Wi snaake öömrang an tjiisk


Öömrang wird in den Gruppenalltag eingebunden…

„Aare apstun! Aare apstun!“, rufen die Flenerk – und Bütjen Jongen begeistert und warten im Morgenkreis „Friesisch“ gebannt, dass der zottelige Papagei endlich den Kopf aus seinem Schlaf-Rucksack steckt. Aare ist eine bunte Handpuppe, die wie alle Amrumer Kindergartenkinder jetzt zusammen mit Anna Jannen Friesisch lernt. Sie bringt ihn jedes Mal mit, wenn sie den Alltag der Kindergartengruppen muttersprachlich begleitet, um „öömrang tu snaakin“, also das Amrumer Friesisch zu sprechen.

Anna Jannen und Papagei Aare zu Besuch in der Gruppe

Anna Jannen, Öömrang-Muttersprachlerin und in Hamburg ausgebildete Gymnasial-Lehrerin für Deutsch und Politik, hat selbst vier kleine Kinder im Grundschul- und Kindergartenalter. Sie lebt mit ihnen und ihrem Föhrer Mann seit einigen Jahren wieder auf Amrum und spricht – wie der Opa und der Großonkel – mit den Kindern zuhause öömrang. Als Kindergartenleiter Lothar Herberger auf sie zukam und um ein didaktisches Konzept für die vorschulische Förderung des Inselfriesischen bat, kam das gerade recht.

„Die Anzahl der Muttersprachler nimmt von Generation zu Generation ab“, weiß Jannen, deren Kinder mit Friesisch und Deutsch zweisprachig aufwachsen. Heute spricht vielleicht noch die Hälfte der Insulaner aktiv Friesisch. Und da sind die Zugezogenen, also die Mehrheit der Inselbevölkerung, nicht einmal mit eingerechnet. „Von den 96 Kindergartenkindern wächst derzeit etwa ein halbes Dutzend mit Friesisch als Muttersprache auf. Ungefähr noch einmal so viele lernen es von den Großeltern. Die anderen Kinder hören so selten Friesisch, dass sie es kaum oder gar nicht verstehen“, sagt Anna Jannen.

Amrum-Friesisch sprechen beim Obst schnippeln

Bisher traf sich im Kindergarten einmal wöchentlich für eine halbe Stunde der „Friesenkreis“. Das sind 30 Minuten mit friesischen Liedern und Fingerspielen für alle Kindergartengruppen und dem „wurd faan a weg“ (Wort der Woche). Doch das reicht bei weitem nicht, um diese Lücke zu schließen.

„Wir wollen ein neues Bewusstsein und Selbstvertrauen schaffen, das alleermutigt selbst friesisch zu sprechen und erhoffen uns viele positive Impulse, die aus der Begegnung mit dem Öömrang als weiterer Sprache erwachsen. Für viele Neu-Amrumer ist es ja sogar die Drittsprache“, ist man sich im Inselkindergarten bewusst. „Wir freuen uns, den Kindern die Erfahrung zu ermöglichen, Sprachen zu unterscheiden und mit ihnen zu experimentieren.“

„Das Amrum-Friesisch („ööömrang“) ist wichtiges Kulturgut. Über das Öömrang begreifen die Kinder Amrum als besondere Region“, heißt es im pädagogischen Konzept des Inselkindergartens. Das langfristige Ziel könnte ein bilingualer Kindergarten sein, mit ErzieherInnen, die ausschließlich deutsch oder öömrang sprechen. Doch das ist zur Zeit noch Zukunftsmusik.

Mit Aare auf Friesisch zählen lernen macht allen großen Spaß.

Und so wird Anna Jannen die sechs Kindergartengruppen jetzt zunächst an drei Vormittagen der Woche besuchen und ausschließlich öömrang mit den Kindern und Erwachsenen sprechen. Je 45 Minuten in den Krippengruppen „Mini-Malven“ und „Mini-Minzen“ und 90 Minuten in allen Regelgruppen, den „Löwenzähnen“, „Ringelblumen“, „Gänseblümchen“ und den Bütjen Jongen draußen in Feld und Flur. Öömrang soll im Kindergarten als zweite Sprache in die alltäglichen Handlungen eingebunden werden, so dass die Kinder über Situation und Aktivität aufnehmen können, worum es sprachlich geht. 13.000 Euro aus dem Förderprogramm „Regional- und Minderheitensprachen in Kindertageseinrichtungen“ wurden für die Umsetzung des Konzepts bisher genehmigt.

Alltagsbegleitung der Kindergartengruppe auf Friesisch – das heißt: Spielen, Vorlesen, Gespräche, Mahlzeiten, Ausflüge und Friesisch-Förderung in Kleingruppen. Spielerisch mit kleinen Dialogen und Phantasie-Geschichten, Finger- und Bewegungsspielen sollen die Kinder und ErzieherInnen mit der schönen, alten Inselsprache vertraut gemacht werden. Wenn Anna Jannen mit Papagei Aare im Gepäck zu Besuch in die Gruppe kommt, beginnen die Vormittage mit dem Morgenkreis auf Friesisch und enden mit einem friesischen Lied zum Abschied. Fleißig wurde dafür mit Unterstützung des Sprachwissenschaftlers Reinhard Jannen auch das deutsche Liedgut, das die Kinder gewohnt sind zu singen, ins Amrum-Friesische übertragen.

Lustig-lehrreiche Bewegungsspiele im Friesenkreis

„Hood, skolern, knöbian, fut. (…) Uugen, uaren, nöös an müs. (…) Hood, skolern, knöbian, fut. Knöbian, fut. Knöbian, fut.“, singen sie heute und fassen sich im Kreis stehend erst an den Kopf, dann an Schultern, Knie und Füße. Ist „knöbian“ nicht ein herrliches Wort für „Knie“? Das klingt doch irgendwie nach Knöchel und Grobian oder Knorpel, knoten und knobeln gleichzeitig – und so geht auch das Spiel, denn der Rhythmus des Gesangs wird immer schneller und schneller. Während sich die Einen im Tempo des Textes schon an den Kopf fassen, huschen die Hände Anderer erst von den Knien zur Schulter oder ruhen noch fragend an den Füßen. Am Ende fließen die Bewegungen zwischen allen Körperteilen und ihren friesischen Bezeichnungen nur noch munter durcheinander. Welch’ ein Spaß!

Und dann ist der Vormittag auch schon ruckzuck zu Ende und es heißt Abschied zu nehmen bis zum nächsten Mal „Adjis, Anna!, Adjis, Aare!, rufen die Kinder. „Adjis“, ruft Aare, „bis nächste Woche!“ und verschwindet in seinem Rucksack.

Da die frühkindliche Sprachförderung aufgrund verschiedener gesellschaftlicher Entwicklungen immer mehr an Bedeutung gewinnt, stellt die Landesregierung in Schleswig-Holstein nicht nur Fördermittel für den Erhalt von Regionalsprachen zur Verfügung, sondern auch für die allgemeine Sprachförderung im Kindergarten. Also beantragte der umtriebige Lothar Herberger für 2019 zusätzlich gleich noch 11.000 Euro an Landeszuschüssen für die Deutsch-Sprachförderung im Amrumer Kindergarten.

Auch sprach-fördernd: Margarete Pyhan an der Gitarre

Mit Margarete Pyhan im Kindergarten-Team verfügt der Inselkindergarten sogar über eine eigene pädagogische Fachkraft mit Zusatzqualifikation. „Ich hab’ durch die zusätzlich genehmigten Stunden jetzt die Zeit und die Möglichkeit, in alle Gruppen zu gehen und mit einzelnen Kindern oder kleinen Gruppen ins Gespräch zu kommen“, freut sich die vor ein paar Jahren aus Stuttgart zugezogene Neu-Amrumerin.

„Im Kindergartenalltag wird Sprache ja oft verkürzt verwendet. Da heißt es schon mal: „Jetzt ma’ schnell anziehen“ oder „nicht auf den Zaun“, sagt die Erzieherin, deren Zusatz-Job nun darin besteht, situativ individuelle Sprechgelegenheiten für Kinder jeden Alters zu schaffen. „Sprache, das sind ja nicht nur die Wörter und die Grammatik, sondern auch Gestik und Mimik, Gefühle – die ganze Kommunikation“, weiß die von ihrem Beruf begeisterte vierfache Mutter mit schwäbischem Akzent und greift zur Gitarre, um das heute auf Öömrang gesungene Lied zu begleiten.

 

Übersetzung:

wi – wir / snaake – sprechen / öömrang – Amrumer Friesisch / an – und / tjiisk – Deutsch / Aare – Eigenname des Papageien / apstun – aufstehen / hood – Kopf / skolern – Schulter(n) / knöbian – Knie / fut – Fuß / uugen – Augen / uaren – Ohren / nöös – Nase / müs – Mund / adjis – adieu, tschüß.

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Über Astrid Thomas-Niemann

Astrid Thomas-Niemann ist gelernte Schifffahrtskauffrau sowie studierte Sprach- und Erziehungswissenschaftlerin. Sie hat viele Jahre als Schifffahrtsanalystin gearbeitet und lebt seit 2015 in Wittdün. Als junge Frau kam Astrid 1981 das erste Mal auf die Insel und besuchte auf Zeltplatz II die Niemanns aus Hamburg, die Amrum seit 1962 urlaubsmäßig die Treue halten, inzwischen bereits in der 4. Generation.

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