Wer aufmerksam über die Insel Amrum wandert, wird sie bemerken. Vier Granitplatten, in die Schriftzüge eingemeißelt sind, erregen die Aufmerksamkeit des Betrachters. Sie stehen in Wittdün im Kiefernweg, dort, wo der Bohlenweg hinauf zur Aussichtdüne beginnt, in Norddorf am Wirtschaftsweg („alte Landstraße“), von Nebel aus kommend kurz vor dem Reiterhof Andresen, in Steenodde, in der Kurve am Abzweig zur Straße Ual Hööw, und in Nebel im Waaswai am Eingang zum Öömrang-Hüs.
Wer nun der friesischen Sprache nicht mächtig ist, wird den Text nur schwerlich lesen können, ist dieser doch auf Öömrang, dem Amrumer Inselfriesisch, verfasst. Auf jedem der vier Granitfelsen ist je eine Strophe des Amrumer Heimatliedes „Min öömrang lun“ eingraviert. Es handelt sich hierbei quasi um die „Nationalhymne“ der Amrumer, die bei allen festlichen und denkwürdigen Ereignissen gesungen wird.

Es war kein Amrumer, der dieses Lied Anfang des 20. Jahrhunderts geschrieben hat! Der am 11. Januar 1885 in Oevenum auf Föhr geborene und am 30. Juli 1949 im dänischen Aarhus verstorbene Lorenz Conrad Peters (auf friesisch: Luurens-Kunrad Peeters) war ein nordfriesischer Autor, Sprachpfleger, Heimatforscher und Studienrat. Man sagt den Insulanern von Föhr und Amrum untereinander ja eine gewisse „Hassliebe“ nach (ähnlich dem Verhältnis zwischen Köln und Düsseldorf oder Schalke 04 und Borussia Dortmund), umso bemerkenswerter ist es, dass Amrum den Text und das Lied eines Föhrers zum Preis- und Lobgesang ihrer Insel gewählt haben.

Mit dem Absingen ihrer Regionalhymne beschreiben die Amrumer die Schönheit und Einmaligkeit der Natur, aber auch die Kargheit in früheren Zeiten, den großen Zusammenhalt in der Bevölkerung und drücken mit der letzten Zeile einer jeden Strophe ihre Liebe zu ihrer Heimatinsel aus:
- Strophe Wittdün
Dü min tüs, min öömrang lun, Mein zu Haus, mein Amrum, schön,
huar so huuch a düner stun, wo so hoch die Dünen steh’n,
huar bi Knip a braanang bromet, wo bei Kniep die Brandung brummt,
huar a waastwinj ei ferstomet, wo der Westwind nie verstummt,
iiwag spelet mä det sun, ewig spielt dort mit dem Sand,
leew haa’k di, min öömrang lun. ich lieb’ dich, mein Amrum-Land.
- Strophe Norddorf
Dü min tüs, min öömrang lun, Mein zu Haus, mein Amrum-Land,
rikdom as diar ei tu fun, Reichtum dort noch niemand fand,
skraal san ääkerlun an fäänen, arm sind Äcker dort und Fennen,
man diar wene dön bekäänden, schön ist, alle dort zu kennen,
diar min hart am naisten stun, die dem Herzen nahe steh’n,
leew haa’k di, min öömrang lun. ich lieb’ dich, mein Amrum, schön.
- Strophe Steenodde
Dü min tüs, min öömrang lun, Mein zu Haus, mein Amrum-Land,
iarelk san diar hart an hun, ehrlich sind dort Herz und Hand,
trauhaid luket ütj ark‘ wönang, aus den Fenstern guckt Vertrauen,
riker feelst di üs en könang, darauf kannst du sicher bauen,
arken koon di diar ferstun, jeder kann dich dort versteh’n,
leew haa’k di, min öömrang lun. ich lieb’ dich, mein Amrum, schön.
- Strophe Nebel
Dü min tüs, min öömrang lun, Mein zu Haus, mein Amrum, schön,
leewen mei din aard bestun, immer sollst du fortbesteh’n,
wat a feedern üs ferareft, was die Väter uns vererbt,
lääts dach sä, dat det ei stareft, laßt uns seh’n, daß es nicht stirbt,
jääw wi’t ap, det wiar en skun, aufzugeben wär‘ ‘ne Schand‘,
leew haa’k di, min öömrang lun. ich lieb’ dich, mein Amrum-Land.
Hier ein kleiner Eindruck von einer gesungenen Strophe anlässlich der Proteste wegen der drohenden Abschaffung der Pflegestation.
Bedenken möge man beim Lesen der Zeilen des Liedes, dass diese aus einer Epoche stammen in der Amrum ein völlig anderes Aussehen im Gegensatz zur heutigen Zeit hatte. Es gab noch keinen Wald, die Dörfer waren viel kleiner und die heutige Hauterwerbsquelle der Amrumer, der Tourismus, steckte noch in den Kinderschuhen. So mutet beispielsweise die Zeile „Reichtum dort noch niemand fand“ heute doch überholt an.
Interessant ist auch die Geschichte um das Aufstellen der Granittafeln. In diesem Jahr können die Steine ein Jubiläumsjahr feiern. Genau 25 Jahre ist es her, dass diese, im Frühjahr 2000, aufgestellt wurden. Der damalige und langjährige Leiter des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamtes, Dipl.-Ing. Wolfgang Stöck, hatte die Steine „organisiert“, als er fünf Jahre zuvor, 1995, mit dem ehemals auf Amrum stationierten Tonnenleger „Johann Georg Repsold“ anlässlich eines Tages der offenen Tür zum 100sten Geburtstag des Nord-Ostsee-Kanals in Brunsbüttel weilte. Kurz zuvor waren an der dortigen Schleuse Wartungsarbeiten durchgeführt worden und 4 große Granitplatten waren „übrig geblieben“. Kurzerhand hat Wofgang Stöck diese Platten requiriert, auf den Tonnenleger hieven lassen und mit nach Amrum genommen. Später hatte dann der damalige Schatzmeister des Öömrang Ferian, Holger Peters, die Idee diese Platten mit den 4 Strophen der „Amrumer Nationalhymne – Min öömrang lun“ zu verzieren und über der Insel aufstellen zu lassen. Er organisierte und finanzierte über Spenden einen befreundeten Steinmetz, der im Frühjahr 2000 in der Tonnenhalle des Amrumer Seezeichenhafens die Gravur mit je einer Strophe vornahm.