Die Ringeltaube hat die Inseldörfer erobert!
“Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach”, lautet ein altes Sprichwort. Aber mit dem Spatz in der Hand ist es auf Amrum nicht mehr weit her. Weil es an Hühnerhöfen und Kleinlandwirtschaft fehlt, ist der Spatz, genauer der Haussperling, in den Inseldörfern selten geworden.
Ganz anders hingegen die Taube, die Ringeltaube (Columba palumbus). Die früher scheuen Waldvögel haben sich in den letzten Jahren überall in ihrem Verbreitungsgebiet auch die Dorfgärten erobert und sind derzeit häufigster Gartenvogel, häufiger als die Amsel – deren Nachwuchsraten unter den vielen Katzen leiden – und häufiger auch als der Star, der in diesem Sommer auf Amrum fast vollständig ausgeblieben ist, vermutlich, weil es wetterbedingt an seiner Hauptnahrung, den Engerlingen der Wiesenschnaken, gefehlt hat.
Ringeltauben konnten sich auf Amrum erst um 1900 ansiedeln, nachdem die Bäume in der Vogelkoje Meerum hochgewachsen waren und auch die seit den 1880er Jahren betriebenen Aufforstungen auf der Westerheide bei Nebel und am Leuchtturm an Höhe gewannen. Vorher gab es auf der Insel kaum Bäume. Aber noch um 1980 wurde die Anzahl der im inzwischen aufgeforsteten Inselwald und in den Feldgehölzen brütenden Taubenpaare auf nur etwa 50 geschätzt. Und das Buch “Die Vogelwelt der Insel Amrum” meldet im Jahre 1983, “(…), dass die Ringeltaube noch nicht – wie vielfach andernorts – die Dorfgärten besiedelt hat”. Diese Beobachtung trifft heute nicht mehr zu. Im Zuge einer überaus starken Vermehrung dieser Art in ihrem gesamten Verbreitungsgebiet sind auch alle größeren Dorfgärten besiedelt worden, so dass die Gesamtzahl der Brutpaare sicherlich nicht unter 200 liegt. Sogar in Einzelbüschen in den Dünen oder am Boden unter Kiefern und Kriechweidengebüsch oder im dichten Strandhafer sind Ringeltaubenbruten zu finden.
In den Inseldörfern machen sich die Tauben schon frühmorgens bemerkbar. Aus den Bäumen und insbesondere von Dachfirsten erklingt das gutturale “Ruuruuruhu” der Ringeltauber, die ihr Revier markieren und abgrenzen bzw. abgrenzen müssen, weil oft kaum hundert Meter entfernt der nächste Tauber zu hören ist. Die Balzrufe der Tauber sind auch jetzt noch zu hören, denn alle Wildtauben (und natürlich auch die Haustauben) brüten im Laufe des Sommerhalbjahres dreimal. Selbst im Oktober sind noch Tauben zu beobachten, die knapp flügge Junge im Nest zu versorgen haben. Kein anderer heimischer Vogel brütet so oft – aber alle Tauben legen nur jeweils zwei weiße Eier in einem sehr dürftigen, aus wenigen Reisern gebauten Nest, bringen es also insgesamt nur auf sechs Eier im Jahr. Zum Vergleich: die Stockente legt 11, die Fasanenhenne bis zu 15 und das Rebhuhn bis zu 22 Eier – allerdings mit entsprechend großen Verlustraten unter den Küken.
Während draußen im Inselwald die eine oder andere Brut den Elstern und Krähen zum Opfer fällt und Habichte nur selten eine Rolle spielen, gibt es in den Dorfgärten kaum Feinde. Auch die Katzen klettern nur in Ausnahmefällen so hoch, dass sie ein Taubennest erreichen. Beispielsweise brütet im Garten des Verfassers schon seit fast zehn Jahren ein Ringeltaubenpaar, abwechselnd immer an den gleichen Stellen, das in diesem Jahr aber schwere Konkurrenzkämpfe bestehen musste, weil sich zwei andere Paare in der Nähe ansiedelten. Nicht selten flogen Unmengen von Federn der gegeneinander kämpfenden Tauber.
Entsprechend dem Zuwachs an Brutpaaren haben sich in den letzten Jahren auch die nichtbrütenden “Junggesellenscharen” vermehrt. Fast ganzjährig – auch im Winter, sofern kein Schnee liegt – bevölkern Ringeltauben die Feldmark und fallen im Sommer in Mengen in die Getreidefelder ein, so dass die Landwirte über erheblichen Wildschaden klagen. Die Ringeltaube hat deshalb auf Anordnung der Kreisverwaltung auf Amrum eine verlängerte Jagdzeit bekommen, was nicht unproblematisch ist. Denn wie erwähnt brüten Wildtauben bis in den Herbst hinein, und die Gefahr, Elternvögel abzuschießen, die noch Junge im Nest haben, ist nicht gering. Anständige Amrumer Jäger bemühen sich deshalb, nur Jungtauben (die übrigens auch viel besser schmecken) zu schießen, die am fehlenden Halsstreifen zu erkennen sind.
Im Revier Norddorf hat die Ringeltaubenjagd einen eher geringen Stellenwert, weil es hier an Getreidefeldern fehlt. Diese spielen hinsichtlich des Wildschadens aber auch in der Gemeinde Nebel nur eine bedingte Rolle. Denn Ringeltauben fallen nicht unter die gesetzlich bestimmten Wildarten, für die Wildschäden angemeldet werden können.
Die anderen Wildtaubenarten stehen unter Naturschutz.
Einwanderer aus Südosteuropa
Während die Ringeltaube in den letzten Jahren trotz starker Bejagung einen kaum erklärlichen Siegeszug ihrer Vermehrung und Verbreitung verzeichnet, ist die Mitte der 1950er Jahre hier eingewanderte Türkentaube (Streptopelia decaocto) wieder auf dem Rückzug. Zwar ist sie noch in allen Inseldörfern mit einigen Brutpaaren vertreten, aber sehr viel seltener als noch in den 1960/70er Jahren, als sie sich bei den Gästewirten während der Saison sehr unbeliebt machte. Denn allzu durchdringend und ruhestörend was das “Huhu huhu” des balzenden Taubers, schon von den allerfrühesten Morgenstunden an. So mancher Insulaner griff deshalb verbotenerweise zur Luftbüchse oder zum Kleinkaliber, um dem Treiben ein Ende zu bereiten. Es ist schon bezeichnend, aber weltweit überall gleich, dass Menschen eher den Lärm nächtlicher Auto- und Motorradraser oder das kilometerweite Dröhnen von Open-Air-Musik akzeptieren als Geräusche aus der Tierwelt. Früher schlachteten die Amrumer zu Beginn der Saison sogar ihre Hähne, damit diese die Nachtruhe der Kurgäste nicht störten!
Der Rückgang der Türkentaube an ihrer nördlichen Verbreitungsgrenze könnte sich auch, wie bei den Haussperlingen, durch das Verschwinden von Geflügelhaltung und Kleinlandwirtschaft erklären. Denn im Winter sind diese Tauben auf solche Futterstellen angewiesen.
Auch über die zierliche und seltene Turteltaube (Streptopelia turtur) liegen im Buch “Die Vogelwelt der Insel Amrum” einige Beobachtungen vor.
Für 1982 wird sogar ein Brutverdacht genannt. Aber eine Bestätigung blieb aus, und heute ist die Turteltaube in der Bundesrepublik in weiten Teilen faktisch ausgestorben, wobei vor allem die Elstern, gegen die die zierliche Taube ihre Brut kaum verteidigen kann, eine verhängnisvolle Rolle spielen.
Dagegen hat sich auf Amrum seit den 1970er Jahren eine Wildtaube etabliert, die von Natur aus eigentlich nicht in unsere einheimische Vogelwelt gehört – die Hohltaube (Columba oenas). Der Ornithologe Hans-Dieter Martens meldete eine aus einer Kaninchenhöhle herausfliegende Hohltaube, und auch Möweneiersammler jener Zeit erinnerten sich an die aus den Höhlen in den Inseldünen herausflatternden Wildtauben. Hohltauben sind als Höhlenbrüter bekannt, allerdings eher in Wäldern mit alten Bäumen und Spechthöhlen. Aber in Dünen und Wildkaninchenhöhlen? 1979 wurden dann auf der Odde die ersten Jungen in Kaninchenhöhlen entdeckt, im folgenden Jahr auch in den Dünen nahe der Vogelkoje. Konzentrierte Beobachtungen ergaben, dass die Hohltaube auf Amrum nicht selten ist und hier mit bis zu 100 Paaren brütet. Charakteristisch sind auch die Balzrufe von Hohltaubern von hohen Dünen – ein ursprünglicher Waldvogel unter den Rufen von Möwen und Austernfischern!
Wie alle Tauben legt auch die Hohltaube pro Brut nur zwei Eier und brütet deshalb bis zu dreimal im Laufe des Sommers. Auch noch im Oktober, wenn alle Seevögel die Dünen längst verlassen haben, sind Hohltauben noch als Brutvögel unterwegs.
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