Was derzeit im Norddorfer Naturzentrum abgeht, ist nicht alltäglich. Deshalb war auch gestern das Fernsehen da: NDR und SAT 1. Präparator Reenhard Kluge und seine Partnerin Heidrun Strunk sind dabei, einen Wal zusammenzusetzen. Einen von denen, die im Januar 2016 tot vor Helgoland trieben. Seit Herbst letzten Jahres lagen die rund 150 Knochen – Wirbel, Schädel, Rippen, Brustbein und Arme – im stillgelegten Schwimmbad in Norddorf und trockneten vor sich hin. Nun haben die Präparatoren daraus wieder einen Wal gebaut. An den großen Fenstern der alten Schwimmhalle, die bald zum Ausstellungssaal wird, kann man sich wunderbar die Nase platt drücken – mit dem Walschädel auf Augenhöhe.
Mittlerweile ist an dem Tier alles dran: Kopf, Rippen, Wirbel, Hände, Schwanz. Allein der Schädel war eine Herausforderung. „Das war echt harte Arbeit“, sagt Präparator Kluge. Damit der 600-Kilo-Schädel überhaut in die Schwimmhalle passte, war im letzten Herbst ein wendiger Teleskoplaster vonnöten, mit dem Amrums Reetdachdecker Millimeterarbeit leistete. Jetzt sollte der Schädel rauf auf ein Trägergerüst aus Metall, was Kluge selbst gebaut, gebogen und geschweißt hatte. Direkt vor Ort natürlich, und nach exakten Vermessungen des Walschädels. Kluge hätte den Wal lieber an der Decke aufgehängt, aber – nun ja – es fehlten einfach ein paar bauliche Infos. Reenhard Kluge zuckt mit den Schultern und schweigt klug.
Als der Walschädel endlich positioniert war, wurde der Unterkiefer drangesetzt, samt Zähnen. Alles Nachbildungen, denn die Originale sind aus Elfenbein und lagern im Tresor. Besser ist, denn irgendwelche Idioten waren bereits bei der Walstrandung auf Zahnklau aus.
Heidrun Strunk steht am Brustbein und rührt eine Masse aus Gips, Ponal und Wasser zusammen, womit sie die Ränder des Knochens bestreicht. „Normalerweise werden die Teile von Knorpeln zusammengehalten, aber die haben sich beim Kochen aufgelöst“, sagt die Präparatorin. „Nun haben wir einige Einzelteile, die wir mit der Spachtelmasse wieder zusammenfügen müssen.“ Gekocht wurde allerdings nicht ganz so heiß. Bei rund 55 Grad lagen die Knochen wochenlang in zwei Containern, die mit riesigen Tauchsiedern beheizt wurden. Erst auf dem Hof der Präparatoren, dann auf dem Gelände der Kläranlage Bremerhaven. „6.662 Kilowattstunden Strom hat das ewige Heizen verbraucht“, sagt Heidrun Strunk und muss lachen. „Die Zahl werde ich wohl nie vergessen.“ Freundlicherweise hat der Bremerhavener Energieversorger am Ende der Heizperiode die Rechnung übernommen.
Fleisch und Gewebe, jedes Fitzelchen Fett musste raus aus und weg von den Knochen, die teilweise angebohrt waren, um sie besser durchspülen zu können, immer mit ordentlich Waschmittel. Dann Wasser ablassen, neues rein in den Container, heizen, spülen und immer so weiter – sieben Wochen lang. Allein in einem einzigen Walwirbel können mehrere Kilo Fett stecken. Vorher hatte sich das Präparatorenpaar für die schweren Knochen noch einen ganz speziellen Seilzug gebaut. „Ist zwar nicht unser erster Wal, aber umgehen muss man mit jedem anders“, sagt Strunk. „Die Gegebenheiten sind wirklich immer andere“, ergänzt ihr Partner.
Damals, im Januar 2016, wurden die vor Helgoland angetriebenen Wale sofort nach Nordstrand auf die Mole geschleppt. Der damalige Leiter des Amrumer Naturzentrums stieg noch mit rein in die aufgeschnittenen Tiere, um sie gemeinsam mit Wissenschaftlern der Tierärztlichen Hochschule Hannover und des schleswig-holsteinischen Landesbetriebs für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz zu obduzieren. Da war schon klar, dass eins der Tiere zum Wal von Amrum wird. Denn Jens Quedens, Amrumer Verleger und mit über 70 Jahren immer noch ein Alles-mögliche-Anschieber, der auch den Amrumer Kulturverein Öömrang Ferian gründete, zu dem das Öömrang Hüs in Nebel und das Naturzentrum in Norddorf gehören – jener nimmermüde Friese also, hatte irgendwann mal laut gesagt, dass er für die ehemalige Walfängerinsel Amrum gern einen Wal hätte, wenn’s denn passt. Der Anrufer vom Nationalparkamt, der ihm an jenem Januarabend 2016 genau eine Stunde Bedenkzeit einräumen konnte, ehe der tote Wal werweißwohin gegangen wäre, hat Quedens ganz schön ins Schwitzen gebracht. „Ich wusste, dass das ein Riesenprojekt wird für unsere kleine Insel. Aber auch eine tolle Sache. Also hab ich ja gesagt“, erzählt Quedens, der seitdem zum Ober-Spendensammler geworden ist. Mittlerweile konnte man rund die Hälfte der veranschlagten 300.000 Euro für das Gesamtpaket Wal plus Hallenumbau und Ausstellung durch Förder- und Spendengelder finanzieren. Der Verein freut sich also über jede weitere Spende.
In der künftigen Ausstellungshalle setzten die Präparatoren in wochenlanger Arbeit alles zusammen. Für die Wirbelsäule wurde die Metallstange, auf der jetzt die Wirbel sitzen, leicht gebogen. „Alles per Hand“, sagt Reenhard Kluge grinsend und hebt popeyemäßig die Faust. „Nein, mit Amboss, Schraubstock und Gasbrenner“, korrigiert er sich und nickt zu den Gerätschaften rüber. Alles liegt verstreut auf drei alten Tischen, die nun ihre Werkbänke sind. Nach der Wirbelsäule kam der Schwanz, dann die Rippen, Arme und Schulterblätter, dann kleine Sachen wie Zungen- und Brustbein – Länge über alles knapp 12 Meter. „Und jetzt geht’s an die Kosmetik“, sagt Kluge. „Wir müssen die Knochen farblich alle ein bisschen angleichen“, erklärt Heidrun Strunk und zeigt auf die weiß-braunen Farbverläufe. „Einer der beiden Container, in dem die Knochen lagen, war innen rostig, das hat abgefärbt.“ Nicht schlimm? Reenhard Kluge zuckt ungerührt mit den Schultern. „Nirosta-Container in dieser Größe sind unglaublich teuer, die findet man nicht einfach mal so.“
Henning Volmer, der 31-jährige Biologe, der das Amrumer Naturzentrum mittlerweile leitet, hat auch volles Programm, er muss die Schautafeln vorbereiten, für die Ausstellung. Jetzt, wo der Wal steht, können bald die Handwerker den Fußboden einziehen, dann kommt ein Geländer ums Becken und dann legen die Ausstellungsbauer aus Hamburg los: Liegebänke sind geplant, auf Displays soll man Unterwasseraufnahmen sehen können und die Walstimmen aus der Tiefe hören. Und natürlich von Amrums Walfängerinselhistorie lesen können.
Wie kommt man eigentlich auf die Idee, Präparator zu werden? Reenhard Kluge zuckt mit den Schultern. „Ich wurde schon als Präparator geboren“, sagt er. So eine Type wie ihn – sehnig, langer Bart und Weißhaar bis zum Ellenbogen, coole Uralt-Ente (das Auto!) vor der Tür – sollte man so etwas gar nicht fragen. Freak eben. Er hat seinen Beruf im ehemaligen Nordsee-Museum in Bremerhaven gelernt, beim Experten Günther Behrmann, der selbst zwei Drittel seines Lebens mit Walen zubrachte und jahrzehntelang Präparatoren an dem Museum ausbildete, was 1986 vom Alfred-Wegener-Institut geschluckt wurde. Und Heidrun Strunk? „Ich habe Bürokauffrau gelernt, vor 27 Jahren Reenhard kennengelernt und dann das Präparieren“, erzählt sie und verspachtelt weiter die Knochen.
Der Wal, ein Männchen, sei erst knapp acht Jahre alt, sagt Reenhard Kluge. Ein Jungbulle. Das könne man zum Beispiel an den Gelenkköpfen der Arme erkennen. „Auch die Bandscheiben sind bei ihm noch nicht mit den Wirbeln verwachsen; der war noch nicht alt.“ – „Seine eigenen Wale erkennt man übrigens immer wieder“, sagt Heidrun Strunk. „Wir biegen zum Beispiel die Wirbelsäule immer auf eine ganz besondere Art, das sieht hinterher sehr natürlich aus.“ Anzuschauen – wenn wirklich alles gut und glatt geht – ab Mitte September, live und im Zeitraffer-Film, den Leif Quedens parallel vorbereitet. Und jetzt natürlich schon als Zaungast an den Fenstern der künftigen Ausstellungshalle am Norddorfer Naturzentrum.
Amrums ambitioniertes Walprojekt freut sich weiterhin über Spenden:
Konto: Öömrang Ferian, Wal-Spende, DE64 2179 1906 0020 1053 25
Die TV-Berichterstattung läuft wahrscheinlich heute, am Mittwoch, in den Regionalnachrichten in Schleswig-Holstein.