Von Stürmen und Strandvögten: Georg Quedens’ neues Buch …


Aus der Bronzezeit – und jetzt leider kaputt: Quedens’ Bücherschreibmaschine

Das gute Stück ist kaputt. „Mein persönliches Corona-Erlebnis.“ Die Rede ist von der elektrischen Schreibmaschine von Amrums Inselchronisten Georg Quedens. Der alte Mann – achtzig plus – hat eine neue bestellt – bestellen lassen. Wie teuer? „Ungefähr 1100 Euro.“ Pause. Dafür bekäme man locker einen modernen Rechner mit allem Pipapo. „Da kann ich aber nicht mit umgehen“, sagt er. „Ich brauche nur ein Gerät, mit dem man tippen und korrigieren kann.“

Sein neues Buch hat er noch auf der alten Maschine geschrieben. Wahrscheinlich sogar auf der davor, denn „Orkanfluten – Gegen Inseln, Halligen und Küsten“ ist eigentlich nicht neu, aber jetzt – 25 Jahre nach Erscheinen – ergänzt und doppelt so dick und in schöner Aufmachung mit viel Farbe und großen Fotos noch einmal vom Ellert & Richter-Verlag in Hamburg herausgegeben worden. Deshalb sind wir verabredet. Bevor wir über Stürme und Strandungen reden, will ich wissen, wie sein Verhältnis zum Meer ist. Wie er es als kleiner Junge erlebt hat.

176 Seiten Sturm: Georg Quedens’ Buch „Orkanfluten“ kostet 12,95 Euro.

Die Worte kommen sofort: „Die Einsamkeit und die Stille dort draußen sind so groß, dass die Fischer zu singen beginnen bei Nacht.“ Es sind die Anfangsworte von Rolf  Dircksens „Insel der Vögel“, 1952 erschienen – ein wichtiges Buch für den Naturliebhaber Quedens. „Den Satz habe ich vor siebzig Jahren gelesen, und er hat sich mir eingebrannt. Er beschreibt meine ganze Jugendzeit“, sagt Quedens. „Mein Leben war das eines Wilddiebs: Eiersammler, Karnickelfänger und Schollenangler. Es waren Notjahre damals, die Insel übervölkert von Flüchtlingen, aber ich war jemand, der aus der Natur immer mit irgendetwas zurückkam.“ Mit Quedens über eins seiner Bücher zu sprechen – wie viele der Mann schon geschrieben hat, hat er selbst nur vage im Kopf („fünfzig bestimmt“) – , ist immer ein Eintauchen in die Vergangenheit: Eine Geschichte an der nächsten; er hat sie alle präsent und könnte sie sofort runterschreiben – vorausgesetzt, die Maschine läuft.

Als er klein war, habe er immer Grundangeln – sogenannte Huker – am Kniep und im Watt ausgelegt. Was heute verboten sei. Er hat gesungen da draußen: an „die Tage sind so dunkel, die Nächte lang und kalt“ erinnert er sich als erstes. Er war eigentlich immer alleine, „erfasst von Beutetrieb und Jagdleidenschaft“. Kaninchen hat er in ihren Löchern aufgelauert und ihnen dann per Handkante den Garaus gemacht. Viele Kinder waren damals in den Jahren um den Krieg herum die Ernährer der Familie, erzählt er.

Der Autor mit einem seiner Lieblingsbücher, Rolf Dircksens „Insel der Vögel“

„Es wehte am Nachmittag schon ein grauenvoller Sturm. Man konnte nicht mehr über die Düne laufen.“ Die Sturmflut von 1962 – „die Nordsee als Mordsee“, die er in seinem Buch sehr detailliert beschreibt – hat er im eigenen Haus erlebt – unten, kurz bevor Norddorf zu Ende ist. So hoch habe das Wasser gestanden, sagt er, und zeigt in der Stube die 20-Zentimeter-Höhe an. Nebenan schlief der kleine Sohn. „Ich meine, wir haben ihn damals nicht auf dem Bett genommen. Denn als das Wasser kam, war gerade Hochwasser, Und wir dachten, nun kommt nicht mehr viel. Und kam auch nicht. Die Flut blieb ein paar Zentimeter unter der Bettkante stehen.“

Sein Vater fuhr die Autos aus der unteren Garage, alle Elektrogeräte samt Ofen kamen auf den Tisch. „Wir haben hier neben dem Haus gestanden und dann konnte man auf einmal Föhr sehen, durch die Deichlücke“, erinnert er sich. „Karnickel, Hasen, alles floh aus den Marschwiesen hoch in die Dorfstraße.“ Deichbau und die nächste Flut 1976 sind auch Thema in seinem Buch.

Strandvogt Boy Peters bei der Arbeit (Abbildung aus dem Buch)

An manche der zig Strandungen, denen ebenfalls ein Kapitel gewidmet ist, hat er lebhafte Erinnerungen. Auch an Boy Peters, den Strandvogt, der das Holz, was er in seiner Eigenschaft als Ordnungskraft fand, mit seinem Zeichen versah. „BHP. Wir müssen das wohl die eine Nacht übersehen haben“, erzählt er. Als er seinen Vater weckte, weil er auf seinem Streifzug am Strand mächtige Balken entdeckt hatte. Gemeinsam luden sie die Beute auf einen Handwagen und wuchtete ihn vom Strand runter ins Dorf. Wo man, als man zum Haus abbog, jene Reifenspuren hinterließ, die den Strandvogt veranlassten, am nächsten Morgen an der Tür zu klopfen. „Gerade als wir die Säge angesetzt hatten. Wir waren ertappt. Es gab ein fürchterliches Donnerwetter, aber immerhin keine Anzeige. Wir mussten das schwere Stück wieder aufladen und es kostenlos zum Hause des Strandvogts befördern. Viele Regeln standen nach dem Krieg ja Kopf. Aber das Strandgesetz, das wurde streng beachtet.“ Quedens blättert sein Buch auf: Strandvogt Boy Peters samt Pferdekarren schön in Schwarz-Weiß auf einer Doppelseit

Wenn die neue Schreibmaschine da ist, will er ein Buch in Angriff nehmen, was seiner Meinung nach die letzte Nochnichtdrübergeschrieben-Lücke schließen soll: über die Vogelkoje, die alte bei Wittdün, die es schon nicht mehr gab, als das Gelände 1934 verkauft wurde. „Viele wissen gar nicht, dass es dort mal eine gab. Er liebt den stillen Ort. Zwei alte Fotos hat er reproduzieren lassen, die sind sein Anfang.

Georg Quedens: Orkanfluten, Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2020, 12,95 Euro.

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Über Undine Bischoff

Journalistin und Texterin. Fuhr mit drei Jahren zum ersten Mal über den Kniep – in einer Schubkarre. Weil ihr Vater da draußen eine Holzhütte baute, zwanzig Feriensommerjahre lang. Betextet Webseiten und Kataloge, schreibt für verschiedene Medien und natürlich für Amrum News.

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