„Die Idee ist über dreißig Jahre alt“, sagt Jens Quedens. Der Amrumer Verleger hatte immer vor, die alten friesischen Flurnamen vor dem Vergessen zu bewahren. „Da weiß doch keiner mehr, wo was ist und wie was hieß“, sagt er mit Blick auf die neue Inselkarte, die mit einer alten Flurkarte von 1799 ihren Anfang nahm. Die Karte im angenehm großen Maßstab ist en rais troch a tidj – eine Reise durch die Zeit des alten Amrum. 1590 Parzellen hat es mal gegeben, Kleinstgrundstückchen aneinandergedrückt von Nord nach Süd, verwinkelt, längs, quer – Bramsterbriard beim Leuchtfeuer hinter der Öömrang Skuul zum Beispiel – kann man doch nicht einfach vergessen – “kön ei uungung“ – kann nicht angehen, “solche Namen müssen erhalten bleiben“, sagt Jens Quedens.
Die Karte zeigt auch Amrums Straßen und Fahrradwege, denkt man. Dabei sind es oft die Kutschwege um 1880, und markiert ist auch die spärliche Bebauung der damaligen Zeit. Das alte Wissen um die Flurnamen verbindet sich mit all den Amrumgensien, die die Gäste so mögen: Man erfährt , dass es ein alter Fiat 509 A war, der 1936 als erster Mietwagen auf Amrum cruiste. Der alte Kniepsandbahnhof der Inselbahn ist eingezeichnet, samt Damen- und Herrenbad in schicklichem Abstand – längst hat die Nordsee sich heute diesen Platz zurück geholt; deutlich zu sehen an den verschieden farbigen Linien, die die Wasserkanten von 1585 bis heute nachzeichnen. Darin dann die Pallas, der alte Motorschoner Hermine, genannt das Totenschiff, das vor knapp hundert Jahren vor der Südspitze antrieb und für Schauergeschichten sorgte. Angezeichnet auch der „Ferrari der Nordsee“, der erste Katamaran, der ab 1999 die Gewässer rund um Huupsun (Hubsand) durchpflügte.
Verleger Quedens hat in den 1970er Jahren angefangen, die alten friesischen Flurnamen zu sammeln, und damit die Arbeit einiger alter Amrumer fortgesetzt. Viel Material hat er durchgesehen. Eine alte Karte von 1799 zeigt einen merkwürdigen Versatz genau in der Mitte der Insel – quer rüber vom Kniep zum Watt. „Da waren zwei Landvermesser am Werk“, sagt Quedens. „Ein Herr Lund im Norden und ein Herr Feddersen im Süden, und die haben sich vorher nicht auf einen Maßstab geeinigt.“ Flugs brachte man wenigstens die Hauptstraße zur Deckung und erhielt dabei ein schräg verschobenes Flurbild. Auch Quedens Feinsinn für die friesische Sprache wurde arg strapaziert. „Verdeutscht auf fürchterliche Weise.“ Fanden doch viele Namen in den Katasterbüchern Eingang, die den Vermessern nur mündlich mitgeteilt und dann falsch niedergeschrieben wurden. So wurde Söderfreskam zu Süderfrischum, die Waasterhias (Westerheide) zu Westerhede und Bräätlun, das „ausgebreitete Land“ in Norddorf, wo einst die alte Bockwindmühle stand, verkam zum Brettland. Für einen wie Quedens kein Spaß!
Man könnte nachlesen, wenn man tieferes Interesse hat: Zu vielen Themen der Karte steht sicherlich etwas in den Chroniken, die Jens Quedens Bruder Georg noch bis noch vor einigen Jahren jährlich herausgab: Zum Ende der Inselbahn, zum Anfang des Busverkehrs, zu den Postläufern zwischen Amrum und Föhr (ab 1800) und den unter Dünen verschütteten DGzRS-Stationen an der Odde und Baatjes Stich in Norddorf. Über das Rettungswesen auf Amrum gibt es auch ein neues Buch, was Georg Quedens gerade fertiggestellt hat. Wir werden darüber noch ausführlich berichten.
Die Karte hat rückseitig kurze Infos zu inselwichtigem, schön hier: immer mit friesischer Überschrift: Wat bedüüdet de nööm Oomram? Die Herkunft sei rätselhaft, ist zu lesen. Kleine Kapitel führen in die Seefahrt seit der Wikingerzeit, ins Öömrang – eine Sprache zwischen Englisch, Niederländisch, Dänisch und Platt und in die Siedlungsgeschichte mit Salzsiedezeit, Ackerbeeten und Austernbänken.
Diese Zeitreise ausgebreitet auf knapp sechsmal Din A4 kann man gut zur Hand haben, wenn man mal wieder auf der Insel entspannt seinen Blick über die Ebene gleiten lässt – über Klantamkui (vor der alten Vogelkoje in Wittdün), Gonel Taien Berag (am Strandweg in Nebel) oder Ban Remsaanj (am Vogelwärterhäuschen) – und daran denkt, dass es bis in die 1980er Jahre auf Amrum zwar hunderte Flur- aber kaum Straßennamen gab und der Name der Insel vielleicht doch vom englischen Wort für Bernstein, Amber, herrührt. Was eine romantische Vorstellung wäre!
Inselkarte: Amrum – Eine Reise durch die Zeit, Kartenwerk Dortmund, Jens Quedens und Rolf Drewes, 8,90 Euro, ISBN 978-3-926137-51-7