Auf halber Strecke zwischen Nebel und Norddorf findet man am rechten Rand der alten Landstraße (auch Wirtschaftsweg genannt) ein kleines Häuschen, dessen Zweck sich einem nicht so recht erschließen mag. Es steht quasi mitten im Nichts und hat scheinbar keine Verbindung zu irgendwelchen Gebäuden oder technischen Anlagen. Auffallend ist, dass es ein Türchen hat, offensichtlich verbirgt sich dahinter etwas Schützenswertes.
Mystisch ist es, und manch Kenner der Amrumer Sagenwelt vermutet hinter der Tür einen Eingang zur Unterwelt der „Onerbäänke“. Die onerbäänkin (amrumfriesisch = Unterirdische) waren ein Zwergenvolk, das, zumeist unsichtbar, in den auf der Insel reichlich vorkommenden Grabhügeln der Vorzeit lebten. Sie waren der Sage nach von Sylt und Föhr (woher denn auch sonst …..) nach Amrum gekommen, nachdem sie dort zunächst, ähnlich wie die Heinzelmännchen, gute Taten vollbrachten, dann jedoch mit den Friesen in Streit gerieten und von diesen entweder umgebracht oder eben vertrieben wurden.
Bis ins 19. Jahrhundert war der Glaube an diese gnomenhaften Wichte so lebendig, dass Mütter glaubten diese Wesen könnten ihre Kinder rauben oder gegen eines der ihren austauschen. Nun leben wir aber im 21. Jahrhundert und der Glaube an Zwerge, Wichtel oder Gnome hat doch im Zeitalter von Technik und Social Media deutlich abgenommen. Nur ein Norddorfer Lokal erinnert noch mit seinem Namen an die onerbäänkin. Dennoch ist es merkwürdig so ein kleines Gebäude an einem einsamen Ort vorzufinden, auch wenn dieses etliche Jährchen alt zu sein scheint, und offensichtlich schon lange den Witterungsverhältnissen ausgesetzt ist.
Wenn man mit offenen Augen über die Insel Amrum und durch deren Dörfer geht, findet man noch ganz viele weitere dieser Kästchen, die allerdings in enger Verbindung zu angrenzenden Häusern stehen. Und hierin liegt auch der Schlüssel zum Rätsel um das Gebilde: Es handelt sich um Telefonverteilerkästchen. Zumeist befindet sich darin der Abzweig vom Hauptkabel zu den Hausanschlüssen. Vermutlich stammen sie aus den 1950er Jahren und viele davon sind tatsächlich noch funktionstüchtig und in Gebrauch.
Tatsächlich gibt es auf Amrum noch eine ganze Reihe von alten Telefonanschlüssen mit 3- oder 4-stelligen Telefonnummern (erhält man einen neuen Anschluss sind die Nummern derzeit zumeist 7-stellig). Öffnet man so ein Kästchen zeigt sich eine heute nahezu vorsintflutlich anmutende Technik, die oftmals auch mit Spinnen oder anderem Getier bewohnt ist, und dennoch funktioniert!
So ein bisschen hübsch und „retro“ wirkt das Ganze schon, v. a. wenn man den Vergleich zu anderen technischen Verteilerkästen (Telefon, Strom u. a.) zieht, die aus den 80er oder 90iger Jahren stammen, oder noch jünger sind, und einfach nur hässlich aussehen. Es sei denn man lässt sie modernisieren und verschönern.
Warum nun das Telefonkästchen so mutterseelenallein und vermeintlich ohne Anschluss an der alten Landstraße steht kann keiner so recht erklären. Möglicherweise dachte man, dass die Umgebung einmal ein Baugebiet werden könnte und man hat vorsorglich schon mal einen Verteilerkasten installiert, oder das Hauptkabel braucht eine Pause mit Verbindung zur Außenluft. Oder es ist eben doch der Eingang zu den oonerbäänkin. Mystisch.