Ein Schiffsgemälde am Friesenhausgiebel


Erinnerung an Kapitän Carl Jessen

Mitten in Nebel, am Uasterstigh, der Hauptstraße des Friesendorfes, steht ein Haus mit einem auffälligen Schiffsgemälde im Giebel, gemalt von Rüdiger Skadow.

Haus Pitlochry in Nebel mit Giebelgemälde

Der Schiffsname “Pitlochry” erinnert an die bekannte Hamburger Reederei Laeisz und an den Amrumer Kapitän Carl Victor Jessen. Die Schiffe der Reederei, im Jahre 1830 gegründet und noch heute existent, machten sich vor allem in den Jahren vor und nach 1900 einen Namen durch ihre stolzen Frachtensegler “Potosi” und “Preußen”, erstere eine Fünfmastbark, letztere ein Vollschiff. Es waren damals die am besten ausgerüsteten Segelschiffe der Welt, beneidet von allen anderen Seefahrernationen. Und es waren auch die schnellsten, die auf den Linien (England) – Salpeterhäfen Westküste Südamerika (Valparaiso, Iquique, Talcahuano u. a.) immer wieder die damals übliche Dauer von 160 Seetagen für die Hin- und Rückreise unterboten und dabei jeweils das berüchtigte Kap Hoorn umrundeten.

Die Gattin des Reeders Carl Laeisz, Sophie, wurde mit Kosenamen “Pudel” genannt, und deshalb begannen alle Schiffsnamen mit dem Buchstaben “P” (Preußen, Potosi, Palmyra, Peking, Passat, Pirat, Priwall und eben auch Pitlochry).

Carl V. Jessen – Kapitän der Reederei Laeisz, Hamburg

Einer der Kapitäne auf der Viermastbark war der von Amrum stammende Carl Victor Jessen, geboren am 23. April 1864 in Nebel auf Amrum, gerade in jenem Jahre, als in Folge der Auseinandersetzungen im deutsch-dänischen Grenzraum und dem von Preußen/Österreich gegen Dänemark gewonnenen Krieg ein Staatswechsel erfolgte, der die bis dahin nach großzügigen Regeln betriebene Seefahrt für die Inselfriesen (seit 1735 vom Kriegsdienst zu Lande befreit – Seefahrerschulen auf den Heimatinseln) erheblich erschwerte und eine der Ursachen für eine umfangreiche Auswanderung nach den USA wurde.
In jenen Jahren hatte sich allerdings Hamburg zum größten Überseehafen des jungen Deutschen Reiches mit zahlreichen Reedereien entwickelt und bot auch den Bewohnern der nordfriesischen Inseln und Halligen ein umfangreiches Betätigungsfeld. Amrum stellte in Hamburg (und Altona) etliche Kapitäne, und einer davon war der aus Nebel stammende Friedrich Stuck, in Diensten der Reederei Amsinck. Und die Amrumer “Hamburg”-Kapitäne waren natürlich bestrebt, ihre Landsleute, die Jugend ihrer Heimatinsel, in die Seemannschaft zu bringen. So auch den jungen Carl V. Jessen.

Später fuhr Carl V. Jessen auf Bremer Schiffen, besuchte 1884 die Navigationsschule in Elsfleth und trat nach dem Steuermanns-Examen in den Dienst der Reederei Laeisz, der er nun während seiner restlichen Laufbahn verbunden blieb. Nach der vorgeschriebenen dreijährigen Fahrzeit und dem erwerb des Kapitäns-Examen für Große Fahrt auf der Navigationsschule in Altona erhielt er im Jahre 1885 sein erstes Schiff, die Dreimastbark “Pirat”. Mit diesem schnellen, aus Eisen gebauten Schiff segelte er in 89 Tagen von Lizard nach Valparaiso und benötigte für die Rückreise nur 86 Tage. 1897 übernahm Carl V. Jessen das Kommando auf dem Vollschiff “Palmyra”, ebenfalls ein schnelles Schiff, das im Jahr 1901 von Lizard nach Valparaiso in 74 Tagen segelte. (Unter Kapitän Georg Lessel strandete die “Palmyra” am 1. Juli 1908 an der chilenischen Westküste, und 21 Mann gingen in die Boote, um das Land zu erreichen, aber sie blieben spurlos verschwunden. Kapitän und Steuermann konnten erst später mit einer kleinen Gig das gestrandete und Wrack gewordene Schiff verlassen und nach einer dreiwöchigen Irrfahrt unter unvollstellbaren Entbehrungen die Leuchtturminsel Evangelitas vor der Magellanstraße erreichen).

Die Hamburger Viemastbark “Pitlochry”

Carl V. Jessen hatte die “Palmyra” bis 1903 geführt und übernahm dann die 3111 BRT große, in Dundee gebaute Viermastbark “Pitlochry”, benannt nach einem idyllischen Städtchen am Tummel-River mitten in Schottland, von den Römern schon im 3. Jahrhundert mit einem Kastell gegründet und durch die älteste Whisky-Brennerei Schottlands bekannt.

Eine dramatische Reise erlebte der Amrumer Kapitän im Herbst des Jahres 1901, als eine monatelange Unwetterlage die Kap Hoorn-Region beherrschte und vielen Tiefwasserseglern zum Verhängnis wurde. Beispielsweise benötigte das Hamburger Vollschiff “Susanna” unter Kapitän Christian Jürgens von Föhr allein für die Umrundung des Kap Hoornes vom 50. Grad im Atlantik bis zum 50. Grad im Pazifik 99 Tage. Und ein englisches Schiff kämpfte 74 Tage auf der gleichen Strecke und verlor dabei 6 Mann.

Die “Pitlochry” verließ am 26. Juni 1905 den Hamburger Hafen, warf drei Tage später am Ausgang der Straße von Dover die Leine des Schleppers und passierte am 28. Juli den Äquator. Am 23. August war Staaten Island, die Insel vor der Kap Hoorn-Region, erreicht, aber dann geriet die “Pitlochry” in die erwähnte Unwetterlage, verlor Großtop und Kreuz-Bramstenge, und bald darauf kam auch der Vortop von oben und riss den Bugspriet mit sich. Nur der letzte Mast, der Besan, blieb stehen und unter Aufbietung aller Kräfte gelang es, an den übrigen Mastresten ein Notrigg aufzubringen und die “Pitlochry” in Richtung Montevideo zu segeln. Die Mannschaft war am Ende ihrer Kräfte, als sie Anfang Oktober auf einen englischen Dampfer traf und von diesem eingebracht wurde. In Montevideo blieb das Schiff lange Zeit liegen, denn neue Masten mussten erst von Hamburg herangeschafft werden. Doch das Schiff mit dem Ersatzmaterial ging unterwegs verloren, so dass eine zusätzliche Wartezeit in Kauf genommen werden musste. Erst nach erfolgter Reparatur konnte die Reise zur Westküste nach Talcahuano fortgesetzt werden. Und erst im Frühjahr 1907 kam die “Pitlochry” mit einer Salpeterladung nach Hamburg zurück.
Kapitän Carl V. Jessen bedankte nun die Seefahrt und kehrte auf seine Heimatinsel Amrum zurück, wo er dann mit seinen Kapitänskollegen Wilhelm Tönissen (Kapitän der Viermastbark “Kurt”) und Willem Peters (Kapitän der Viermastbark “Olympia” u. a.) eine Kohlenhandlung betrieb, die noch an die folgenden Generationen übergeben werden konnte.

Haustausch der Brüder

Carl V. Jessen hatte einen Bruder, Hinrich. Derselbe war Schuster, Fleischbeschauer und Standesbeamter, ebenso Feuerwehrhauptmann der Freiwilligen Feuerwehr Nebel. Hinrich Jessen soll um 1890 das Haus “Pitlochry” auf dem Stavenplatz, Nr. 66 der alten Steuernummer, erbaut haben, nachdem die hier vorher stehende Kate abgebrochen worden war. Immerhin hatte hier der aus Jütland stammende Müllergeselle Peter Jensen Kristensen mit seiner aus Süddorf stammenden Frau Victoria, geb. Fink, und den zehn Kindern gewohnt, die aber fast alle in die USA auswanderten und um 1920 auch ihre Eltern herüberholten. Nur der Sohn Hans blieb auf Amrum – als langjähriger Müller der Amrumer Windmühle (Hans Maller).

Hinrich Jessen war ein origineller Standesbeamter. Bekanntlich hatte Amrum 1000 Jahre zum Königreich Dänemark gehört, aber Deutsch, zunächst bis etwa 1650 Nieder(platt)deutsch, dann Hochdeutsch, war die amtliche Schrift- und Briefsprache gewesen. Als Haus- und Umgangssprache aber hatte im alten Amrum doch das Friesische (Öömrang) dominiert. Wie dem auch sei, etliche Insulaner hatten mit Hochdeutsch gewisse Probleme. Und wenn Hinrich standesamtliche Trauungen zu vollziehen hatte, lautete die entscheidende Frage an das Brautpaar: “Und so frooge ich Dir…”, bis Hinrich darauf aufmerksam gemacht wurde, dass er das Brautpaar in amtlicher Eigenschaft nicht einfach duzen dürfe. Zukünftig fragte Hinrich nun: “Und so frooge ich Ihnen…”, womit die jüngeren Insulaner, inzwischen des Hochdeutschen etwas mächtiger, immer ihren Spaß hatten.

Hinrich Jessen erbaute eben vor 1900 ein gleichartiges Friesenhaus auf dem Mühlenhügel an der Straße nach Süddorf, wo er sich mit seinem Schuhmacherhandwerk einrichtete, aber bald das Gefühl hatte, es wäre besser, mitten im Dorf in seinem Haus Nr. 66 mit seinem Betrieb zu sitzen. Das Haus am Mühlenhügel wurde an seinen Bruder Carl verkauft, der sich hier mit seiner Familie, Ehefrau Therese, geb. Jensen, niederließ. Aber mit seiner Familie hatte der erfolgreiche Kapitän weniger Glück. Von den acht Kindern starben zwei Knaben körperlich behindert sehr früh, und der dritte starb als 20jähriger Jüngling 1935. Schon lange vorher, 1919, hatte Carl V. Jessen auch seine Frau, erst 45 Jahre alt, verloren, und die älteste Tochter Josephine musste für die anderen vier Töchter die Mutter ersetzen. Die fünf Töchter blieben auf Amrum, verheirateten sich hier und stellten mit ihren Kindern weitere Kapitäne Großer Fahrt in der Familie. Das hat Carl Victor Jessen aber nicht mehr erlebt. Er starb am 8. August 1936.
Im Hause Nr. 66 hat der Kapitän mit seiner Familie nie oder nur ganz kurz gewohnt. Das Gemälde der “Pitlochry” gehört also eher an das Haus an der Straße am Mühlenhügel, das im Jahr 2003 von der Familie Karen und Martin Drews aus der Konkursmasse der Fa. Claus Krause (Enkel von Carl V. Jessen) gekauft. Aber es erfüllt auch unten in Nebel, am Hause des Bruders Hinrich, seinen Zweck und vermittelt den zahlreichen vorbeikommenden Inselgästen und Einheimischen eine Erinnerung an eine ganz große Zeit der Inselfriesen, als allein die kleine Insel Amrum mit damals nur etwa 600 Einwohnern über 20 Kapitäne auf Großer Fahrt meldete.
Erst durch das Aufkommen der Dampfschifffahrt und insbesondere durch Versenkung im 1. Weltkrieg ging die jahrhundertelange Seefahrerzeit der Inselfriesen zu Ende. Auch das Schicksal des stolzen Laeisz-Seglers “Pitlochry” wurde durch Kollision mit einem Dampfer im englischen Kanal 1913 auf unrühmliche Weise besiegelt.
Bis um 1980 befand sich im Hause Meyer – Margot Lander in Nebel noch ein wunderschönes Ölgemälde des über die Weltmeere hinrauschenden Viermasters. Es ist heute verschollen, angeblich dem Raubzug eines Antiquitätenhändlers zum Opfers gefallen.

Georg Quedens

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