Mord an Bord


 

In Zusammenhang mit dem Beitrag “Mord und Totschlag auf Amrum” steht ein anderer Kriminalfall, der sich zwar nicht auf Amrum abgespielt hat, aber doch mit der Inselgeschichte in unmittelbarem Zusammenhang steht. Es geht um einen Doppelmord, geschehen auf einer Schiffsreise im Sommer 1924 an einem Schiffer und seinem Steuermann auf See zwischen Amrum und Hamburg, wohin das Schiff mit seiner Ladung bestimmt war. Die Ladung bestand aus Unmengen von Kupferdraht der abgebauten Oberleitung der Amrumer Inselbahn, die zur Verschrottung bzw. Buntmetallverwertung nach Hamburg befördert werden sollte.
Die Kupferleitung war angefallen, als auf Amrum die elektrische Bahn im Jahre 1909 den ursprünglichen Dampfbetrieb der Amrumer Inselbahn ablöste. Dies geschah durch die Elektrizitätswerke GmbH Düsseldorf, Direktor Ingenieur Fell. Dieser hatte in Wittdün ein E-Werk errichtet, mit dem vorrangigen Ziel, die hölzerne Strandpromenade und die Obere Wandelbahn zu beleuchten, aber auch um die großen Hotels mit elektrischem Strom – damals nur für die 25-Watt-Birnen – zu versorgen. Aber als die Wittdüner Aktiengesellschaft, Direktor Heinrich Andresen, im Jahre 1907 in Konkurs ging, übernahmen die Düsseldorfer die Inselbahn und stellten diese zwecks besserer Ausnutzung ihres E-Werkes auf elektrischen Betrieb um. Gleichzeitig wurde über die Oberleitung der Bahn in den Dörfern Nebel und Norddorf eine Stromversorgung installiert, die ausreichend für den Hausgebrauch war.

Die elektrische Bahn in Wittdün

Aber die Düsseldorfer Gesellschaft ging nach einem unterversicherten Brand 1910 ebenfalls in Konkurs, und E-Werk und Bahnbetrieb gerieten in die Turbulenz wechselner Besitzer. Und nachdem der 1. Weltkrieg, nachfolgende Konkurse und Besitzwechsel ein Übriges verursacht hatten, wurde die Bahn 1920/21 wieder auf Dampfbetrieb umgestellt. Die Oberleitung für die Stromversorgung von Nebel und Norddorf blieb noch bis 1923 bestehen, aber dann wurden in beiden Dörfern durch die Fa. Köster aus Heide 1924 mächtige Windturbinen errichtet, und die Oberleitung konnte abgebaut werden.

Vergebliche Warnung
Ein Husumer Schiffer namens Andresen lag an der Brücke von Steenodde, um die Ladung an Bord zu nehmen. Da kam ein fremder Mann und bat um Mitnahme nach Hamburg, zumal er sich sehr für die Technik des Segelns und die Führung eines Frachtschiffes interessiere. Vermutlich bot er auch eine Bezahlung an. Zwar gab es Leute, die Andresen vor der Mitnahme des Fremden warnten, aber der Schiffer nahm die Warnungen nicht ernst und segelte nach Beladung seines Schiffes mit der Bestimmung nach Hamburg ab. Dort aber wurde das Schiff vergeblich erwartet, und als Wochen vergingen, begannen intensive Nachforschungen nach dem Verbleib. Ein Unglück kam nicht in Frage, denn das Wetter war günstig gewesen, und es war kein Seenotfall auf der relativ kurzen Strecke gemeldet worden.

Frachtverladung bei Ebbe im Watt

Auf der Suche nach dem Schiff wurden alle Nordseehäfen alarmiert. Schließlich kam aus einem englischen Hafen die Nachricht, dass das vermisste Schiff dort eingelaufen sei, mit einem Mann an Bord, der versucht habe, Schiff und Ladung dort an Ort und Stelle zu verkaufen. Vom Schiffer Andresen und seinem Steuermann aber fehlte jede Spur.
Der Fremde erzählte dann eine abenteuerliche und unglaubliche Geschichte. Auf dem Wege nach Hamburg sei ihnen ein Schiff mit Auswanderern nach Amerika vor den Bug gekommen. Der Schiffer Andresen habe ihm sein Schiff nebst Ladung verkauft und sei mit seinem Steuermann an Bord des Auswandererschiffes, dessen Namen er sich leider nicht gemerkt habe, geentert, um gleichfalls auszuwandern.
Aber Andresen und sein Steuermann blieben verschwunden. Der Fremde wurde verhaftet und vor Gericht gestellt. Alles deutete darauf hin, dass beide ermordet und über Bord geworfen worden waren. Aber dieser Tatvorwurf war nicht zu beweisen, und deshalb wurde der Angeklagte nicht – wie damals noch üblich – zum Tode, sondern nur zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.
Andresens Mutter versuchte mehrfach, bei dem Verurteilten etwas über das Schicksal ihres Sohnes zu erfahren – vergeblich.
2020 Georg Quedens Urheberrecht beim Verfasser

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