Ganz schön schräg… Suzie Bohm in der Amrumer Mühle


 

Ist das nicht ein kleines Haus da drinnen im Fisch? Aber hing an dessen roter Wand nicht eben noch ein großes blaues Spinnennetz? Und sitzt hier nicht das gleiche Haus auf einer Schaukel mitten in Afrika? Man muss schon genau hingucken und sich ein bisschen Zeit für’s Detail nehmen, wenn man die Bilder und Radierungen von Suzie Bohm in der neuen Mühlenausstellung anschaut und das kleine Schmunzeln entdecken will, dass hinter vielen der Exponate steckt. Oder hat mich etwa die schräge Hängung auf die Doppeldeutigkeit mancher Werke gestoßen? Zufall oder Absicht, dass so gut wie jedes Bild in der Mühle diesmal leicht schief hängt? (Ausnahmen bestätigen die Regel.) Ich will nicht recht glauben, die eigenwillige Hängung sei nur den alten Decken und Wänden geschuldet oder der schwierigen Befestigungstechnik für die vielen kleinen Formate.

Alle leicht schief… Absicht oder Programm?

Auf den ersten Blick mögen besonders die in den hinteren beiden Räumen der Mühle ausgestellten Werke klein und unscheinbar daher kommen, gar lauschig oder bieder wirken, doch auf den zweiten Blick haben sie es ganz schön „in“ sich – im wahrsten Sinn des Wortes.

Hinter Suzie Bohms Bildern stecken Geschichten – wie die von den ziemlich kräftigen „Mee(h)rjungfrauen“, die im flachen Wasser stehen und ausgiebig tratschen. Die leichte Ironie verbirgt sie gern in den Titeln ihrer Bilder. Wie würden Sie eine mit feinem Strich geritzte Radierung bezeichnen, auf der ein älterer Herr im Stil der vorletzten Jahrhundertwende unter einer kugelrunden, sehr irdischen Laterne auf dem Klavier spielt, während sich über ihm zwei ockerbraune Frauentorsi in die Lüfte erheben? Suzie Bohm nennt es lapidar „auch kleine Nachtmusik“ und sagt, manchmal zeichne sie gern etwas überzogen, mit spitzer Feder.

Könnten Sie widerstehen, eine Schwarz-Weiß-Radierung von zwei Gänsen vor einer Reetdach-Kate mit dem frohlockenden Titel „auf nach Kotzenbüll“ ironisch zu lesen (selbst wenn Sie wüssten, dass es diesen kleinen Ort in der Nähe von Tönning wirklich gibt)? Und was stellen Sie sich unter einem „Rosenkavalier“ vor? Vermutlich keine Farbradierung, auf der zwei Schafsköpfe verträumt durch ein Gestrüpp aus Hagebutten schauen. Also nehmen Sie die„ Föhrer Anisstöcke“ bitte genauso wörtlich wie „Birnen, Bohnen und Speck“ und die „Äpfel im Schlafrock“, ob radiert oder auf Kacheln handgemalt.

Schafe auf Papiercollage

In vielen Werken spiegeln sich Suzie Bohms Kindheitserinnerungen an ihre Nachkriegszeit auf dem Lande wider, sei es in den „Wruken“ für die Ausstellung „Omas Küche lebt“ oder dem ironischen „Wo kommen eigentlich die kleinen Friesenhäuser her?“ Eher nicht von Sylt, wo ihre Oma wohnte, sondern aus Nebel auf Amrum, sagt Suzie Bohm. Jahrgang 1942, geboren als Tochter eines Musikers in Stettin, wuchs sie als Flüchtlingskind in Schleswig Holstein auf, lernte einen „ordentlichen“ Beruf, heiratete und bekam drei Kinder, die bildende Kunst blieb zunächst Hobby. 1979 verschrieb sie sich der Radierung, „experimentierte mit Farben, ritzte, ätzte und druckte wie besessen zwischen Waschmaschine und Bügelbrett“. Sie fand ihren eigenen Stil, stellte 1982 ihre Bilder und Drucke zum ersten Mal aus und ist seit 1984 freischaffende Künstlerin.

Für ihre Radierungen nutzt Suzie Bohm unterschiedliche Techniken. So ist „Sarah ‚an’ Weißkohl“ eine Flächenätzung, das „nächtliche Rendezvous“ eine Farbradierung und die „Sauerscharfe Nudelsuppe“ eine Kaltnadelradierung. Ihre farbigen Drucke sind nicht koloriert, wie man meinen könnte, sondern „à la Poupée“ hergestellt, ein Verfahren bei dem alle Farben zusammen auf eine Druckplatte aufgetragen werden und die Radierung dann in einem Durchgang gedruckt wird, nicht Farbe für Farbe nacheinander von mehreren Platten. Entsprechend klein sind die Druckauflagen, manchmal umfassen sie nur einige wenige Blätter. Nicht immer sind es Blätter im klassischen Sinn – Suzie Bohm druckt auch auf Holz und so originellen Untergründen wie Lachs-Leder.

Radierung auf Lachs-Leder

Die Künstlerin lebt und arbeitet in einer 400 Jahre alten Rauchkate (anno 1616?) in Kiebitzreihe, einem Dorf nahe Elmshorn bei Hamburg, und ihr „kleines rotes Haus“ nimmt sie fast überall mit hin – in Fischbäuche, auf Baumschaukeln, ins Wintermärchen oder zum nächtlichen Rendezvous. Manchmal lässt sie das kleine rote Haus auch selbst erzählen. Inzwischen sind drei kleine Bände mit ihren grafischen Erzählungen vom roten Haus erschienen (Das kleine rote Haus findet Freunde, Neues vom kleinen roten Haus, Was ist ein Dänemark?). Schon seit 20 Jahren macht sie kleine Büchlein mit Radierungen und handgeschriebenen Texten, selbst hergestellt in kleiner Auflage. „Ich hab’ ein kleines Märchenbüchlein, da schreib ich meine kleinen Geschichten rein und mache ein Künstlerbuch daraus. Meine Geschichten sind Bilderbücher für 6- bis 96-Jährige.“

Suzie Bohm bezeichnet sich selbst als „Papierfreak“, schöpft ihr eigenes Papier und experimentiert mit den verschiedensten Sorten. „Das würde ich gern einmal auf Amrum vorstellen – einen Workshop, vom handgeschöpften Papier aus Altpapier oder Eierkartons über den Druck bis hin zum fertigen Büchlein“, sagt die Künstlerin.

Sie stellt aber nicht nur ihr Papier selbst her, sondern auch Papyrus – aus Pflanzen, Obst und Gemüse wie Kohlblättern, Lauch, Fenchel, Rettich oder Funkien. Erst muss dem Papyrus die Feuchtigkeit entzogen werden, beim Druck jedoch muss er wieder nass sein und anschließend getrocknet werden, ohne dass das filigrane Material reißt, schrumpelt und sich das Bild verzieht – ein handwerklich sehr aufwändiges Verfahren.

Der „gefräßige Sonnenbarsch“ und die anderen Fische auf Gemüse-Papyrus wirken so plastisch als seien sie aufgeklebt, doch es sind gedruckte Pappgravuren, also auf Pappe gezeichnet, geschnitten, reingeritzt und mit Spezialfarbe flink gedruckt, verrät die Künstlerin.

Aus Kohl, Rote Beete, Mohrrüben oder Steckrüben entstehen im kleinen roten Haus sogar essbare Bücher (“books2eat“) und andere Objekte wie Schuhe, Schmuck oder Hüte, die ihren Weg schon bis nach Süd-Korea gefunden haben. Den neuen Bikini aus Radieschen-Papyrus, der gerade auf der Leine im Atelier zum Trocknen hing, habe ihr Mann allerdings versehentlich mit dem neuen Industriestaubsauger aufgesaugt, berichtet Frau Bohm amüsiert. Am häuslichen Power-Sauger lag es jedoch nicht, dass ihre Papyrus-Objekte und Künstlerbücher in der Amrumer Mühle nur auf der Vernissage der 54. Sommerausstellung zu sehen waren, aber nicht mit ausgestellt sind. Es fehlten leider der Platz und eine geeignete Ausstellungsvitrine. Suzie Bohm liebt es zu erzählen. „Wenn ich mal still bin, heißt das schon etwas“, sagt sie. Sie erzählt nicht nur Geschichten, sie schreibt sie auch auf, und ihr Mann baut wunderbare Schmuckkisten dazu. Anzuschauen im Internet unter <www.suziebohm.de>.

Suzie Bohms Werk ist vielseitig. Es umfasst neben Radierungen, Künstlerbüchern, Papyrusobjekten auch auf Fliesen gemalte Bilder, Mischtechniken, Öl- und Acrylbilder, die vor allem im großen Raum der Mühle zusammengefasst sind. Sie zeigen Blumen und Boote, reetgedeckte Häuser, Puppen oder Matjes, Schafe neben Kois – und zeugen hintergründig von ihrer experimentellen Leidenschaft für Papier und altes Holz, vordergründig auch für den Versuch, jung und alt formal zu integrieren.

In der jüngsten Zeit hat sich Suzie Bohm stärker dem Malen zugewandt. Viele der ausgestellten Acrylbilder sind jüngeren Datums und geizen nicht mit Ironie. Darauf stapfen beinfreie Urlauber in gelben Friesennerzen eisern irgendwo ins Watt hinein und man darf auch das ländliche Idyll mit „mehr Mühlen – Mühlenmeer“ im Dunkeln um „6 Uhr 40 in der Früh“ gern hinterfragen. Bei dem, in Acryl wiederaufgenommenen Thema der Radierung „Saisonbeginn“ bleibt scheinbar nichts und niemand mehr ungewaschen, bevor die Gäste kommen. Ganz schön schräg, was da liebevoll inzwischen alles an der Leine hängt.

Zu sehen noch bis zum 18. August 2017 in der Amrumer Windmühle in Nebel. Täglich von 10:00 bis 13:00 Uhr und 14:00 bis 17:00 Uhr, montags aber nur bis 16:00 Uhr und sonntags erst ab 11.00 Uhr. Viel Vergnügen!

 

Print Friendly, PDF & Email

Über Astrid Thomas-Niemann

Astrid Thomas-Niemann ist gelernte Schifffahrtskauffrau sowie studierte Sprach- und Erziehungswissenschaftlerin. Sie hat viele Jahre als Schifffahrtsanalystin gearbeitet und lebt seit 2015 in Wittdün. Als junge Frau kam Astrid 1981 das erste Mal auf die Insel und besuchte auf Zeltplatz II die Niemanns aus Hamburg, die Amrum seit 1962 urlaubsmäßig die Treue halten, inzwischen bereits in der 4. Generation.

schon gelesen?

Mystische Orte auf Amrum 02 – Die Gräber vom Ual Hööw  (54°38´11´´ N / 8°22´30´´ O) …

Im Gegensatz zum ersten beschriebenen Mystischen Ort dieser Serie, dem Steinkreis (siehe dort), handelt es …

Schreibe einen Kommentar

WP2Social Auto Publish Powered By : XYZScripts.com