Schönes Buch: Der Rebell der Freiheit …


Liebe Möwe, wär ich ein Vogel wie du: Peter Mathews liest aus Harrings Schriften

Nein, kein Amrum-Buch. Aber spannend wie ein Insel-Krimi – und Liebe und Meer kommen auch drin vor. Wer Friesland und die Freiheit liebt, der sollte diesen Mann kennen:

Harro Harring war sein Leben lang ein Reisender in Sachen Aufstand. Der Sohn eines Deichgrafen, 1798 bei Wobbenbüll in eine Zeit der Unterdrückung und Kleinstaaterei hineingeboren, plädierte früh für ein Land ohne Grenzen, setzte sich für Frauenrechte ein und schrieb in Europa und Amerika gegen die Ausbeutung an. Die Geschichte dieses immer mit Dolch und leerem Geldbeutel umhervagabundieren Friesen kennt in seiner Heimat kaum jemand. Dabei hätte der friesische Wahlspruch Leewer duad üs slaaw – lieber tot als Sklave, gut im Futter seiner Revoluzzertracht stehen können, die ihm seine Mutter zum Abschied aus ihrem (schwarzen) Brautkleid genäht hatte. „Eine stürmische Natur“, schrieb die damalige Redakteurin der New York Daily Tribune über ihn. „Eine skurrile Figur mit einer unglaublich interessanten Geschichte“, sagt der Berliner Autor Peter Mathews, der Harro Harring ein 400 Seiten starkes Buch gewidmet hat, aus dem er dieser Tage in der Föhrer Ferring-Stiftung erzählte.

Frei zugänglich: der Nachlass Harrings in der Föhrer Ferring-Stiftung

Von Harrings sechs Geschwistern starben fünf sehr jung an Schwindsucht. Vielleicht agierte er auch deshalb so kompromisslos, weil das Thema Tod früh in sein Leben kam. Die Familie ist nach dem Tod des Vaters bankrott, und Harring braucht Ziele: Der Lehre zum Schreiber im Husumer Zollamt folgen ein paar Semester Malerei in Dresden. Er lernt berühmte Leute kennen und revolutionäre Ideen.

Die damalige Zeit war geprägt durch feudale Fürstenordnung und Kleinstaaterei unter dem österreichischen Staatskanzler Metternich, der sie Monarchie halten wollte und sie absicherte durch eine eher unheilige Heilige Allianz zwischen den Monarchen Russlands, Preußens und Österreichs. Da hinein nährte Harring seine Hoffnung auf Liberalismus, Meinungsfreiheit und demokratische Ideen, immer in der Gefahr, verfolgt zu werden. Er zog nach Griechenland (gegen die Türken) und nach Polen (gegen die Russen). Er wurde über zwanzig Mal verhaftet. Er floh über Frankreich nach London und Helgoland. „Zu der Zeit wurden in Preußen Grenztruppen alarmiert, wenn nur das Gerücht aufkam, Harring sei im Anmarsch“, sagt Mathews. Eine positive Spätfolge: Der Autor konnte sich bei der Recherche an dem Inhalt dicker Polizeiakten bedienen.

Warum nur wird so jemand von der Zeitläufte vergessen? Mathews hat eine Erklärung: „In den deutschen Geschichtsbüchern kommt nach Goethe gleich das Kaiserreich. Und der Vormärz, die Jahre dazwischen, haben einfach wenig Raum und Bedeutung.“

400 Seiten über einen freiheitsliebenden Friesen

In Südamerika, wo Harro Harring gegen die Sklaverei anschrieb, ist er heute ein bekannter Mann. In Polen wird er verehrt. Seine „Memoiren über Polen unter russischer Herrschaft“, von Reclam verlegt, wurden ein Bestseller – und kurz nach ihrem Erscheinen 1831. „Wir bekommen immer wieder Anfragen von polnischen Wissenschaftlern, die über Harring forschen“, sagt Dr. Volkert Faltings, Vorsitzender der Föhrer Stifung. Dort liegt Harrings Nachlass– die weltweit größte Sammlung seiner Schriften. Man hat sich in Alkersum beim Bieten gegen die Universität von Yale durchgesetzt; denn auch in den USA war Harring ein bekannter Mann. Es gründete sich sogar eine Harro-Harring Gesellschaft unter der Leitung des langjährigen Direktors des Flensburger Museumsbergs Dr. Ulrich Schulte-Wülwer.

In seiner Heimat versuchte Harring 1848 einen friesischen Freistaat auszurufen. Es gibt eine Fotografie, darauf inszeniert er sich wie ein Freibeuter. Aber wie immer ist er unorganisiert – und übermotiviert: Die Friesen können mit seinen aufrührerischen Worten nichts anfangen, sie wollen einfach nur ihre Ruhe.

Harring hat sich immer zu Friesland bekannt und war gleichzeitig Weltbürger. „Wenn er in seinem Leben Erfolg gehabt hätte, wäre er heute ein friesischer Nationalheld“, vermutet Mathews . Harring hat nicht nur glücklos revoluzzt. Er war auch oft unglücklich verliebt und immer chronisch Pleite. „Unter den 300 Briefen, die er an Freunde schrieb, gab es nur 20 oder 30, in denen er nicht schnorrt“, sagt Mathews. Harring hinterließ über 140 Bücher, darunter eine 1000-Seiten-Biografie, die er bereits als 30-Jähriger schrieb. Auch diese drei Bände hält die Ferring-Stiftung im Regal. Er war auch ein feiner Dichter und sprach neben Friesisch noch fünf weitere Sprachen. Zeit seines Lebens hatte er keine feste Bleibe, „wie eine Möwe“, befand er selbst über sich. Als er älter wurde, zog der wilde Strudel seiner Gedanken ihn fort. 1870, mit etwas über 70 Jahren, stieß er sich auf der Insel Jersey seinen Dolch in den Leib.

Peter Mathews Mischung aus Biografie und Geschichtsschreibung löst Harrings Leben in Szenen auf, die sich gut lesen lassen. „Ich wollte den Mann begreifen, und verstehen, wie er sich gefühlt haben mag. Für mich besteht seine größte Leistung in diesem unbedingten Willen, alles dem Freiheitsideal unterzuordnen.“ Damit qualifiziert sich das Buch eigentlich zur Pflichtlektüre der Friesen.

 

Peter Mathews: Harro Harring – Rebell der Freiheit. Europa-Verlag, München 2017; 447 S., 22,90 €

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Über Undine Bischoff

Journalistin und Texterin. Fuhr mit drei Jahren zum ersten Mal über den Kniep – in einer Schubkarre. Weil ihr Vater da draußen eine Holzhütte baute, zwanzig Feriensommerjahre lang. Betextet Webseiten und Kataloge, schreibt für verschiedene Medien und natürlich für Amrum News.

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