Hotel Inselblick – Wolken über dem Meer …


Erster Band einer Amrum-Hotel-Saga

Es fühlt sich unendlich wie Freiheit an: Nicole Steyer dieser Tage auf Amrum

Was passiert eigentlich mit Nele Bartels? Anke Petersen lacht in den Hörer und greift zur Schulkladde auf ihrem Schreibtisch. In dem zerrupften Heftchen steht alles drin. Jeder Charakter. Jede Wendung. Jedes Ende. Soviel Übersicht freut die Lektorin; zumal bei einer Vielschreiberin wie Anke Petersen. Über ein Dutzend Bücher sind es bisher, und dabei hat die 41-Jährige – Mutter zweier Mädchen – erst vor zehn Jahren begonnen, ihren Kindheitstraum „Ich will Autorin werden“ anzugehen. Vorher war Nicole Steyer, wie sie eigentlich heißt, Bürokauffrau. Mittlerweile schreibt sie unter drei verschiedenen Namen über ganz unterschiedliche Themen – aber Historie eint sie alle: Nun hat sie den ersten Band einer Amrum-Trilogie vorgelegt: Hotel Inselblick. Die  – na ja – Fast-Geschichte des ersten Hotels in Norddorf. Band zwei folgt im Juli. Band 3 Anfang nächsten Jahres.

Recherche-Material auf dem Schreibtisch: Jede Menge Quedens und viel Geschichte

Das Ganze stimmt nicht wirklich mit der Story des Hoteliers Heinrich Hüttmann überein. Aber es borgt sich Ambiente aus. Der Rest ist Fantasie, Begeisterung, Recherche und ganz viel (Georg) Quedens. „Ich hab viele seiner Bücher immer auf dem Schreibtisch.“  Ein paar echte Charaktere hat die Autorin ihrer Geschichte gelassen: Zum Beispiel den Seehundjäger Philipp Schau und Sine und Kaline Peters. In der kleinen Pension dieser beiden Schwestern soll Heinrich Hüttmann, der Gründervater des Hüttmannschen Hotelgeweses einst Herberge genommen haben. Fasziniert war Nicole Steyer sofort von Amrum, als sie 2004 das erste Mal kam. Inspiriert zur Inselhotelgeschichte hat sie ein Artikel im Kleinen Amrumer 2017 über die 125-jährige Geschichte des Hotels. Eine Fundgrube waren auch alte Reiseführer von vor über 100 Jahren, die sie als verlässliche Inspirationsquelle so schätzt und sich antiquarisch besorgt hat: Zimmer pro Tag 1,50 Mark, Ermäßigung für Kinder und Dienstboten, der Strandkorb 3 Mark die Woche, und eine Beschreibung des Papeteriegeschäfts der Witwe Schamvogel in Wittdün, die außer Papier und Schreibwaren auch Nippsachen verkauft, „welche zur Erinnerung an das Nordseebad gerne gekauft werden.“ Auch Witwe Schamvogel hat einen Platz in Nicole Steyers Buch bekommen.

Über 500 Seiten Amrum!

Die Geschichte drumherum: Eine gut betuchte Hamburger Familie 1892. Er Kaufmann, sie eingeheiratet, leidenschaftliche Köchin und Von-einem-eigenen-Hotel-Träumerin. Dann bekommt er für sein Asthma Amrum verschrieben. Sie macht ein kleines Hotel auf, die Tochter verliebt sich schon bei der Anfahrt in einen Föhrer … seufz. Aber, und so hat es das Lektorat vom Knaur-Verlag auf dem Rückumschlag verewigt, dann „schlägt das Schicksal zu“. Es kommt, das darf verraten werden, in Form einer heimtückischen Seuche, die damals ganz Hamburg erfasst hatte, und die die Autorin in ihrer Fantasie auf die Insel übergreifen lässt.

Nicole Steyer ist gerade wieder auf Amrum und fotografiert viel – aus jeder Perspektive; Farben und Gerüche wahrnehmen. „Was man halt macht, wenn man mit Worten versucht, ein Bild zu malen.“ Ansonsten:  „Meine Bücher müssen historisch gut recherchiert sein, Liebe muss eine Rolle spielen, sie sollen dramatisch sein und die Charaktere sollen gut rüberkommen.“ Besonders in ihre Nebenfiguren kann sie sich regelrecht verlieben. In der Nordsee-Trilogie folgt sie manchen durch deren gesamtes Leben, ob der Tochter aus gutem Hause oder Jasper Hansen, dem Kutscher, der eine Schnapsbude am Anleger in Wittdün hatte.

Gar nicht Plüsch sind manche Themen, die die Autorin als Nicole Steyer und Linda Winterberg bedient. Sie hat über die jüdischen Kinder geschrieben, die 1938/39 ohne Eltern nach England geschickt wurden, über Hexenverfolgung, die Pest und den 30-jährigen Krieg, das Schicksal der norwegischen Frauen, die im zweiten Weltkrieg ein Verhältnis mit deutschen Besatzern hatten und über die sogenannten Verdingkinder in der Schweiz.

Am Dienstag las Nicole Steyer bei Quedens in Wittdün, es wurde viel gelacht und nun sind auch genug Bücher auf Vorrat signiert. „Ich habe noch mal darüber nachgedacht, was mich an Amrum so fasziniert“, sagt sie. „Es ist die Weite. Es fühlt sich wie unendliche Freiheit an. Bei uns im Taunus versperren Hügel die Sicht, in Bayern, wo ich aufgewachsen bin, Berge.“

Jeden Morgen sitzt sie Zuhause am Schreibtisch. Großer Tisch, großer Monitor, sie hört Musik beim Schreiben, viel Klassik, manchmal Balladen, und der kreative Prozess ist eine Mischung aus Schreiben und Recherchieren. Acht bis 14 Seiten sollten es sein pro Tag. Ihr Mann, so sagt sie, muss damit leben, dass er alle Geschichten vorab erzählt bekommt. Sie spazieren gemeinsam durch den Taunus, und sie erzählt ihm die Plotts. „Er ist Schuld daran, dass ich nach Amrum gekommen bin. Er kannte die Insel, er hat hier mal geheiratet.“ Liebe eins, Liebe zwei – andere Geschichte.

Für Amrum-Schmökerfreunde ist das Buch super. Wen die echte Geschichte der Insel interessiert, der kaufe sich die Amrum-Chroniken von Georg Quedens. Die gibt es auch diesen Sommer zu Sonderpreisen. Man kann sich einfach irgendeinen Band nehmen und loslesen. Da ist auch alles drin: Liebe, Tod, Glück, Neid und andere Dramen.

Bei Nicole Steyer beziehungsweise Anke Petersen geht es in Teil 2 (Wind der Gezeiten) weiter mit der Inselbahn, Pastor Bodelschwinghs Moralpostulaten und den ersten Auswanderern. Teil 3 (Stürmische See) hat den ersten Weltkrieg zum Thema, wobei Steyer dabei mit Hilfe der Föhrer Historikern Karin de la Roi-Frey auf die sehr ausführlichen Texte des Norddorfer Lehrers Heinrich Arpe zurückgreifen konnte, der seinerzeit die Vorkommnisse auf der Insel sehr detailreich schilderte.

Auf dem Cover des Buches hat man vor den Amrumer Leuchtturm ein Reetdachhaus montiert. Es gehört mittlerweile zum medialen Dauerflausch, dass Amrums Wahrzeichen gern dort hingestellt wird, wo es am meisten schmückt. Manchmal steht er auch auf Sylt. Ein echter Fan verzeiht das.

Anke Petersen: Hotel Inselblick – Wolken über dem Meer, Knaur Verlag, 2019, 539 Seiten, 9,99 Euro.

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Über Undine Bischoff

Journalistin und Texterin. Fuhr mit drei Jahren zum ersten Mal über den Kniep – in einer Schubkarre. Weil ihr Vater da draußen eine Holzhütte baute, zwanzig Feriensommerjahre lang. Betextet Webseiten und Kataloge, schreibt für verschiedene Medien und natürlich für Amrum News.

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