Amrum 1939. Keine einfache Zeit, um sie zu recherchieren. Hans Toman hat es trotzdem gemacht, weil diese Insel zu jener Zeit ein Teil seiner Familiengeschichte ist. „Ich habe mich immer gefragt, wie kam meine Oma mit meiner Mutter als Kleinkind damals vom Böhmerwald auf diese Nordseeinsel.“ Toman, Schleswiger seit ein paar Jahren, Dozent in Flensburg für das Gebiet Grundschulpädagogik und Autor mehrerer Fachbücher zu diesem Feld, hat sich erstmals einem gesellschaftlichen Stoff gewidmet und die Geschichte seiner Oma nachzuerzählen versucht. Jene reiste damals in drei Tagen von ihrem Milchbauernhof im böhmischen Winterberg 1200 Kilometer quer durch Deutschland nach Amrum, um im groß angelegten Kraft-durch-Freude-Programm (KdF) der Nationalsozialisten vier Wochen Sommerfrische zu genießen. Kosten: 80 Reichsmark, damals etwa der halbe Monatslohn eines Arbeiters, erfuhr Toman.
Die Geschichte ist angereichert mit einer Romanze zum Fischer Boje Knudsen, die auf einem Halligausflug beginnt. Die Fischer, so hat Toman recherchiert, hatten damals Fangerlaubnisse für unterschiedliche Seebereiche und mussten um 22 Uhr wieder im Hafen sein. Man traf sich im „Lustigen Seehund“ in Steenodde, hörte Funkverkehre ab und war ansonsten recht unbehelligt von dem, was sich da am Horizont zusammenbraute. „Allerdings“, sagt Toman, „muss die Abreise meiner Oma im Sommer 39 von Amrum recht hektisch gewesen sein, so kurz vor den September-Ereignissen.“
Toman fährt erst seit fünf, sechs Jahren nach Amrum – der Kontakt ergab sich über eine Freundin seiner Frau. Aber von dem Eiland gehört, hat er immer wieder. „Meine Mutter sprach oft davon. Aber am meisten habe ich von ihrem Bruder erfahren – meinem Onkel.“ Zweieinhalb Jahre lang hat Toman seine Familiengeschichte recherchiert: mit Spaziergängen auf der Insel, alten Fotos und Heimatforschung in Böhmen.
Der 63-Jährige hat auf Amrum mit einigen aus der Quedens-Family gesprochen und in den Inselchroniken gestöbert. Überraschend für ihn sei gewesen, dass das große Kurhaus am Inselrand von Wittdün kein Kurhaus, sondern ein wirklich großes Luxushotel gewesen war, „wo auch Nazigrößen gefeiert haben. Das habe ich nicht gewusst.“ Auch dass die KdF-Unterkünfte kein zusammenhängender Gebäudekomplex, sondern ein loser Verbund von Einzelunterkünften in Wittdün waren, erfuhr er erst während der Arbeit am Buch.
Herausgekommen ist ein 200-Seiten-Roman, der knapp zur Hälfte Amrum zum Thema hat. Auch den Gedanken, es beim Verlag von Jens Quedens auf der Insel anzusiedeln, habe es mal gegeben; „aber Herr Quedens hätte sich dazu noch mehr Amrumbezug gewünscht.“ Teil 2 seiner Familiengeschichte will Hans Toman auch angehen: dabei soll seine Mutter im Vordergrund stehen, die zu Amrum-Zeiten noch ein kleines Mädchen war und später weiter auf dem böhmischen Bauernhof im Sudetenland aufwuchs. „Ich habe mich immer gefragt, warum sie erst so spät die Flucht ergriff, wo das doch so ein schwieriges Gebiet war.“ Toman entstammt einer Glasbläserfamilie – Großvater, Vater, Onkel –, denen war es – als wichtige Stütze des deutschen Exportgeschäfts – untersagt, ihre Heimat zu verlassen. Erst 1959/60 gelang der Mutter samt Familie mit Hilfe der französischen Botschaft in Prag die Ausreise in den Taunus. Dort wuchs Hans Toman auf, und dort erzählte ihm seine Mutter von Amrum. „Immer wieder. Aber ich habe es eben nie so als Thema wahrgenommen.“ Nun hat er es niedergeschrieben.