“Keine Füchse auf Amrum” – In bundesdeutschen ornithologischen Nachrichten wurde dieses positive Merkmal für die Amrumer Vogelwelt des öfteren hervorgehoben und auf das traurige Gegenbeispiel der Nachbarinsel Sylt verwiesen, wo sich nach dem Bau des Hindenburgdammes infolge der Verbindung zum Festland seit den 1930er Jahren Populationen inselfremder Tierarten aufgebaut haben, darunter eine solche von “Meister Reineke”. In manchen Jahren beträgt die Strecke von Füchsen auf Sylt bis zu 120 Tiere! Die Folge für einige Bodenbrüterarten: Sie sind von der ehemals an Seevögeln reichsten deutschen Nordseeinsel verschwunden, so dass Sylt heute die an Brutvögeln ärmste Nordseeinsel ist. Von den früheren zehntausenden Möwen brüten heute nur noch einige wenige auf Sylt, und zwar aus begründeter “Fuchsangst” auf den Dächern des Badeortes Westerland, zum Schrecken der Kurgäste auf der Strandpromenade, die im Kiosk Eis, Würstchen oder Pommes Frites gekauft haben und diese nun an die Möwen abliefern müssen, die im raschen Vorbeiflug die Menschenhand berauben.
Fuchsalarm gab es vor knapp 30 Jahren aber auch auf Amrum! Mit schlimmen Folgen für die hiesige Vogelwelt. Zivis des “Öömran Ferian” entdeckten im Juli 1996 nördlich von Nebel-Westerheide eine erweiterte Kaninchenhöhle, in der offenbar eine Fuchsfähe ihren Nachwuchs großgezogen hatte. Der Bau war jedoch schon von den erwachsenen Jungfüchsen verlassen worden. Aber vor dem Bau bot sich ein wahres Schlachtfeld von Vogelkadavern. Möwen, Enten, Hohltauben, Dohlen (beide als Höhlenbrüter vor Kaninchenhöhlen erbeutet) und Austernfischer lagen als Überreste von Fuchsmahlzeiten vor dem Bau. Naturschutz und Jäger auf Amrum wurden alarmiert. Aber auch die Medien waren mit Reportern zur Stelle. Es war nun klar, warum die Herings-, Silber- und Sturmmöwen in dem großen Dünengebiet wohl auf ihren Brutplätzen saßen, aber nur halbfertige Nester gebaut und kaum Eier gelegt hatten. Genau das gleiche Bild, das der Verfasser Jahre zuvor im Listland auf Sylt erlebt hatte, wo die Möwen ebenfalls von Füchsen vertrieben worden waren.
Abends wurden die Brutplätze im NSG von allen Möwen verlassen, und ein Teil der Tiere übernachtete auf dem Kniep, aber die meisten flogen aus Fuchsangst zum Schlafen hinaus zu den Seesänden, Kilometer vor der Amrumer Küste. Spuren im Dünensand des NSG verrieten, dass hier nachts die Fuchsfamilie unterwegs war, die Fähe, ein zugehöriger Rüde und fünf bis sechs Jungtiere. Die genaue Zahl des Nachwuchses wurde nie ermittelt.
Fünf, sechs, sieben Füchse waren nun Nacht für Nacht auf Amrum unterwegs, und die Panik unter der Vogelwelt war inselweit. Auch auf der Odde und in den Wittdüner Dünen, wo die Füchse nicht gesichtet wurden, verbreitete sich die Panik, und auch dort verzichteten die Möwen auf eine Brut.
Dann folgte eine Welle der Vermutungen und Gerüchte. Wie waren die Füchse – ein Paar mit einer trächtigen Fähe – nach Amrum gekommen? Füchse mögen kein Wasser. Zwar können sie schwimmen, tun dies aber nur ungern und in Notfällen. Eiswinter mit zugefrorenem Watt hatte es in der fraglichen Zeit nicht gegeben. Blieb als sehr kleine Möglichkeit, dass die Füchse vielleicht vor einer Treibjagd mit Hunden bei Ebbe aus der Gegend von Morsum auf Sylt über das Watt nach Amrum geflüchtet waren – aber eher unwahrscheinlich, denn dann wären sie zuerst auf Föhr an Land gekommen und sicherlich dort geblieben. Es blieb nur die plausibelste Erklärung, nämlich dass die Tiere durch Menschenhand nach Amrum befördert worden waren, vielleicht, weil ein Landwirt über das Zuviel an Wildgänsen verärgert war? Aber dafür ist ein Fuchs keine geeignete Gegenmaßnahme. Denn die Tausenden von Nonnengänsen, die von September bis Mai die Insel bevölkern, sitzen wohl tagsüber auf Wiesen und Feldern, fliegen aber zum Übernachten hinaus auf das Wasser im Watt oder in der nahen Nordsee.
Aber es kommen auch Bioideologen in Frage, die in zunehmender Zahl die Welt bevölkern und von denen der eine oder andere durchaus von der Idee befallen gewesen sein könnte, Amrum als vortreffliche Heimat für Füchse anzusehen. Tatsächlich war die Insel mit ihren bodenbrütenden Seevögeln, Wildkaninchen und früher auch mit den Mengen an Wühlmäusen für Füchse und sonstiges Raubwild ein Paradies.
Die Amrumer Jäger – und damals waren es noch etliche mehr als heute – setzten sich im wahrsten Sinne des Wortes auf den Hosenboden, auf Ansitz in der Vogelkoje oder auf hohen Dünen und legten Luderplätze mit Fleisch- und Fischresten an und stellten Käfige mit Hühnern auf, um die Füchse vor ihre Flinten zu locken. Tatsächlich wurden binnen einiger Monate drei Jungfüchse erlegt. Ein vierter wurde von einem Auto überfahren.
Von den “höheren” Naturschutzfunktionären waren allerdings kein Rat und keine Hilfe zu erwarten. Hier führten wie in Vereinen und Ämtern die Ideologen das Wort, die für einen “freien Lauf der Natur” plädierten. So hieß es im – allerdings umstrittenen – Synthesebericht zum Nationalpark Wattenmeer wortwörtlich: “Gezielte Eingriffe im Sinne einer Regulierung, z. B. Bekämpfung von Füchsen in Brutgebieten von Seeschwalben (bzw. von Seevögeln) sollen im Nationalpark grundsätzlich nicht durchgeführt werden – sie können allenfalls als Ausnahmefälle (…) geregelt werden”. Und der Leiter des Umweltamtes der Landesregierung schrieb, es wäre doch interessant, das Nebeneinander von Füchsen und Seevögeln zu beobachten … der Schaden durch den Fuchs sei minimal, “denn er frisst ja nur, um satt zu werden…”
Die Ungeheuerlichkeit solcher Aussagen verrät, dass deren Verfasser von den Realitäten in der Natur keine Ahnung hatten. Und schlimmer noch war, dass sie an den Spitzen der Naturschutz-Legislative saßen, wo Maßnahmen zum Naturschutz beschlossen wurden.
Wie Füchse agieren, konnte im folgenden Jahr 1997 in der Inselnatur beobachtet werden. Um “satt zu werden”, hatte ein Fuchs Ende Mai im NSG Amrum-Odde nicht weniger als 85 Vögel – Möwen, Eiderenten und Hohltauben – am Brutplatz totgebissen. Einige tote Vögel wurde an das Veterinäramt in Neumünster gesendet, um einen möglichen Seuchentod auszuschließen. Aber in allen Fällen wurde als Todesursache Raubtierbiss (im Gutachten als “Spitztrauma” bezeichnet) diagnostiziert.
Das zweite Fuchsjahr in der Amrumer Vogelwelt
Medien hatten inzwischen das Drama um die Füchse über die ganze Bundesrepublik verbreitet und entsprechende Reaktionen ausgelöst. In der Jagdpresse wurde das Bemühen der Amrumer Jäger, die Gefahr für die Amrumer Vogelwelt durch scharfe Bejagung der Füchse zu bannen, begrüßt, während die Spitzen der Naturschutz- und Umweltbehörden darauf hinwiesen, dass der Fuchs seit Urzeiten zur europäischen Tierwelt gehöre und ja “nur das erbeutet, was er für seinen Hunger braucht”. Diese und andere eher positive Stellungnahmen zu den Füchsen auf Amrum sind nachzulesen im Archiv des Verfassers. Sie werfen ein erschreckendes Licht auf den ideologisch begründeten Naturschutz. Erst später wurde erkannt, dass es Erscheinungen gibt, wo das Prinzip “Natur Natur sein lassen” seine Gültigkeit verliert. Heute werden an Vogelschutzgebieten aufwendige Elektrozäune installiert, um vor Füchsen, Mardern und neuerdings auch Marderhunden zu schützen.
In “Danmarks Dyreverden” ist zu lesen, dass zuerst die Eiderenten verschwinden, wenn Füchse z. B. über das Eis zu einer bisher fuchslosen Insel gelangen. Es folgen die (nachtblinden) Möwen und Seeschwalben, während Austernfischer und Kiebitze (nicht nachtblind) besser mit Füchsen zurechtkommen – eine Meldung, die auch von Sylt bestätigt wird.
Die Eiderente – einst “Wappenvogel” von Amrum und in den 1950/60er Jahren mit ca. tausend Brutpaaren gezählt, ist bis auf Reste als Brutvogel von der Insel verschwunden, eine Entwicklung, die allerdings schon vor dem Erscheinen der Füchse festgestellt wurde und die sich dann natürlich verstärkt hat.
Durch Räude ausgerottet?
Mit einigem Bangen wurde die Brutzeit 1997 auf Amrum erwartet, denn es waren zwar diverse Jungfüchse erlegt, aber andere und die vermutete Altfähe und der zugehörige Rüde waren möglicherweise noch unterwegs zur weiteren Vermehrung. Die Brutzeit begann aber zur Erleichterung der Amrumer Naturfreunde relativ normal. Das Gelände, so auch die Dünen der Naturschutzgebiete von der Odde bis nach Wittdün, wurde von Möwen und anderen Seevögeln besetzt, und im Gegensatz zum Vorjahr wurden auch Nester gebaut, Eier gelegt und Jungvögel erbrütet. Und die Vögel hielten sich an ihr Brutrevier ungeachtet der Füchse. Denn diese hinterließen unverändert ihre Spuren, mieden aber erkennbar die Kolonien der Großmöwen (Herings- und Silbermöwen) und trieben ihr Unwesen am Rande, in den Kolonien der kleineren Sturmmöwen. So wurden in einer Kolonie in einer Nacht 49 halbflügge Jungvögel totgebissen, in einer anderen 19 Tiere. Und eine Lachmöwenkolonie auf dem Kniepsand wurde vollständig vernichtet. Über 20 totgebissene Lachmöwen lagen auf dem Nest oder in Nestnähe im Gras, und es war erstaunlich und unterstrich die Nachtblindheit der Möwen, dass die Tötung sich offenbar unbemerkt im Abstand von jeweils nur einem Meter abgespielt hatte. In allen Fällen war immer nur bei einer Möwe das Brustfleisch angefressen.
Einige Male hatten sich die Füchse dann doch in die Brutgebiete der Großmöwen hineingewagt, und dabei bot sich immer das gleiche Bild einer “Todesspur”: Alle zwanzig, dreißig Meter eine tote Möwe, so wie sie dem Fuchs bei seinem Weg durch das Brutgebiet nachtblind vor die Schnauze gekommen war.
Auf Amrum wurde befürchtet, dass sich eine weitere Fuchsfamilie gründen und wie drüben auf Sylt eine wachsende Population auf der Insel entwickeln und damit das Ende der insularen Vogelwelt besiegeln würde. Aber dann gab es, noch gerade vor Beginn der Hauptbrutzeit, am 11. Mai einen Lichtblick. In den Dünen nahe der Vogelkoje Meerum konnte ein Rüde erlegt werden, der hochgradig von Räude gezeichnet war. Von dieser Krankheit hieß es, dass sie einen Fuchsbestand völlig ausrotten kann, so z. B. auf der dänischen Insel Bornholm geschehen. Andere Nachrichten in der Literatur meldeten allerdings, dass Füchse die Räude bei gutem Nahrungsangebot auch überleben können. Auf Amrum gab es ein solches Nahrungsangebot. Aber es zeigte sich, dass es 1997 keinen Fuchsnachwuchs auf Amrum gab, und nachdem noch am 14. Januar 1998 eine gesunde Fähe an der Wittdüner Vogelkoje zur Strecke kam, waren die Füchse faktisch von Amrum verschwunden.
Wieder Füchse auf Amrum!
Die Vogelwelt erholte sich. Aber es blieb die Frage: wer hatte im Frühjahr 1996 (oder schon früher?) die Füchse auf Amrum ausgesetzt und welche Motive steckten dahinter? Diese Frage ist bis heute ungeklärt, aber die Furcht blieb, dass sich erneut ein Insulaner oder ein auswärtiger “Verrückter” bereit fände, durch ein unverantwortliches Manöver der an Seevögeln reichsten Nordseeinsel die größte Naturattraktion zu rauben.
Die Dramatik, die die Füchse in der Inselnatur verursachten, hat natürlich in der Bevölkerung, bei Insulanern und Inselgästen, entsprechende Aufmerksamkeit erzeugt, und immer wieder wurden in den letzten Jahren Füchse gemeldet, auch von Tierkundigen, z. B. Falknern. Aber die Sichtungen wurden nie bestätigt bzw. durch stichhaltige Beweise nachgewiesen.
Nun aber hat ein hiesiger Naturkenner und Jäger die Anwesenheit eines Fuchses tatsächlich bestätigt, und zwar in der Gegend um “Guskölk” bei der Wittdüner Vogelkoje, also im Südteil von Amrum. Der Fuchs ist allerdings ein Lauftier und kann in einer Nacht sowohl auf der Odde als auch beim Leuchtturm erscheinen. Amrumer Jäger – es sind etliche weniger als noch vor einigen Jahren – stehen nun vor der Aufgabe, den oder die Füchse zu erlegen, bevor die nächste Brutzeit ansteht. Gleichzeitig stellt sich wieder die Frage, wer wohl für diese neuerliche Schandtat verantwortlich sein könnte?
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