Wenn er ad hoc hier im Café Liegestütze machen sollte: „Na ja, 50 würde ich wohl schaffen“, sagt Marc Nolte und schaut ganz ruhig über seine zarte Porzellantasse grünen Tees. Bei jemandem, der so trainiert aussieht, liegt diese Frage nahe. Der 45-Jährige bietet auf Amrum seit einiger Zeit den Nahkampf Krav Maga an, eine hoch effektive Verteidigungsstrategie für die Straße: realitätsnah mit schnell erlernbaren Grundtechniken. Nolte macht Krav Maga schon seit seiner Kindheit im Berliner Kiez. Seit zweieinhalb Jahren ist der gelernte Zimmermann, der vor zehn Jahren nach Amrum kam und hier verheiratet ist, wieder im Dauer-Training. Seine Schüler sind Frauen und Männer. Für Kinder gibt es einen extra Kurs.
Ganz interessant, was er sagt: „Es geht nicht darum, als Gewinner aus einer Aggression rauszugehen und nicht darum, Gewalt mit Gegengewalt zu beantworten. Die Arbeit beginnt im Kopf, es geht um Deeskalation und Stressmanagement. Mit dem Ziel, sich schnell und möglichst unbeschadet aus einem Gefahrenbereich zu bringen.“
Von dem ganzen Rambo-Gedöns drum herum sollte man sich einfach nicht schrecken lassen. Wenn man Nolte und seine Mitkämpfer auf den Fotos aus den internationalen Trainingscamps etwas sehr martialisch posieren sieht, „na ja“, sagt Nolte und rückt sich leicht lächelnd auf seinem Stühlchen zurecht, „so ein bisschen Auftritt gehört einfach dazu. Aber wir sind keine Rambos!“ Das Klischee mag Nolte nicht bedienen.
Sein Trainingsangebot kam aus den unterschiedlichsten Gründen gut an: Ein Amrumer, der sich in der Flüchtlingsarbeit oft an Europas Grenzen bewegt, hat Einzelunterricht gebucht. Eine junge Insulanerin kurz vor ihrem langen Auslandsaufenthalt war mit dabei. Teile von Polizei, Rettungsdienst und Feuerwehr beider Inseln trainieren bei Nolte. Ein paar Teilnehmer haben negative Erfahrungen gemacht und wollen sich ihr Sicherheitsgefühl zurückholen. Andere kommen aus Fitnessgründen.
70 Minuten dauerst eine Einheit. Geschult wird nicht der große Schlag, sondern die Kunst, den Schwung des Angreifers mitzunehmen. „Schon nach einem halben Jahr kann man technisch und konditionell so weit sein, um sich über die ersten drei Minuten einer Konfrontation zu retten“, sagt Marc Nolte. Zu Beginn des Unterrichts gibt es ein warm-up: Liegestütze, Crunches, fallen und laufen – vorwärts und rückwärts. Viel bei Krav Maga kommt aus anderen Sportarten wie Boxen, Judo, Karate und Jiu-Jitsu. Die Nahkampftechnik zieht sich von überall, was sie braucht, um mit Schritten, Tritten, Hebeln und im Bodenkampf effektiv zu sein.
Marc Nolte hat jüdische Wurzeln. Als er acht, neun Jahre alt war, fing er an mit dem Sport, seinen Instruktor hat er in Berlin bei Lior Offenbach gemacht, einem weltweit agierenden Ausbilder und Jerusalemer Ex-Polizisten. Nolte fliegt auch zu Trainings nach Israel, wo die Technik seit fast 70 Jahren grundlegend ist für die israelische Armee. Krav Maga – übersetzt Kontaktkampf – wird mittlerweile weltweit gelehrt. Wettkämpfe gibt es nicht.
Trainiert wird zwei Mal wöchentlich im AmrumSpa auf dicken Matten. Die Schüler proben in lockerer Kleidung und mit Protektoren: Helm, Brust- und Genitalschutz. Im Fokus liegen die sogenannten weak points – Schwachstellen, wie Auge, Ohr, Hals und der Genitalbereich. „Es dauert Jahre, bis man gelernt hat, so mit der Faust zu schlagen, dass die hinterher nicht verdammt weh tut“, sagt Nolte. Als Alternative nimmt der Anfänger die Handkante. Blaue Flecken kann es natürlich geben, eine Prellung war auch schon mal dabei. Nolte guckt ruhig. „Das lässt sich nicht vermeiden, wenn der Grundsatz ist, realitätsnah zu trainieren.“ Frauen sind auch im Kurs. “Die wollen sich zu wehren wissen“, sagt Nolte. Schlucken muss man trotzdem: „Es geht bei Krav Maga nicht um Fairness“, stellt Nolte klar. “Das geht es auf der Straße ja auch nicht, wenn du angegriffen wirst. Wenn du im Training merkst, dass das, was du ausführst bei dem anderen zu Schmerzen führen kann, so, wie es auch bei dir zu Schmerzen führt, dann findet da ein Umdenken statt.“
Bis zu 800 Mal müsse man Bewegungen wiederholen, damit sie im Extremfall sitzen, weiß Nolte. Die Arbeit an den eigenen Grenzbereichen erhöht auch die Stressresistenz. „Wer es kennt, über seine Grenzen hinaus zu gehen, der wird nicht so schnell aufgeben. Und darum geht’s.“ Und wie immer, wenn es um Grenzen geht, findet viel im Kopf statt. Dazu passt, dass aggressive Geister und Machotierchen vom Training ausgeschlossen werden. „Die fliegen raus. Hier stellt sich niemand zur Schau“, sagt Nolte gleich.
Die Idee, auf Amrum Krav Maga anzubieten, ergab sich aus einem Zufall. Bei Pflasterarbeiten kam Nolte mit einer Polizistin ins Gespräch. Der Rest ging schnell. Nolte hat Ideen für die Zukunft. Er will sein Wissen in Form von einwöchigen Trainingscamps auf Amrum weitergeben. Vom 23. bis 30. März 2018 startet das erste. Bisher wird regelmäßig einmal die Woche auf Amrum trainiert, zweimal im Monat ist Nolte auf Föhr. Auch das würde er gern ausbauen.
Infos auf Facebook: Selbstverteidigung Krav Maga Amrum. Die 10er-Karte für Erwachsene kostet 170 Euro.