„Alterspubertier“ – neulich gehört, schnell gegoogelt und gelesen: Was früher als „Midlife Crisis“ bezeichnet wurde, wird jetzt oft als „Alterspubertät“ bezeichnet. Laut Definition werden Menschen ab 45 dann plötzlich seltsam. Männer, die früher nie sonderlich viel Sport getrieben haben, fangen plötzlich an Marathon zu laufen und nehmen das ziemlich ernst. Frauen, so liest man, begeben sich dann oft auf eine große Sinnsuche. Sie wollen sich noch mal ganz neu entdecken und werden Yoga-Lehrerin oder belegen Töpferkurse. Sehr schön ist das übrigens alles zu lesen in dem Buch „Es ist nur eine Phase, Hase“- ein Trostbuch für Alterspubertierende von Maxim Leo und Jochen Gutsch. Ein Tipp für alle, die es genau wissen wollen.
Okay… mal überlegen… in meinem Freundeskreis sind eine Menge „Alterspubertiere“. Auf irgendeine Art sind sie alle seltsam – mich eingeschlossen. Einer hat tatsächlich auch angefangen Marathon zu laufen … sehr lustig – scheint also zu stimmen.
Meine Tochter und mein Sohn – inzwischen erwachsen – zeigen mir auch heute noch ab und zu den Vogel. Meine Frau auch. Anscheinend immer wenn ich gerade „alterspubertiere“.
Vor einigen Jahren waren wir z.B. mit unserer Tochter in München. Wenn Töchter von einem „Alterspubertier“ flügge werden, muss man ihnen einiges mit auf den Weg geben – dachte ich. Beispielsweise kann es nicht schaden, der Tochter bei der Auswahl eines zukünftigen Freundes gute Ratschläge zu geben.
Unsere Woche in München eignete sich meiner Ansicht nach hervorragend dazu. Einfach nur mal damit sie weiß, was ich mir so vorstelle.
Gleich beim ersten Stadtbummel stellte ich fest, dass sich das Vorhaben nicht so ganz einfach gestaltete. Dazu müssen Sie wissen, dass meine Tochter 1,80 m groß ist. Da fallen also schon mal alle Männer unter 1,80 m durch das Raster. Statistisch gesehen bleiben dann weniger als die Hälfte über.
Alle Typen mit zur Seite gedrehter Schirmmütze und alle sonst schon auf den ersten Blick durchgeknallten Kerle konnte ich ebenfalls ausschließen. Was soll ich sagen … nach einer Woche München konnte ich meiner Tochter nur drei junge Männer als mögliche Kandidaten – sozusagen im Vorbeigehen – präsentieren. Keine tolle Ausbeute. Meine Frau zeigte mir aus dem Hintergrund einen Vogel. Genau – da haben sie es … ich hatte schon länger das Gefühl, dass ich von meiner Familie teilweise schlecht behandelt werde. Aber egal. Trotzdem denke ich, dass meine Tochter mir echt dankbar für diese Tipps war. Sie konnte das zwar damals nicht so richtig zeigen, aber Dankbarkeit ist ja in der Pubertät immer ein schweres Thema.
Später zog meine Tochter zum Studium nach Hamburg. Schöne Stadt. Überall Wasser. Sie wohnte in Altona in einem nagelneuen Studentenwohnheim mit einer Freundin, die sie auf Samoa kennengelernt hatte. Wie das Leben eben so spielt …
Beim Einzug musste ich feststellen, dass es sich um eine gemischte Wohnanlage handelt – also hier wohnen nicht nur Frauen sondern auch Männer.
Ich fuhr also mit dem Aufzug vom 4. Stockwerk – in dem meine Tochter wohnte – nach unten ins Erdgeschoss, um den nächsten Umzugskarton aus dem Auto zu holen (gefühlt der Hundertste … ). Unten stieg ein sympathischer junger Mann ein. Sozusagen ab sofort ein Mitbewohner meiner Tochter. An seinem zufriedenen Grinsen konnte ich ihm ansehen, was er die nächsten Wochen alles so plante. Man(n) war ja selber mal jung. Spontan entschied ich mich, nochmal mit hochzufahren und die Aufzugfahrt zu einem kurzen Gespräch zu nutzen. Als wir (in seinem) 5. Stock angekommen waren, versprach er mir, niemals auch nur auf den Gedanken zu kommen, einen Fuß in das 4. Stockwerk zu setzen. Um mit Rüdiger Hoffmanns Worten zu sprechen: „Er hat es auch gleich eingesehen“. Aber das war natürlich nur ein Gedankenspiel.
Meine Tochter studierte in Hamburg dann Ethnologie und Politikwissenschaft. Was man damit macht? Wusste ich anfangs auch nicht. Daraufhin las mir meine Tochter eine lange Liste vor – dauerte bestimmt 10 Minuten. Da waren schon einige interessante Möglichkeiten dabei. Bei dem Begriff „Auswärtiges Amt“ horchte ich natürlich gleich auf. Ich sah mich im Geiste an eine mindestens drei Meter hohe und tonnenschwere Eichentür klopfen mit der Aufschrift:
DEUTSCHE BOTSCHAFTERIN IN KOPENHAGEN
Ok – das ist vielleicht noch ein bisschen zu weit in die Zukunft gedacht aber ich bin da eben sehr pragmatisch. Daraufhin bekam ich schon wieder von allen den Vogel gezeigt – anscheinend ein echter Beweis für „Alterspubertät“.
Letzt hatten wir Besuch und auf die Frage, was sie denn nun mit dem Studium so vorhabe, sagte meine Tochter: „Keine Ahnung, ist ja nur ein Interessenstudium“. Ah ja … nun wusste ich das also auch. Verdammt bis jetzt kannte ich nicht mal das Wort Interessenstudium. Also Kopenhagen Adé.
Inzwischen hat sie „ausstudiert“ und (hoffentlich) eine Menge gelernt. Dieses Wissen wendet sie auch teilweise gerne an. Z.B. habe ich erfahren müssen, dass in vielen Ethnien die Bedeutung des biologischen Vaters völlig egal sei. Wichtig sei der soziale Vater. „Ok“, sagte ich, „in den heutigen Patchworkfamilien ist das mangels biologischer Väter und familiären Überschneidungen ja oft ähnlich. Da kannst Du aber froh sein, dass bei Dir der biologische und der soziale Vater ein- und dieselbe Person ist“, verbreitete ich mit leicht stolz geschwellter Brust. Daraufhin sagte meine Tochter, dass es ihr völlig egal sei, wer ihr biologischer Vater ist. Der soziale Vater sei ihr der Wichtige.
Ja, ja … schwere Zeiten für ein „Alterspubertier“. Traf mich dann abends mit meinen Freunden, wie schon erwähnt, ebenfalls Alterspubertiere. Wenn ich mich recht entsinne, weinten wir erst mal eine Runde zusammen.
Also … Kopf hoch ihr Alterspubertiere, es ist nur eine Phase J
Danke, dieser Artikel ist zu gut! Genau so kann ich das nachfühlen. Also sind auch Inselbewohner den selben Lebensumständen ausgesetzt ,wie wir Berglandbewohner!