Bahnstation Wriakhörn


“Wriakhörn” heißt die Rundung der Amrumer Südwestküste – eine Inselausbuchtung mit hohen, urwüchsigen Stranddünen, Heidetälern und Moorsenken. Es handelt sich um eine relativ junge Landschaft, die sich erst nach Beginn der Zeitrechnung gebildet hat. Vor etwa tausend Jahren nämlich war der saaleeiszeitliche Geestblock eben südlich der Leuchtturmdüne zu Ende. Hier, an der Nordgrenze des FKK-Zeltplatzes, ist noch das abgerundete Kliff einer früheren Brandungstätigkeit zu sehen, ehe sich von hier ausgehend die Dünennehrung Wittdün an den Inselblock anlagerte.

Ziegelsteine zeugen von der Bahnstation bei Wriakhörn

Der Ortsname Wriakhörn wird gelegentlich mit “Wrackecke” gleichgesetzt. Tatsächlich hat es an der Amrumer Südwestküste an Strandungsfällen nicht gefehlt, beispielsweise am 25.November 1903, als eben außerhalb von Wriakhörn die norwegische Bark „Ilma” strandete und die gesamte Besatzung – zehn Mann – ihr Leben verlor. Aber der Orts- und Flurnamensforscher Dr. Asmuss Schmidt-Petersen deutet in einem Beitrag (1975) den Namen als eine Bezeichnung für eine Landschaft mit Brackwasser, offenbar bedingt durch den Einbruch von Salzwasser in die hinter einem Stranddünenwall liegende Moor- und Süßwassergegend. Wriakhörn liegt etwas außerhalb der Amrumer Wanderwege. Aber wer sich dann doch einmal in diese Gegend verirrt – vielleicht als Möweneier-Sammler – ist erstaunt, an einer Düne auf die Reste von Ziegelsteinen zu stoßen, Trümmer eines früheren Bauwerkes, über das man im heutigen Amrum sozusagen nichts mehr weiß. Hier die Erklärung: Es handelt sich um die Trümmer einer ehemaligen Bahnstation auf Wriakhörn.

Und mit dieser Station, die nur wenige Jahre bestand, hatte es eine besondere Bewandnis. Als das Seebad Wittdün in den Jahren 1889/1890 auf der Amrumer Südspitze mit den noblen Hotels “Kurhaus” und “Kaiserhof” und weiteren Hotels (darunter das Gründungshotel “Wittdün” des Strandvogtes und Kapitäns Volkert Martin Quedens) sowie Logierhäusern und Jugendstilvillen errichtet wurde, diente der Südstrand als beliebter Badestrand. In einem Prospekt jener Tage wird der Wittdüner Strand gegenüber den Stränden anderer Nordseebäder besonders gelobt, “weil er durch seine Lage gegen mancherlei Nordwinde geschützt ist”.

Strandhalle mit Badekabinen auf dem Kniepsand bei Wittdün

Aber diese Formulierung fand offenbar keineswegs den Beifall aller Gäste. Das Kriterium eines guten Badestrandes war nämlich ein “kräftiger Wellenschlag”, wie er am Strande von Westerland-Sylt oder Norderney geboten wurde. Und diese kräftige Brandung fehlte am Wittdüner Südstrand, weil sie durch den vorgelagerten Kniepsand gemildert wurde. Die Direktion der Aktiengesellschaft des Seebades Wittdün, vertreten durch Heinrich Andresen, beschloss deshalb am 2.Februar 1893, draußen auf der großen Kniepsandfläche vor Wriakhörn eine Badeanlage mit Badekabinen eines Damen -und Herrenbades sowie mit einer geräumigen Restaurationshalle anzulegen. An dieser Stelle (heute in etwa identisch mit dem Badestrand des FKK-Zeltplatzes) gab es wegen der abfallenden Strandzone nicht nur eine kräftige Brandung, hier drohte den Badegästen auch keine gefährliche Gezei­tenströmung. Aber die Badeanlage war vom Kurhaus Wittdün über 4 Kilometer entfernt, ein unzumutbarer Weg, besonders für die in die wallenden Kleider der damaligen Mode gehüllten Damen. Aber auch für die feingekleideten Herren ein Stück des Weges zu viel!

Die Badedirektion aber zögerte nicht und beschloss unverzüglich, eine Dampfspurbahn von Wittdün bis zu den Badeanlagen einzurichten und dafür die damals hohe Summe von 56.000 Mark auszugeben. Unverzüglich wurden auch Bahnhof am Strand unterhalb des Kurhauses nebst Schienen in Angriff genommen, aber beides durch Sturmfluten zerstört, so dass die Kniepsandbahn erst im Juli 1894 ihren Betrieb aufnehmen konnte. Da hatte die Bahn aber schon über 126.000 Mark gekostet! Diese Ausgabe stand in keinem Verhältnis zu den zu erwartenden Einnahmen, aber in Wittdün war man stolz, denn welches Seebad konnte schon eine ähnliche Einrichtung aufweisen – einen Strand mit mildem Wel­lenschlag und einen mit kräftiger Brandung!?

Aber die Badedirektion sollte sich nicht lange dieser Errungenschaft erfreuen. Weil die Bahnschiene längs des Südstrandes lief, kam es bald zu Beschwerden dortiger Kurgäste, die sich keineswegs über die stündlich vorbeischnaubende Dampfspurbahn freuten. Und als dann auch entsprechend kritische Berichte in der Tagespresse des Deutschen Reiches erschienen, geriet die Badedirektion in Panik.

Die Bahn auf dem Kniep in Richtung Bahnanlagen

Die Bahnstation am Wittdüner Südstrand wurde aufgegeben und nunmehr ein Beschluss gefasst, der auf Amrum aber nicht weniger Kopfschütteln verursachte als die ursprüngliche Bahnschiene mitten durch den Südstrand mit Strandkörben und Sandburgen. Der neue Ausgangspunkt der Kniepsandbahn wurde nach Wriakhörn verlegt und die über dem Südstrand liegende Holzpromenade bis dorthin verlängert. Jedenfalls wird dieses über 4 km lange Bauwerk mehrfach erwähnt. Aber es ist fraglich, ob es diese Promenade wirklich gegeben hat, denn es gibt keine Fotobelege, obwohl um 1900 schon eifrig fotografiert wurde – vor allem im Seebad Wittdün.

Die Bahnstation Wriakhörn war aber eine totale Fehleinrichtung. Hatten die Wittdüner Gäste – nicht selten gegen Wind und Wetter – die vier Kilometer geschafft, hätten sie auch den letzten halben Kilometer bis zum Kniepsandbad noch bewältigt. Der Direktor der “Aktiengesellschaft Seebäder Wittdün und Satteldüne (wie sie seit 1895 nach dem Erwerb des konkursbedrohten Kurhauses an der Satteldüne hieß) ließ dann auch verlauten: “Durch die Neuanlage auf Wriakhörn und die bis dahin verlängerte Holzpromenade glaubten wir, den Wünschen des Publikums entsprochen zu haben. Dies war ein Irrtum. Die Gäste verlangen noch größere Bequemlichkeit und (…) erklären, nur dann wieder nach Amrum zu kommen, wenn die Bahn von der Brücke bis nach Kniepsand führe (…)”. Und diese Forderung wurde schon im folgenden Jahr, 1901 er­füllt. Im Westen von Wittdün wurden eine geräumige Halle für die Unterbringung der Lokomotive, der Güter- und Personenwagen, eine Werkstatt und Räumlichkeiten für das Bahnpersonal errichtet und durch ein Gleis über die Hauptstraße des Badeortes mit der Brücke verbunden. Von dieser Bahnhofshalle (als Haus “Kabelgatt” mit Personalwohnungen im Besitz des DRK im Jahre 2010 abgebrochen) wurde nun durch die Dünen eine neue, hier und da noch sichtbare Bahntrasse bis zur Bahnstation Wriakhörn und zum Anschluss an die Schiene zum Kniepsandbad gelegt. Nun konnten die Wittdüner Gäste ab Brücke/Kurhaus direkt bis zum Baden “in kräftiger Brandung” am Kniepsande fahren. Diese Verbindung bestand bis zum Jahr 1903. Aber die Bahnstation Wriakhörn hatte nach nur einem Jahr ihren Zweck verloren und wurde offenbar bald wieder abgebaut. Die Steine in den Dünen dort sind noch eine Erinnerung daran und welche Kosten und Schwierigkeiten die Wittdüner Ak­tiengesellschaft mit der Kniepsandbahn hatte. Sie trugen entscheidend zum Konkurs im Jahre 1907 bei!

Im Jahre 1909 änderte sich die Zuführung der Bahnstrecke erneut. Die Hamburger Reederei “Nordsee-Linie”, Direktor Albert Ballin, verlegte ihre Bäderlinie Hamburg – Helgoland – Wittdün – Wyk nach Hörnum auf Sylt, weil mit Westerland mehr Geld zu verdienen war. Wittdün verlor die Direktverbindung mit Hamburg und Heinrich Andresen bemühte sich verzweifelt um einen Ersatz. Zunächst wurde ein Dampfer als AnSchluss von Hörnum nach Wittdün eingesetzt, dann aber auf kürzestem Weg zwischen dem Norddorfer Strand und Hörnum eine Zwischenverbindung eingerichtet. Am Norddorfer Strand wurde zu diesem Zweck eine Seebrücke gebaut. Aber Wittdün lag von hier aus fast 10km entfernt. Und deshalb wurde die Schiene der Wittdüner Kniepsandbahn über Satteldüne – Nebel – Norddorf -Norddorf Strand in den Jahren 1901/02 verlängert – die Geburts­stunde der “Inselbahn”! In der Leuchtturmkurve wurde dann von den Inselbahnschienen ausgehend auf kürzerem Weg eine neue Verbindung zum Kniepsand-bad gelegt und die Strecke über Wriakhörn aufgegeben.

Der südwestliche Inselbogen Wriakhörn aber lag nun Jahrzehnte in Wind und Wetter, nur im Sommer belebt von Kolonien der Sturm-, Herings- und Silbermöwen und im Norden, zum Leuchtturm hin besiedelt von den bunten Zelten des FKK-Vereines. An der Strandkante wuchsen die Dünen immer höher auf, und Sandflug und wuchernde Heide und Kriechweide verwischten zunehmend die Spuren der früheren Bahn.

Dann wurde im Jahre 1955 wieder ein menschliches Machwerk in diese abseitige Landschaft gestellt – der etwa 26 Meter hohe Gitterturm eines Leuchtfeuer mit einer Pintsch-Seelaterne und zwei Sektoren, rot und weiß, ausgerichtet auf das Fahrwasser vor Kniepsand. Aber im Jahre 2016 hatten sich die Verhältnisse verändert und das Feuer wurde abgeschaltet und der Turm abgebrochen. Seitdem ist Wriakhörn wieder reinste Naturlandschaft.

 

 

Georg Quedens

 

 

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