Strandputz – ein etwas eigensinniger Erlebnisbericht über die alljährliche Strandreinigung im Frühjahr


Alle Jahre wieder, kurz vor Ostern ruft die Insel zum Frühjahrsputz, und am Sonnabend war es wieder soweit. Traditionell trafen sich die Steenodder schon am Vormittag. In Süddorf, Nebel, Norddorf und Wittün ging’s erst mittags los: das Müll sammeln nach den Winterstürmen – in diesem Jahr finanziell unterstützt von der Flensburger Brauerei.

Treffen in Steenodde

Um’s Grobe auf den großen Strandabschnitten kümmern sich die Profis der Gemeinden, aber für den filigranen Kleinkram und an schwer zugänglichen Stellen ist Handarbeit gefragt. Und so fassen jedes Jahr viele fleißige freiwillige Helferinnen und Helfer bei der Strandreinigung mit an, einschließlich Bürgermeistern und Kurgästen – in diesem Jahr zusammen fast 250, davon über 100 allein am Strand von Nebel und der Satteldüne. Sie alle bergen die Hinterlassenschaften anonymer Zeitgenossen vom Strand und unter Bohlenwegen, aus Dünen, Feld und Flur, damit die Insel zu Beginn der Saison wieder voll im Glanze in ihrer natürlichen Schönheit erscheine.

Es handelt sich vorwiegend um anorganischen, sogenannten „Zivilisationsmüll“. (Ich sträube mich innerlich irgendwie gegen dieses Wort, weil ich eine andere Vorstellung von Zivilisation habe). Es ist alles dabei, was von Schiffen, Bohrinseln und Baustellen, aus Flüssen, Fahrzeugen und Strandkörben irgendwann am Dünenrand landet, glücklicherweise aber auch in diesem Jahr keine Munitionsreste.

„Zivilisationsmüll”…

Erstaunlich, welche Mengen an Farbeimern, Kanistern, Kunststoffbehältern, Glas- und Plastikflaschen, Metallteilen, Gummihandschuhen et cetera immer noch im Meer landen, von den grünen und orangen Scheuernetzfetzen der Fischfangflotten ganz zu schweigen – trotz MARPOL-Abkommen, Sonderzonen und EU-Vorschriften über Müllabgabepauschalen in den Häfen. Seit 2013 ist die Müllentsorgung in der Nordsee komplett verboten und die von Kunststoffen auf See auch international. [O-Text MARPOL, Annex V: „the disposal into the sea of all plastics, including but not limited to synthetic ropes, synthetic fishing nets, plastic garbage bags and incinerator ashes from plastic products which may contain toxic or heavy metal residues, is prohibited“] Doch wer kontrolliert, ahndet oder verhindert das? (Verzeihen Sie mir bitte diesen kleinen Ausflug in die internationale Schifffahrtspolitik, aber ich bin vom Fach und habe schon als Azubi 1982 Kapitäne erfolgreich überzeugt, eine „Dreckschute“ zu bestellen statt den Müll in der Deutschen Bucht zu entsorgen.)

Erstaunlich auch, wie lange Papiertaschentücher und Hundehaufen unbeschadet den Winter überstehen und einem zwischen Dünengras und Heidekraut entgegenleuchten.

Wittdüner Kniep-Shuttle

Auch Kippennester einzelner, nach draußen verbannter Raucher grüßen aus dem Sand neben dem Bohlenweg. („Hallo, dich kenn’ ich doch schon vom letzten Jahr!“) Per Hand einzeln aufgepickt kommen sie auch dieses Jahr wieder in den blauen Müllsack. Keine fette Beute, aber ich habe Mitleid mit ihnen. (Schließlich habe ich leider in meiner Jugend selbst Filterzigaretten geraucht, die armen Dinger aber meist selbstgefällig in irgendeinem Aschenbecher erstickt – in 17 Jahren einen Berg von über 90.000 Kippen, Abfall für einen vollen 20 Fuß Container!)

Ich bin jetzt das dritte Mal bei der Frühjahrs-Strandreinigung dabei. Bisher hatten wir jedes Mal Glück mit dem Wetter. Ausgestattet mit Müllsäcken, Arbeitshandschuhen, langstieligem Gartengrubber und Harke bilden mein Mann und ich ein kleines Team und laufen zusammen mit den anderen Grüppchen einen der Wege zwischen Campingplatz, Badeland, Hafen und Südspitze ab.

Wir sind viele. Man ist draußen, hat ein Ziel vor Augen und bewegt sich. Das macht Spaß und ist ein schönes Gemeinschaftserlebnis. Am Ende treffen sich alle wieder und es gibt eine kleine Stärkung, in Wittdün immer einen deftigen Eintopf. „Oh, da ist ja wieder reichlich Müll zusammengekommen!“, heißt es, wenn die Gemeindeprofis alle Müllsäcke auf dem Anhänger gesammelt haben, als gelte es einen Wettbewerb zu gewinnen. In diesem Jahr war man sich schnell einig: Es lag deutlich weniger Müll herum als letztes Jahr – auf der ganzen Insel. Vielleicht weil es in diesem Winter weniger Stürme gab, sagen die einen, vielleicht ist vieles auch vom Sand zugedeckt, meinen die anderen. Genau weiß man’s nicht, doch an einen grundlegend zurückgegangenen Mülleintrag mag man noch nicht so recht glauben. Im nächsten Frühjahr könne schon wieder alles ganz anders sein, lehrt die Erfahrung.

Die frische Amrumer Frühlingsluft macht hungrig und müde, aber „Strandreinigung“ ist nicht so anstrengend, wie ich ursprünglich dachte: peilen, anpicken, aufheben, eintüten, weiterlaufen bis zum nächsten „Fund“ und dann wieder von vorn. Nur hin und wieder muss man sich tief bücken und etwas mit der Hand auflesen.

Strandreinigung in Norddorf

Bei ungewöhnlichen Funden schüttle ich intuitiv den Kopf und schimpfe leise oder laut vor mich hin. (Mein Mann hält das für Energieverschwendung.) Die öffentlichkeitsfähige Version klänge in etwa so: „Wie kann man nur?!“ oder „Guck, mal, was’n das für’n Mist?!“ (Wie in einem Museum, erwarte ich dann natürlich seinen Kommentar, bevor der Unrat in meinem Müllbeutel landet.) Finde ich heile Pfandflaschen, rufe ich: „Da hat wohl einer zu viel Geld!“ und stelle sie brav der nächst gelegenen Gaststätte vor die Tür. An Hartnäckigem oder Widerspenstigem baue ich „mit Schmackes“ meine Aggressionen ab – mal mehr, mal weniger von Erfolg gekrönt. Bei Kaugummis und anderen Restmahlzeiten verfluche ich die verwöhnten Amrumer Möwen, die doch sonst fast jeden Schiet verdauen können. Und falls mir ein Fund ganz offensichtlich einreden möchte, dass auch hier auf unserer schönen, kleinen Insel jemand achtlos einfach seine leere Zigarettenschachtel, Getränkedose oder Bonbonpapier in die Gegend geworfen hat, lasse ich auf den anonymen Spender meinen Ohrwurm los. Dann brummt Oscar aus der Mülltonne im Walzertakt „Ich mag Müll! Alles was staubig ist, schmutzig und dreckig; alles was rostig ist, gammlig und speckig! Jaa! Ich mag Müll….“ und hält mich bei Laune.

Nur Hundekot bleibt liegen – der ist mir partout zu ekelig. Herrchen oder Frauchen, bitte zum Nachsammeln antreten! (Und tut das endlich mal oder wie oft sollen wir in Amrum News noch darüber schreiben?!) Jeden Morgen geht die Sonne auf und man sieht doch, was der Hund „gemacht“ hat.

Arbeit an der frischen Luft macht mich glücklich (meistens jedenfalls) und wenn nicht, kann ich einen Ohrwurm empfehlen….

Sie halten mich für naiv? Schon möglich, aber ich bin nicht allein. Ich kenne Menschen auf dieser Insel, die sammeln bei jedem Strandspaziergang den Müll der anderen auf. Weil es nun mal nur diese eine Welt gibt.

Über Astrid Thomas-Niemann

Astrid Thomas-Niemann ist gelernte Schifffahrtskauffrau sowie studierte Sprach- und Erziehungswissenschaftlerin. Sie hat viele Jahre als Schifffahrtsanalystin gearbeitet und lebt seit 2015 in Wittdün. Als junge Frau kam Astrid 1981 das erste Mal auf die Insel und besuchte auf Zeltplatz II die Niemanns aus Hamburg, die Amrum seit 1962 urlaubsmäßig die Treue halten, inzwischen bereits in der 4. Generation.

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