Bei 100.000 Torten hat er aufgehört zu zählen – Konditor Michael Lemcke hat 40 Jahre Dienstjubiläum


Als er anfing, war da noch ein Steinbackofen © Kinka Tadsen

Die Schlange gestern vor Bäcker Claussen in Nebel war so lang wie zwei Lastwagen. Und hätten alle, die da standen, gewusst, dass der Konditor unten in der Backstube an diesem Morgen sein 40. Dienstjubiläum feiert, hätten sie Michael (Meikel) Lemcke bestimmt gratuliert: Herzlichen Glückwunsch zu so viel Durchhalten und Treue und Superfrühaufstehen! Auch von Chef Henning Claussen: „Schon mein Vater, bei dem Meikel 33 Jahre war, hat immer gesagt, ohne ihn, Bärbel Eylmann vom Verkauf und meine Mutter, hätte er nicht so ein gutes Bäckerleben haben können, wie er es hatte. Auf Meikel ist immer Verlass. Und außerdem kann er von Pralinen bis Schwarzbrot einfach alles.“

Seine Torten hat Meikel Lemcke natürlich nie gezählt. Ist er nicht der Typ für. Der 56-Jährige hat schon den Opa seines jetzigen Chefs als Chef erlebt, den Gründer der Bäckerei, Karl (Kalli) Claussen, und eine Backstube, die sich im Laufe der Zeit von einer winzigen heißen Hölle mit Steinbackofen in eine großzügige heiße Hölle mit befahrbarem Stikkenofen verwandelt hat. „Das ist so wichtig, dass die Backstube gleich beim Laden ist“, sagt Lemcke. „Die Kunden lieben diesen Geruch.“ Er selbst auch, auch nach all den Jahren. Lieblingskuchen hat der gelernte Konditor keine. Sehr friesisch: bloß nicht zu viel Regung zeigen. Er grinst. Komplizierte Kuchen? „Gibt’s nicht“, meint er. Er arbeitet einfach alles ab, was morgens so auf dem Zettel steht. 20 Torten und 30 Blechkuchen sind ein normales Pensum. Die Klassiker Butterkuchen, Bürgermeisterstreifen und natürlich Friesentorte. Hat er vielleicht Schwierigkeiten mit dem frühen Aufstehen? Natürlich nicht! Seine Frau Simone lacht. Als sie sich kennenlernten, wollte sie nett sein, stand nachts auf und kochte ihm Kaffee. „Er hat mich angeguckt und gefragt, was ich hier mache. Ich solle mal schön wieder ins Bett gehen“, erinnert sie sich.

Mag den Backstubengeruch auch nach 40 Dienstjahren noch:
Jubilar Meikel Lemcke mit seinem Chef Henning Claussen
© Kinka Tadsen

Lemcke braucht morgens seine Ruhe. Eine routinierte ist es. Jetzt im Sommer geht der Job um zwei Uhr nachts los. Im Winter um halb vier. Trotzdem empfiehlt er seinen Beruf weiter. “Die Arbeitszeiten sind nicht so schlimm wie in der Gastronomie, finde ich. Ich habe viel Zeit mit der Familie.“ Tatsächlich kocht er immer Mittagessen. Jeden Tag. Früher auch für seine Kinder, als sie noch bei ihm wohnten. Heute für ihn und seine Frau. Er liebt das. Dann geht er schlafen. Und ist ab nachmittags wieder da. Hobbies? Neben Kochbüchern und Kochmessen? Bayern-Fan! Er ist Gründungsmitglied vom nördlichsten Bayern-Fanclub Deutschlands. Draußen vor seinem Haus in Nebel weht oft die Vereinsfahne. Seit 40 Jahren ist er in der Feuerwehr, davon 24 Jahre als Gruppenführer.

Konditor ist Meikel Lemcke geworden, weil der Tischler, wo er eigentlich hinwollte, nicht mehr ausbildete. Da ist Vater Lemcke einen Laden weiter gegangen und hat mal gefragt, ob Kalli Claussen den Sohnemann unter Lehrvertrag nehmen würde. Passte! Und Meikel hatte in der kleinen Backstube eh gern ausgeholfen, schon als Schüler: Plunder mit vorbereitet und den Abwasch gemacht. Einmal schlief das müde Kind über dem Semmelmehl ein.

Er erinnert sich an den Laden, wie er mal so klein war. Gerade zwei Räume. Und der Gärraum mitten im Weg zwischen Konditorei und Ofen. So dass sie, wenn sie Torten abbacken wollten, durchs eine Backstubenfenster raus und ins andere wieder rein klettern mussten, um auf der anderen Seite des Gärraums die darin deponierten Torten wieder in Empfang zu nehmen. Heute hat die Backstube vier Räume plus Lager. Durch die Oberlichter sieht er die Schlange der Menschen vor dem Laden stehen. Zumindest wenn sie links entlang stehen – bis zum Bankgebäude manchmal. Wann die Bäckerverrückten links und wann rechts herum anstehen, bringt ihn manchmal ins Grübeln. „Ich denke, das hat mit dem Wind zu tun.“

Aber egal, was oben abgeht, unten geht alles seinen Gang: Blechkuchen, Hartgebäck, Tortenwünsche für die Kaffeerunde und Hochzeitstorten. Dann fummelt er süße Sachen aus Marzipan. Rosenblätter, Vögelchen, Surfbretter – das volle Gefühlsprogramm. Erinnern tut er sich an einen Fischkutter, der hinter sich einen Reißverschluss aufzog: Nach dem Motto Vorhang auf, für ein gemeinsames Leben! Wohlgemerkt – alles aus Marzipan, jedes einzelne, kleine Reißverschlusszähnchen. Nur den Holz-Fischkutter, den hatte man eingekauft. „War eine gute Torte“, sagt Lemcke. Viele Urlauber kommen jetzt mit Tortenideen, die sie im Internet gesehen haben. Er mag diese Abwechslung.

Früher, da wohnte er noch in Wittdün, fuhr er frühmorgens zum Job und dann Brötchen aus und hatte quasi ein News-Abo auf das beliebte Pärchen-wechsel-dich-Spiel der Insel. Woher weißt du denn das schon wieder, wurde er oft gefragt. „Na ja, wenn ich morgens zur Arbeit fuhr, waren die anderen eben noch zugange“, sagt er. Und lacht. Was er dann noch so sagt, steht hier jetzt nicht …

Alle glücklich. Alles Handarbeit. Meikel Lemcke (2. v. r.) mit Chef Henning Claussen (rechts) und Kollegen © Kinka Tadsen

Spaß haben sie immer gehabt in der Backstube. Früher wüster als heute – waren eben andere Zeiten. Manch Freund und Gastronom kam nach durchzechter Nacht gleich unten vorbei und holte sich die ersten frischen Brötchen und zog damit zum Skoften weiter. So nennt man auf Amrum die spontanen After-Party-Küchentreffs. Dem Lehrling von Bäcker Preuss, der geschickt wurde, um einen Ofenhobel auszuleihen, packte man eine Kiste voll Schrott auf den Arm und ließ den Ahnungslosen wieder gen Wittdün ziehen. Jemand schmiss mal zum Spaß eine Schaufel voll Mehl durch die Backstube. Was nicht unbeantwortet blieb. Allerdings verschreckte die ins Auto des mutmaßlichen Täters zurückgeworfene Ladung die darin sitzende (sehr junge) Begleiterin eines (älteren) Amrumers derartig, dass sie „durch die Scheibe“ ging, wie Lemcke sagt. „Ist aber nix passiert.“

Wo Meikel Lemcke heute wohnt, wurde er auch geboren. Vorm Haus im Noorderstrunwai geht der Blick auf unverbaute Wiesen. Seine Frau und er machen einmal im Jahr eine schöne Reise. Der 56-Jährige mag nicht auf die Rente warten, ehe er macht, was er sich wünscht. Denn manchmal ist das Leben anders. Dann ist die Rente da, aber die Gesundheit weg.

Mit dem Vater seines jetzigen Chefs ist er zum 25. Jubiläum mal auf Mini-Kreuzfahrt gegangen. Drei Tage MS Europa. Nur sie beide. „Das war schön“, sagt Lemcke. In der Backstube sind sie zu siebt; vier backen, drei konditoren. Alles festangestellte Ganzjahreskräfte. Oben über dem Café Zimmer mit Bad und Küche für die Saisonkräfte im Verkauf. „Henning ist ein guter Chef“, sagt Lemcke. Henning Claussen war noch bis kurz vor knapp damit beschäftigt, für seinen treuen Mitarbeiter eine Urkunde der Handwerkskammer anfertigen zu lassen. Und ein schönes Geschenk gab es auch. Was, das steht hier jetzt nicht …

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Über Undine Bischoff

Journalistin und Texterin. Fuhr mit drei Jahren zum ersten Mal über den Kniep – in einer Schubkarre. Weil ihr Vater da draußen eine Holzhütte baute, zwanzig Feriensommerjahre lang. Betextet Webseiten und Kataloge, schreibt für verschiedene Medien und natürlich für Amrum News.

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