Wir wollen Gesang, Musik und Tanz! Frisia Cantat auf Amrum!


Man hat ja keine Vorstellung davon, wie das aussieht, wenn sich die Chöre von Föhr und Amrum zum gemeinsamen Singen treffen. Zwei kleine Inseln, ein paar Leutchen , friesisches Liedgut, Verbeugung, Klatschen und Tschüs – denkt man. Und dann kommt man ins Norddorfer Gemeindehaus, wo Frauen in weißen Blusen und Männer in dunklen Anzügen dicht an dicht an langen Tischen sitzen, die Luft voll von Stimmen und Essensduft, und kommt sich vor wie beim traditionellen Grünkohlessen der Hamburger Reeder im Festsaal der Stadt: Großartige Kulisse und jetzt schon große Stimmung. “High end, wod ik sai” frieselte jemand.

Im Norddorfer Gemeindehaus gab es Gulasch, Kartoffeln und Krautsalat, zubereitet von einem Chormitglied mit (professionellen) Kocheigenschaften. Nach der Eröffnung durch Gerd Grevenitz, den Vorsitzenden des Gesangvereins Norddorf, gab es eine Stunde Tischgespräch zum leckerem Essen für knapp 200 Leute. So viele waren zu dem Chortreffen gekommen, was die Föhrer und Amrumer nun seit 57 Jahren alle drei Jahre abwechselnd ausrichten. Und auch wenn das Repertoire der einzelnen Sangesgemeinschaften deutlich über friesisches Liedgut hinausgeht, ist die Devise für diesen Abend ganz klar: Es wird Friesisch gesungen!

Fünf Chöre, je drei Lieder. Wobei eins davon oft neu ist, entweder mit neuem, friesischem Text zu einer wohl bekannten Melodie oder – sehr charmant – ein altes Kleinod, ausgegraben und zur Premiere vorgetragen bei diesem Chortreffen. So wie Harewstinjem (Herbstabend) von der Föhrer Feer Ladies. Die Moll-Version eines altbekannten Liedes, die wieder das Licht der Chorwelt erblickte. Mit der Dur-Version warteten dieses Jahr gleich zwei Chöre auf, was natürlich nicht beabsichtigt war, aber bei der Planung wegen der Angabe unterschiedlicher Liedtitel (neben Harewstinjem auch Lingen (Sehnsucht) nicht erkannt wurde. Egal – dieses Dreierlei von sehnsuchtsvollen Herbstabenden veranlasste Jens Quedens, den Vorsitzenden des Öömrang Ferian, zu einer kreativen Tat: er schrieb mal eben zwei neue Strophen für die Melodie, die er später auf der Bühne unter großem Gelächter und Beifall vortrug.

Zurück zur Musik: Die Feer Ladies, in Lila, eine erfrischende Föhrer Frauentruppe belustigte das Publikum unter anderem mit dem Song der Smok Tille, der hübschen Tilla, die – leider – der Farbe Lila verfallen, einmal in Seenot geraten, den roten Rettungsring verschmähte und lieber ersoff, als ihre modische Überzeugung zu verraten. Auch schön und selten noch zu sehen: eine Melodica, die Leiterin Birke Buchhorn-Licht kurzzeitig spielte. Der Norddorfer Gesangverein spürte den Heimvorteil schon beim Betreten der Bühne, er wurde förmlich dorthin geklatscht. Die Damen und Herren um Sylvia Hocke hatten mit Nuurdlaacht (Nordlicht) ein neues Lied von Amrums altem Leuchtturmwärter Arthur Kruse im Repertoire. Ein starker Chor mit vielen Stimmen. Die Amrumer Gesichter, die man dort vermisste, traf man beim Auftritt des Nebeler Rüm Hart-Chores wieder. Was einmal mehr zeigt, wie tief Singen – gemeinsames Singen – in der Gesellschaft dieser Inseln verwurzelt ist. Irgendwie scheint jeder, den man kennt, in einem Chor zu sein. Was ja auch eine tolle Aufgabe ist für lange Winter. Fast alle Gruppen proben in der dunklen Jahreszeit mindestens einmal wöchentlich. Während einige Proberäume im Sommer durch den Tourismus belegt sind, können andere ihr Singdomizil weiter nutzen. Und alle singen im Sommer auch für die Feriengäste und oft über die Inselgestade hinaus. “Es ist auch schön, dass man mit diesen friesischen Liedern so viele Menschen verbinden kann”, hörte man oft an diesem Abend. Der Rüm Hart-Chor also, der von Inken Rolfs wunderbar enthusiastisch dirigiert wurde, begeisterte – neu – mit einem Harry-Belafonte-Stück, dem man friesischen Text beigegeben hatte: A winj as üüsens san (Der Wind ist unsere Sonne).

Eigentlich war vielen Liedern immer genau ein Gefühl inne: meine Heimat, meine Insel, egal ob Wind, ob Sturm. Heimweh, Liebe, Wiederkehr. Was man eben so im Herzen trägt, wenn man auf zwei der schönsten Inseln der Welt wohnt …

Als der Männergesangverein Föhr West mit Roluf Henning voran sein Somerinj (Sommerabend) in den Saal sang, das Lied von dem jungen Mann und seiner Liebsten abends am Deich von Utersum mit der Sonne hinter Amrum, da spürte man wieder diese unglaublich gute Akustik des Hauses, die einen glauben ließ, nicht nur die 24 Menschen dort vorn singen, sondern der ganze Saal tut es. Mit Begeisterung wurde auch die Idee vom gemischten Chor Nieblum beklatscht, der, unter der Leitung von Monika Reincke, das Vaterunser auf Friesisch sang! Da war es kurzzeitig still wie in einer Kirche.

Einen Traumjob hatte/machte DJ Oliver Heckel, der, als er sich erstmals am Abend mit dem Holstein-Lied Gehör verschaffte, die Reihen sofort zum Schunkeln brachte, dann nachlegte und sieben Minuten später mit einer knallvollen Tanzfläche belohnt wurde. Helene Fischer, Movie Star, Wolfgang Petry, Abba … die Pärchen dicofoxten sich übers Parkett, es wurde gefreestylt, allein, zu zweit, egal – man wollte tanzen!

Die Regler leiser drehen musste Heckel regelmäßig, immer dann, wenn links von ihm aus dem Saal wieder friesisches Liedgut erscholl, unangemeldet eingeschoben von mal der einen, mal der anderen Chorfraktion. Die Amrumer, traditionell wohl die Zurückhaltenderen, machten sich zwischendurch schon spaßeshalber Sorgen, ihre Amrum-Hymne Min öömrang lun (Mein Amrumer Land) nicht anbringen zu können, weil die Föhrer mit ihrem Min eilun feer (Meine Insel Föhr) und regelmäßig nachgelegten Liedern gar keine Lücke ließen. Aber natürlich schallte dann auch bald Amrums Lied durch das Gemeindehaus. Jeder fiel in den Gesang des anderen ein. So ging das immer hin und her: DJ Olli Regler hoch, ab zum Tanzen, Regler runter, die Föhrer raus aus den Stühlen, das Lied zu Ende, Amrum übernimmt, der DJ hat den Beat, der Saal tanzt. Plötzlich wieder ein Mann auf der Bühne: Ralf Brodersen von Föhr mit dem Gedicht Zwei Fetzen Stoff der Münchner Lach- und Schießgesellschaft über zwei Fahnen. Zwei Fahnen, zwei Inseln. Gleich noch das Friesenlied hinterher (Klinge … und donnere weit herum deine alte Ehre o friesischer Boden); ein schwankendes Gemeindehaus; da geht noch ein Lied: gul, ruad an blä (Gold, Rot und Blau). Das ist sie! Die Fahne der Friesen. Gold wie dein Haar und die Sonne, rot wie deine Wangen, blau wie …. deine Augen. Natürlich!

Als gegen Mitternacht die “Hauke Haien” nach Föhr ablegen musste, mit diesen singenden Frau- und Mannschaften an Bord, da war das Fest für die meisten im Herzen noch voll im Gange.

Eins noch: Es gab diesen Manhattan-Drink. Den die Föhrer trinken, hieß es. Ein Mix aus Whiskey, Martini Bianco und Martini Rosso auf Eis. Becherchenweise, tablettfüllend und ständig, verließ dieses Getränk, mit einer Cocktailkirsche garniert, den mobilen Cocktailstand von Björn Laxy und Lars Jensen im Garten und verteilte sich unter – in – den Gästen. Der Name des Getränks soll daran erinnern, dass es irgendwann einmal von einem USA-Auswanderer mit nach Föhr gebracht wurde. Ich habe probiert – als Nichtfriesin – mutig drei Becherchen und befürchte, dass während der langen Überfahrt über den Atlantik irgendwas im Mischverhältnis durcheinander geschaukelt wurde, was bis heute nicht korrigiert ist. “Hat ganz schön Wupptizität”, hörte man. Darauf ein Liedchen! Min Mänhättän min.

Print Friendly, PDF & Email

Über Undine Bischoff

Journalistin und Texterin. Fuhr mit drei Jahren zum ersten Mal über den Kniep – in einer Schubkarre. Weil ihr Vater da draußen eine Holzhütte baute, zwanzig Feriensommerjahre lang. Betextet Webseiten und Kataloge, schreibt für verschiedene Medien und natürlich für Amrum News.

schon gelesen?

70 Jahre Posaunenchor und 50 Jahre Flötenkreis …

Die Kirchengemeinde St. Clemens auf Amrum feiert ein großes Doppeljubiläum mit einem rauschenden Festwochende: Bereits …

One comment

  1. Das ist sehr witzig geschrieben, Frau Bischoff.

    Barbara Bolten

Schreibe einen Kommentar

WP2Social Auto Publish Powered By : XYZScripts.com