutsch Birdwatcher reisen im Winter zu den Mülldeponien auf den Shetlandinseln (Nordschottland), denn dies ist einer der südlichsten Plätze mit Eismöwengarantie im Winter.
Wie war ich entzückt, eine solche Möwe von der Strandpromenade in Wittdün zu sehen. Einmal wegen der extrem kurzen Anreise aber auch wegen der schöneren Umgebung!
Leider hat die ganze Geschichte kein Happy End. Bei einer Wanderung über den Kniepsand entdeckten mein Freund Jan und ich die schon angeknabberten Reste der Eismöwe. Über die Todesursache mag ich mir kein Urteil erlauben. Aber die Sterblichkeit bei jungen und unerfahrenen Eismöwen ist hoch.