Amrum-Ferien voll künstlerischer Arbeit …


Hermann Dieter Maier zu Gast in Wittdün

„Während der Schulzeit hatte ich für eigene künstlerische Arbeiten kaum Zeit. Da waren die Ferien auf Amrum für mich immer so etwas wie künstlerische Arbeitsferien“, lacht der Kunst- und Sportpädagoge Hermann Dieter Maier, der bis 2017 am Nürtinger Max-Planck-Gymnasium unterrichtete. „Als die Kinder noch klein waren, habe ich auf Amrum viel skizziert, immer draußen. Als die Kinder dann größer wurden, habe ich hier angefangen, plastisch zu arbeiten. Mit den angespülten Schamotte-Steinen an der Odde fing das an.“

Amrum News  wollte es genauer wissen und verabredete sich mit H.D. Maier zum Interview.  Was verbirgt sich hinter diesen interessanten Objekten und Assemblagen, die er in einem Fotobuch mit dem Namen „Amrum“ zusammengestellt hat?

„Diskus“ (Detail)

Seit genau 30 Jahren kommt Ehepaar Maier aus Erkenbrechtsweiler bei Nürtingen nach Amrum, früher zusammen mit den beiden Söhnen, die natürlich längst erwachsen sind. Immer nach Wittdün und fast immer um diese Jahreszeit, in den baden-württembergischen Schulferien, denn auch Hermann Dieter Maiers Frau ist Lehrerein und stand als Leiterin einer Grund- und Werkrealschule bis vor 14 Tagen noch im Schuldienst.

Dass jemand Kunst und Sport (mit Schwerpunkt Geräteturnen) auf Lehramt studiert, ist auch heute noch eine selten gewählte Fächerkombination, aber damals konnte man das in Baden-Württemberg nur parallel an zwei Universitäten studieren. „Für die Sportseminare musste ich immer von Stuttgart nach Tübingen fahren. Anders ging es nicht“, erzählt Herr Maier, der von 1975 bis 1980 an der Kunstakademie Stuttgart studierte. „Ich bin gern Lehrer gewesen“, sagt er, „von Anfang an. Aber natürlich ziehen einen an der Akademie die freien Künsten stark an.“

Skizze und fertiges Objekt in der Ferienwohnung

Seinem Werk hat Maier einen Ausspruch des im Februar dieses Jahres verstorbenen Künstlers Tomi Ungerer vorangestellt: „Kunst ist immer Einfall durch Zufall“. Auch in diesem Urlaub (er ist gerade mal ein paar Tage auf der Insel) hat er gleich etwas gefunden, das ihn zu einem neuen Kunstwerk anregt. Die Zeichnung, wie er das Objekt umgestalten könnte, hängt schon an der Wand. Er hat sie mit dem Tuschefüller auf einem Stück Zeitung skizziert. (Am Ende des Urlaubs wird das Kunstwerk tatsächlich fertig sein.

„Kontemplation“ (Detail)

„Ich bin eigentlich immer auf der Suche“, verrät der ehemalige Kunsterzieher, „nicht gezielt, eher frei nach Picasso: Ich suche nicht – ich finde.“ Dem Satz könne er sich anschließen. „Suchen – das ist Ausgehen von alten Beständen und ein Finden-Wollen von bereits Bekanntem im Neuen. Finden – das ist das völlig Neue! Das Neue auch in der Bewegung. Alle Wege sind offen und was gefunden wird, ist unbekannt. Es ist ein Wagnis, ein heiliges Abenteuer!“, hat Picasso weiter gesagt, der wie andere Künstler der Moderne vor ihm verschiedene Alltagsgegenstände und Materialien wie Holz, Metall oder Glas zu einem neuen künstlerischen Ganzen zusammenfügte. (Sein bekannter Stierschädelvon 1942/43 ist der Bronzeabdruck einer Zusammensetzung aus Fahrrad-Sattel und Rennrad-Lenker.) Und spätestens jetzt sind wir kunsthistorisch auf der Spur der Objektkunst…

„Objet trouvé“ lautet der Fachbegriff, französisch für einen „gefundener Gegenstand“, der künstlerisch bearbeitet wird oder “Ready-made“, wenn er unbearbeitet in einen künstlerischen Kontext gestellt wie die berühmte Kloschüssel Fountain– ein provokativ auf den Sockel gesetztes Urinal von 1917, das Marcel Duchamp bekannt gemacht hat.

H.D. Maier gestaltetet seine gefundenen und gesammelten Alltagsgegenstände schöpferisch um. Er transformiert sie. Mal gestaltet er die Fundstücke zu reliefartigen kleinplastischen Objekten, mal setzt er sie auf schmale hölzerne Sockel oder in eigenwillige Schaukästen. Es entstehen neuartige ästhetische Zusammenhänge, eine verfremdete Sicht auf die Welt der Dinge. „Poesie des Banalen“ nennt er seine Kunst. Doch was ist banal?

Der Künstler bearbeitet einen auf Amrum angespülten Schamotteblock in seiner Atelier-Werkstatt in Erkenbrechtsweiler.

Es begann mit den Schamotteblöcken, die er an der Amrumer Nordspitze fand. Sie stammen vermutlich aus der Ladung eines zwischen Sylt und Amrum gestrandeten englischen Frachters. Vereinzelt werden sie noch immer an der Amrum Odde angespült, meist jedoch sehr stark verwittert. Fast ein ganzer Karton davon fand im Laufe der Jahre seinen Weg nach Erkenbrechtsweiler, denn Freunde und Bekannte waren auf die Spur gesetzt und sammelten auf Amrum kräftig mit.

Hermann Dieter Maier bearbeitet das feuerfeste Gestein, das man aus Öfen und Kaminen kennt, verknüpft es mit anderen Dingen, die er gefunden, zufällig dabei oder in einer kleinen Schachtel von zuhause mitgebracht hat. Er schuf daraus zahlreiche Assemblagen, Objekte und Skulpturen, sogar freistehende Figuren in Lebensgröße. Einige waren im süddeutschen Raum bereits ausgestellt (Stuttgart, Ravensburg).

„Treppe und Nische“ (30 x 30 cm)

Aber was, bitte, ist eigentlich eine Assemblage?

Im Unterschied zur geklebten, zwei-dimensionalen Collage werden in der Assemblage plastische Objekte auf einer Grundplatte befestigt. Es entsteht eine reliefartige Oberfläche. Die Grundplatte kann dabei auf verschiedene Weise bearbeitet oder gestaltet sein, optisch und haptisch ganz unterschiedlich wirken. Der Begriff setzte sich zur Bezeichnung drei-dimensionaler Wand-Objekte erst in den 1960er Jahren durch, auch wenn Picasso diese Technik schon 1912 für seine dreidimensionalen kubistischen Konstruktionen anwandte.

Hermann Dieter Maier setzt seine Fundstücke nicht nur als plastische Objekte in der Assemblage ein, sondern auch für einen spannenden Hintergrund, indem er zum Beispiel die Struktur eines schön gemaserten alten Holzstücks als Frottage (einem künstlerischen Abrieb) auf unterschiedliches Papier überträgt. Manchmal wirft aus einem sonnigen Astloch dann nicht ganz zufällig Max Ernst einen Blick in seine Welt… Herr Maier macht mich auf diese Anspielung aufmerksam. (Max Ernst hat 1925 diese uralte chinesische Technik des Abreibens in die moderne Kunst eingeführt.) Ist es für den Künstler nicht Fluch und Segen zugleich, in der Kunstgeschichte bewandert zu sein, frage ich mich, sind Anleihen und Zitate doch unvermeidlich.

Was die „Amrum“-Arbeiten für ihn persönlich bedeuten, möchte ich von Herrn Maier wissen. „Sie sind mit einem Ort verbunden, der uns schon fast Zweite Heimat geworden ist. Wir genießen die Möglichkeit, Ruhe zu finden. Das Licht hier oben kann faszinierend schön sein. Die Weite, der salzige Wind. Durch die Insellage ist man ein Stück weit weg vom Alltag.“ „Und das geht so schnell“, wirft seine Frau ein. „Schon am ersten Tag kann man hier wunderbar loslassen.“

Wattsegler (30 x 30 cm)

Hermann Dieter Maier ist zwar schon seit Jahren in der Galerie „Die Treppe“ in Reudern bei Nürtingen am Neckar vertreten, doch auf Amrum hatten wir bisher noch keine Gelegenheit, seine Skizzen und Objekte im Original zu betrachten. (Vielleicht klappt es ja irgendwann einmal in der Mühle?) Bis dahin verbleiben wir zweidimensional und können seine interessanten Objekte und Assemblagen im Internet anschauen:  www.hd-maier.de

 

 

 

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Über Astrid Thomas-Niemann

Astrid Thomas-Niemann ist gelernte Schifffahrtskauffrau sowie studierte Sprach- und Erziehungswissenschaftlerin. Sie hat viele Jahre als Schifffahrtsanalystin gearbeitet und lebt seit 2015 in Wittdün. Als junge Frau kam Astrid 1981 das erste Mal auf die Insel und besuchte auf Zeltplatz II die Niemanns aus Hamburg, die Amrum seit 1962 urlaubsmäßig die Treue halten, inzwischen bereits in der 4. Generation.

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