Amrum – Insel der Pilze


 

Im Gegensatz zum vorigen Jahr, als der heiße Sommer und die monatelange Trockenheit bis in den Herbst hinein das Gedeihen von Pilzen verhinderten, hat der nasse Herbst dieses Jahres 2019 der Insel einen reichen Segen an Pilzen beschert und den Pilzsammlern, Kurgästen wie Einheimischen, Beine gemacht, wobei Erstere das Rennen machten. Denn etlichen Inselgästen sind die Pilze besser bekannt als den meisten Einheimischen, deren Wissen sich nur auf ganz wenige Arten beschränkt und die die Pilze deshalb aus Angst vor Vergiftungen lieber stehen lassen und stehen ließen.
Denn Pilze spielten ungeachtet der Nutzung der Natur (Eiersammeln, Jagd, Enten- und Kaninchenfang, Küstenfischerei) im alten Amrum keine Rolle. Noch um die Mitte des vorigen Jahrhunderts wurden fast ausschließlich Champignons sowie in den jungen Kiefernanpflanzungen Butterpilze gesammelt.
Die Gesamtheit der Pilzflora war auf Amrum vor der Aufforstung allerdings auch sehr beschränkt, weil ein Großteil der Pilze in Symbiose mit bestimmten Baumarten existiert. Infolge der Geringachtung haben die zahlreichen Pilzarten auch keine inselfriesischen Namen erhalten, sondern heißen “Hünjmots” (Hundemütze), eine Bezeichnung, die für alle Arten gilt. Und leider wurde vor Beginn der Aufforstung auch keine genaue Feststellung über die vorher und ursprünglich vorhandenen Arten gemacht.
Erst durch zwei Kurgäste, Gerhard Fuchs und Kurt Buschmann, wurden in den Jahren um 1980 auf Amrum rund 80 Arten ermittelt. Ab 1992 spezialisierte sich dann ein weiterer Inselgast auf die Amrumer Pilzwelt, nämlich Manfred Fries, der ab dem obigen Jahr bis zur letzten “Amrum Chronik” 2012 in zahlreichen Beiträgen die Entdeckungen neuer Arten publizierte und 1992 auch den Gelben Knollenblätterpilz (Amanita citrina) in der Aufforstung am Nebeler Strandweg entdeckte. Bekanntlich können Knollenblätterpilze, insbesondere der “Grüne”, tödlich giftig sein und am ehesten mit einem Champignon verwechselt werden.
1996 interessierte sich ein weiterer Biologe für die Amrumer Pilzflora: Matthias Lüderitz, der 1996 die Pilze in den Dünen erforschte. Somit ist heute eine gute Wissensgrundlage über die Pilze auf Amrum vorhanden.

Sporenstaub – von England herübergeweht
Bekanntlich leben Pilze ganz überwiegend im Untergrund. Hier haben sie ein feines, wurzelartiges Geflecht ausgebreitet, ein sogenanntes Myzel, das etliche Jahre nicht nur bestehen bleibt, sondern auch in kreisrunde Richtungen auseinanderwächst, so dass sich “Hexenringe” entwickeln, wenn aus dem Myzel die Fruchtkörper als Pilze nach oben wachsen. Hat man als Pilzsammler eine solche Stelle entdeckt, kann man hier oft alljährlich Speisepilze ernten.

Steinpilz

Einer der wichtigsten Amrumer Pilze, der Steinpilz, hat hier auf der Insel aber eine ganz andere Eigenschaft entwickelt. Fast alle Steinpilze wachsen in den Dünen, und zwar vor allem in Tälern mit den charakteristischen “Humpeln”, den mit Heide oder Kriechweide bewachsenen Rundhügeln, die noch Verbindung mit dem Geestboden haben. Auf reinem Dünensand und höheren Dünen sind keine Steinpilze zu finden (deshalb hat es keinen Zweck, auf den Seesandnehrungen Odde und Wittdün nach Steinpilzen und Pfifferlingen zu suchen). Auf den genannten Hügeln aber stehen sie oft zu einem halben Dutzend beieinander, so dass sich das Sammlerherz vor Begeisterung kaum halten kann. Aber die Amrumer Steinpilze haben kein stationäres Myzelgeflecht im Boden. Sie stehen jedes Jahr woanders, und das bedeutet, dass sie einer anderen Art als jener angehören, die wir aus den deutschen Wäldern kennen. Mit ziemlicher Sicherheit handelt es sich um englische Steinpilze, entstanden aus dem Porenstaub, der bei Westwindstürmen von dort herübergeweht ist. Darauf deutet auch die Tatsache hin, dass die Amrumer Steinpilze ganz überwiegend an den West-, also den Luvseiten der Hügel stehen, auf die der Wind aus England trifft. Im Unterschied zu den “deutschen” Steinpilzen haben die “Engländer”, kaum dass sie aus dem Boden sind, auch einen viel dünneren Stiel.

Eigentlich gehören Steinpilze dank ihrer Symbiose sowohl mit Laub- als auch Nadelwald in den Amrumer Inselwald. Hier aber sind sie selten und eher “deutsche” Steinpilze mit vollrundem Stiel und einem Myzel, das über weitere Jahre ein Vorkommen gewährleistet. Egal aber, um welche Arten bzw. Unterarten es sich handelt, kaum aus dem Boden heraus, werden sie von Fliegen und deren Maden befallen, so dass sie zum Verzehr nicht mehr geeignet sind.

Pfifferlinge aus den Amrumer Dünen – die Suche hat sich gelohnt.

Dieses Schicksal trifft aber nicht für einen anderen Speisepilz in den Amrumer Dünen zu: den Pfifferling. Pfifferlinge werden nicht von Maden befallen und können auch wochenlang stehen bleiben, ohne zu verwesen. Pilzbücher verweisen auch bei diesem Pilz auf Vorkommen im Wald, aber im Amrumer Wald wurden bislang noch keine entdeckt (abgesehen von den sehr ähnlichen, aber nicht genießbaren Falschen Pfifferlingen). Der vorwiegend nach Westen, also Richtung England gerichtete Standort in den Amrumer Dünen in Symbiose mit der Kriechweide weist auch für diese Art auf den Sporenstaub von der anderen Seite der Nordsee hin.

Pfifferling wurden besonders häufig im vorigen Jahrhundert gefunden, mit einem Myzel Jahre und Jahrzehnte immer am vorherigen Standort. Aber seit Anfang des Jahrtausends sind sie immer seltener geworden. Die Ursache dafür dürfte im Anwachsen der Heringsmöwenkolonien zu vermuten sein. Denn der Kot und Seegetiereintrag haben weitgehend eine andere Bodenqualität und Pflanzenwelt geschaffen, die für Pfifferlinge nicht mehr geeignet ist. Allerdings hat auch das rigorose Sammeln durch Inselgäste und Einheimische dazu beigetragen, dass diese Pilzart aus weiten Bereichen der Dünen verschwunden ist. Und die Bemühungen des Verfassers vor Jahrzehnten, an geeigneten Stellen – und davon wimmelt es in den Dünen – Pfifferlinge durch das Ausstreuen von Pilzen und den hier vermuteten Sporenstaub anzusiedeln, hat zu keinen Ergebnissen geführt.

Wiesen-Champignons

Pilze mit tellergroßen Hüten
Es gehört zu den Kuriosa der Amrumer Naturnutzung, dass man wohl Champignons erntete, aber andere Pilze aus Unkenntnis und aus Furcht vor Vergiftung stehen ließ. Denn Champignon und Knollenblätterpilz kann man durchaus miteinander verwechseln. Eindeutig ist allerdings der Blick unter den Hut auf die Lamellen. Beim Erstgenannten sind sie anfangs blaßrosa und werden dann schnell dunkelbraun, während bei Letzterem die Lamellen weiß bzw. hellgrau bleiben. Aber Knollenblätterpilze (Weißer = Amanita virosa und Grüner = Amanita phalloides) sind auf Amrum bislang nur in Einzelexemplaren gefunden worden.

Der genannte Wiesenchampignon, der vor allem auf Viehweiden zu finden ist, hat Ende des vorigen Jahrhunderts allerdings eine mächtige Konkurrenz bekommen – den Anis-Egerling (Agaricus arvensis), der mit bis zu esstellergroßen Hüten weithin sichtbar in der Amrumer Feldmark und in den Marschenwiesen leuchtet. Er hat allerdings nicht den feinen Geschmack seines kleineren Verwandten und war jener Pilz, der nach dem Atomunglück in Tschernobyl 1986 durch eine bis weit nach Norden und Westen wehende Regenwolke eine hohe und jahrelange Becquerel-Belastung aufwies.

Die giftigen Fliegenpilze sind auf Amrum verbreitet.

Am vielfältigsten ist die Amrumer Pilzflora natürlich im Inselwald. Und hier finden Pilzliebhaber viele Speisepilze wie Maronen, Birkenpilze, Rotkappen, Butterpilze und evtl. weitere Röhrlinge. Pilze mit Röhren sind generell genießbar und ungiftig – ausgenommen der Hexenpilz mit seinen roten Röhren, der aber auf Amrum noch nicht nachgewiesen ist. Essbar sind auch etliche weitere Lamellenpilze, aber diese sind genauen Pilzkennern vorbehalten. Grundsätzlich gilt: Fast alle Pilze kann man essen, Knollenblätterpilze allerdings nur einmal! Aber die meisten Pilze sind wertlos, weil sie nicht schmecken.

Vor etlichen Jahren gab es auf Amrum übrigens einen sehr prominenten Pilzsucher, den Bariton Hermann Prey, seit 45 Jahren der Insel Amrum mit Wohnhaus in Nebel verbunden. Hermann Prey stöberte überall in der Insellandschaft herum und berichtete mit leuchtenden Augen vom Fund eines dickbauchigen Steinpilzes, “ganz frisch und noch ohne Maden”. 1998 starb er nahe München, wo der gebürtige Berliner zuhause war.

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Über Georg Quedens

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