Mit den Straßennamen ist das so eine Sache. Wird eine Straße im Ort nach einer aktuellen gewichtigen Persönlichkeit, sogar nach einem Politiker oder Staatsmann benannt, muss damit gerechnet werden, dass sich Jahre später die Bewertung ändert, sobald die politischen Machtverhältnisse sich gewandelt haben. Dieses Problem, ganz kurzfristig Straßennamen auszuwechseln, ergab sich z.B. nach dem 1. Weltkrieg mit dem »Kaiser-Wilhelm-Kanal«, der heute »Nord-Ostsee Kanal« heißt, weil Wilhelm II. als letzter deutscher Kaiser nicht gerade Vorbild einer gelungenen Staatsführung war. Nicht weniger Bauchschmerzen bereitet heute auch der Generalfeldmarschall und Reichspräsident Hindenburg, ganz zu schweigen von Adolf Hitler, dem in den 1930er Jahren etliche Straßen, Marktplätze, ein Koog und sonstiges gewidmet wurden, so dass nach 1945 ein teurer Austausch von Schildern erfolgen musste. In Wyk auf Föhr erlebte man ein spezielles Spektakel um den Fliegergeneral Friedrich Christiansen. Auf Amrum, wo es vor 1978/80 nur einige wenige Straßennamen in Wittdün gab, wollte man Mitte der 1930er Jahre hinter der »Bewegung« und dem Rechtsschwenk nicht zurückstehen und taufte die »Hauptstraße» auf den Namen des Führers »Adolf-Hitler-Straße». So hieß sie bis Kriegsende 1945. Dann wurde die Hauptstraße wieder zurückgetauft. Die heutige Mittelstraße erhielt den Namen »Heinrich-Andresen-Straße«, benannt nach dem eigentlichen Erbauer des Seebades Wittdün in den Jahren vor und nach 1900 sowie anderer wichtiger Institutionen (Inselbahn, Schiffslinie) in den Jahren seines Wirkens von 1892 bis 1907. Und er hatte sich diese Ehre angesichts seiner vielfältigen Initiativen auch verdient. Aber weil er im Jahre 1907 einen krachenden Konkurs hingelegt und etliche Betriebe sowie die Kreisbank in Tondern mit in den Untergang gerissen hatte, war einer Wittdüner Gemeindevertretung Ende der 1980er Jahre die Ehre dann doch zuviel, und mangels historischer Kenntnisse wurde die »Heinrich-Andresen-Straße« in die geschichtlich beziehungslose »Mittelstraße» umbenannt. Nur der versierte Wittdüner Chronist Otto Krahmer protestierte. Aber auch die wie früher und neuerdings wieder so genannte »Hauptstraße» erhielt einen neuen Namen, weil eine Hauptstraße mit Lärm und Autoverkehr assoziiert wird. Im Jahre 1986 wurde sie deshalb zur ” »Inselstraße« umgetauft.
Zwei Straßennamen in Wittdün haben sich aber durch die Zeit bewährt, weil sie keine politische Bewertung enthalten, sondern den Gründern des Seebades Wittdün gewidmet sind – den Kapitänen Volkert Martin Quedens und Paul Jansen Köhn.
Volkert Martin Quedens gilt als der Gründer des Seebades auf der vorher unbewohnten Amrumer Südspitze, plattdeutsch Wittdün, friesisch Witjdün. Hier wurde im Jahre 1889 aus Fertigteilen von Wellblech auf der äußersten Südspitze ein erstes Hotel errichtet, das den Namen »Wittdün« erhielt und damit dem hier bald entstehenden Ort seinen Namen gab.
Volkert Martin Quedens war zu seiner Zeit eine dominierende Gestalt auf Amrum. Geboren im Jahre 1844 im damals einzigen Haus auf Steenodde, später als Gaststätte »Zum lustigen Seehund» bekannt, ging er als 15jähriger Knabe – wie die meisten jungen Amrumer – zur See und segelte mit dem Amrumer Kapitän Anton Schau ab Hamburg/Altona mit der Bark »Candaze« nach Ostindien und New York. Dort angekommen, erhielt er die Nachricht vom Tode des Vaters und seines jüngsten Bruders und wurde von der Mutter nach Amrum zurückgerufen,um dort die große Landwirtschaft und einige Ämter in der Familie zu übernehmen. Besonders in seiner Eigenschaft als Strandvogt für den Bereich Wittdün-Süddorf machte er sich dann in den folgenden Jahrzehnten einen Namen als Berger von gestrandeten Schiffen, wobei Volkert über die dabei von den Versicherungen gezahlten Bergelöhne viel Geld verdiente. Er machte sich als Gründer und Teilhaber der erste Dampferlinie von Hamburg zu den nordfriesischen Inseln (1884) und einer Bäderlinie nach Norderney einen Namen. Später erkundete er für den Hamburger Reeder Albert Ballin den Seeweg großer Bäderdampfer nach Sylt und einen sicheren Liegeplatz im Lee der Sylter Südspitze Hörnum. Er war verheiratet mit der aus Süddorf stammenden Bauerntochter Therese Cöster und hatte mit ihr fünf Kinder. Von den drei Söhnen kamen aber zwei schon in jungen Jahren als Seefahrer ums Leben, während der dritte, Carl, später eine große Rolle als Hotelier (»Vier Jahreszeiten«, »Victoria«) im Wittdüner Fremdenverkehr spielte. Der Kapitän und Gründer Wittdüns starb am l. März 1918.
Fast gleichzeitig mit Volkert Martin Quedens siedelte sich ein anderer inselfriesischer Kapitän auf Wittdün an – Paul Jansen Köhn. Derselbe errichtete im Jahre 1891 am Nordufer von Wittdün ein festgemauertes, mit etlichen Schnörkeln versehenes Hotel im Stile der damaligen Zeit und baute eine kleine Brücke, an der sein Segelkutter, die »Windsbraut«, lag. Sein Haus mit einem turmartigen Vorbau hieß »Strandhotel« und war im Ganzen um einiges nobler als das Wellblechhotel des Kollegen Quedens. Paul Jansen geb. 1838) Köhn stammte von Helgoland. Auch er war zunächst Seefahrer und führte als Kapitän und Mitinhaber etliche Jahre eine Passagierfähre auf dem Yantse zwischen Nanking und Shanghai, wodurch er ein beträchtliches Vermögen erwarb. Angeblich soll auch Opiumhandel betrieben worden sein.
Nach 12jähriger Tätigkeit kehrte Köhn nach Europa zurück und heiratete Elisabeth Nommensen, die Tochter eines reichen Bauern von Pellworm. Zunächst lebten die Beiden auf Helgoland, um dort das Hotel »Prinz Alfred« zu betreiben, ehe sie 1889/1890 nach Amrum kamen. Das Ehepaar hatte vier Kinder, aber die Nachkommen haben nie verstanden, warum der Vater, der als Kapitän die sonnigen Küsten und Inseln der Südsee erlebt hatte, sich mit seinem Vermögen auf der kahlen und windigen Amrumer Südspitze ansiedelte.
Wie sein Kollege Quedens verkaufte auch Köhn schon im Jahre 1893 sein »Strandhotel« an den Hotelier Heinrich Andresen, der nach Gründung einer Aktiengesellschaft im großen Stile auf Wittdün zu bauen begann und der eigentliche Erbauer des Seebades wurde. Paul Jansen Köhn ließ dann aber noch nördlich seines Hotels auf dem erhöhten Sandwall der Wittdüner Marsch zwei Villen, zuerst die »Villa Adelgunde«, und nach deren Verkauf an den Direktor Polko aus Meissen, das Haus »Helgoland» als Ruhesitz erbauen. Aber Köhn hielt sich dann kaum noch auf Amrum auf. Er starb im September 1907, angeblich auf Amrum, wurde aber in Husum begraben. Geblieben ist der damalige Überweg vom »Strandhotel« zum Südstrand als »Köhns Übergang». Und auch die Urform seines Hotels ist im »Haus Kerrin» am Nordufer von Wittdün am Weg zum Seezeichenhafen noch vorhanden, leider mit glatten, schmucklosen Fassaden, ohne die handwerklichen Verzierungen der Gründerzeit.
Georg Quedens