Seeschwalben sind nur Sommergäste


 

Sie kommen spät, wenn Graugänse schon Junge führen, Kiebitze und Stockenten seit einigen Wochen brüten und die Möwen in den Inseldünen während der Hochwasserzeit ihre baldigen Brutplätze besetzt haben. Und dass sie gekommen sind, verriet bis vor einigen Jahren der Star, den es damals noch in jedem Dorfgarten gab, wo er vor Nistkästen oder Baumhöhlen sang, um einen Brutplatz zu markieren und ein Weibchen anzulocken – bis dann die “modernen” Methoden der Landwirtschaft dem Star die Nahrungsgrundlage entzogen und der frühere “Allerweltsvogel” selten geworden ist. Der singende Star mischte in seinen eher unmelodischen Gesang immer wieder die Stimmen anderer Vögel ein, und sobald er auch das herrische “Kriä” der Seeschwalbe in seinem Repertoire hatte, wusste man, dass diese aus ihrem Winterquartier und von weiter Reise in die Brutheimat zurückgekehrt war.

Küstenseeschwalben – bei der Balz wird ein Fisch übergeben.

Auf der Welt gibt es 44 Arten von Seeschwalben, aber gegenwärtig brüten nur drei davon auf Amrum: die Küsten-, die Fluss- und die zierliche Zwergseeschwalbe. Erstere, die Küstenseeschwalbe, dominierte in früheren Jahrhunderten das Vogelleben auf Amrum. Sie brütete in großen Kolonien in den Dünentälern des heutigen Naturschutzgebietes “Amrumer Dünen” sowie auf der Amrumer Odde, wo die zwei ausgedehnten Täler “Letj Bakerdääl” (Kleines Seeschwalbental) und “Grat Bakerdääl” (Großes Seeschwalbental) nach ihnen benannt wurden (heute namens des Betreuungsvereines Jordsand “Fischertal” und “Langtal”). Als die Odde im Jahre 1936 unter Naturschutz gestellt und als “Seevogelfreistätte” bewacht wurde, ging es darum, die Silbermöwen aus dem Revier zu vertreiben. Für den praktischen Naturschutz galten Möwen, vor allem Silbermöwen, als Gelege- und Jungvogelräuber, die man bekämpfen musste. Und für eine solche Maßnahme wusste einer der ersten Vogelwärter, der Norddorfer Schiffer und Seehundjäger Gerret Peters, Rat. Im zeitigen Frühjahr, wenn die Möwen ihre Brutplätze besiedelten, donnerte Gerret mit seiner altertümlichen Schrotflinte dazwischen, so dass die Möwen in Panik gerieten und in die oberen Dünen (dem heutigen NSG “Amrumer Dünen”) flohen oder sich teilweise sogar zurück nach Sylt wagten, von wo sie wegen der hier über den Hindenburgdamm eingewanderten Füchse nach Amrum geflüchtet waren. Wenn dann die Seeschwalben Mitte April von ihrer weltweiten “Winterreise” in ihre nordische Brutheimat zurückkehrten, fanden sie auf der Amrumer Odde ein möwenfreies Dünengelände. Mehr noch als unter den Möwen litten die Seeschwalben aber – wie alle Seevögel in früheren Jahrhunderten – unter der Sammelwut einheimischer Eiersammler. Jung und Alt durchstreifte von April bis Juli permanent die Brutgebiete, um Eier zu sammeln, die für die Ernährung der Inselbevölkerung allerdings auch eine beachtliche Rolle spielten. Zwar ist ein Seeschwalbenei nur halb so groß wie ein Hühnerei, aber die Menge machte es.

Zwergseeschwalben im kahlen Sand

Anfang der 1930er Jahre wurde die Anzahl der Seeschwalben (Küsten- und Flussseeschwalben) auf etwa 600 Brutpaare geschätzt, wobei sich diese vorwiegend auf die Odde konzentrierten, zumal die Inseldünen zunehmend von Möwen besiedelt wurden. Einen Höhepunkt verzeichneten die Jahre von 1953 – 1957 mit bis zu 1250 Brutpaaren, ungeachtet der Tatsache, dass in diesen Jahren auch sämtliche Silbermöwen vor den Eiersammlern aus den Inseldünen geflüchtet waren und sich auf der Odde angesiedelt hatten, wo sie zunächst durch den Verein Jordsand mit verschiedenen Methoden (Absammeln der Gelege, Anstechen der bebrüteten Eier, Vergiftung durch Chloralosetabletten mittels Fischköder), aber vergeblich bekämpft wurden. Bis sich schließlich auch bei den studierten Biologen die Erkenntnis durchsetzte, dass Seeschwalbenbruten keineswegs durch Silbermöwen bedroht werden, weil diese sofort hart und heftig attackiert werden, sobald sie den Seeschwalben zu nahe kommen. Und doch waren Letztere in den Jahren 1958 – 1960 völlig von der Odde verschwunden. Aber nicht aufgrund von Silbermöwen, sondern von Igeln! In nächtelangen Beobachtungen aus Zeltverstecken ermittelte Paul Ruthke für den Verein Jordsand die Verluste an Gelegen (pro Igel bis zu 4-5 à 1-2 Eier) und die Panik, die bei den nachtblinden Seeschwalben durch die herumräubernden Igel entstand, die sich offenbar von weither auf den Weg zur Odde machten. Die Seeschwalben sind bis heute nicht wieder zurückgekehrt und die Täler der Odde längst von Möwen, vor allem von Heringsmöwen, und seit einigen Jahren auch von der größten Möwenart, der Mantelmöwe besiedelt.
Die hier genannten Seeschwalben sind gegenwärtig nicht häufig auf Amrum. Auf der Kiesfläche der äußersten Nordspitze, auf dem Kniepsand und in kurzgrasigen oder mit Geröll bedeckten Dünentälern brüten kleine Kolonien oder Einzelvögel, wobei die Küstenseeschwalbe (Sterna paradisaea) gegenüber der Flussseeschwalbe (Sterna hirundo) die seltenere ist. Für Erstere ist nämlich die südliche Nordseeküste die südlichste Verbreitungsgrenze, die nach Norden bis über Spitzbergen und Grönland reicht.

Seeschwalben-Angriffe können blutig ausgehen.

Küstenseeschwalben brüten noch hundert Kilometer nördlich von Thule, ziehen aber wie alle anderen ihrer Art im Spätsommer nach Süden bis zum Eisrand der Antarktis. Kein anderes Lebewesen auf der Welt erlebt im Laufe eines Jahres soviel Sonnenschein – von der Mitternachtssonne der nördlichen Halbkugel bis zur Mitternachtssonne der Südhälfte. Aber im Frühling der Antarktis brütet sie nicht.
Übrigens hat diese Art auch einen friesischen Namen: “Baker” oder auch “Dolbaker”, weil sie Störenfriede an ihrem Brutplatz hart attackiert und bis auf den Kopf des Menschen herunterstößt.

Der kleine Unterschied
Die Flussseeschwalbe ist der Küstenseeschwalbe so ähnlich, dass sie auf Entfernung auch nicht von Ornithologen unterschieden werden können. Aber Erstere hat eine dunkle bis schwarze Schnabelspitze, ihre Beine sind merklich länger, und Spitzen der geschlossenen Flügel ragen nicht über die Schwanzspitze hinaus. Und obwohl beide Arten in gemischten Kolonien zusammen brüten, kommt es nie zu “Mischehen”! Auch am Nest und am Gelege kann man beide Arten unterscheiden. Die Küstenseeschwalbe legt nur ein, höchstens zwei Eier, in der Regel in einer schlichten Sandmulde, während die Flussseeschwalbe drei Eier legt und noch ein regelrechtes, mit trockenen Halmen ausgelegtes Nest baut.

Flußseeschwalbe mit Jungvogel

Flussseeschwalben brüten über fast ganz Europa in günstigen Wasserrevieren, nehmen aber gerne von Menschen hergerichtete Flöße an. Im 19. Jahrhundert war diese Art an der Nordseeküste noch unbekannt. Auch der Vogelkundler Joachim Rohweder, der 1886 auf einer ornithologischen Reise zu den nordfriesischen Inseln auch Amrum besuchte, fand hier keine Sterna hirundo. Anfang der 1920er Jahre und vor allem in den 1930er Jahren stellten Vogelkundler (Wachs, Kirchner) jedoch fest, dass die Flussseeschwalbe die Küstenseeschwalbe eindeutig “überflügelt” hatte. Das hatten die Insulaner wegen der großen Ähnlichkeit der beiden Arten aber nicht registriert, und deshalb hat die Flussseeschwalbe keinen eigenen friesischen Namen.

Zwergseeschwalben und Brandseeschwalben
Einen friesischen Namen, nämlich “Sternk” hat jedoch die kleinste aller Seeschwalbenarten, die Zwergseeschwalbe, erhalten, weil sie seit jeher Brutvogel auf Amrum ist, allerdings wegen ihrer speziellen Ansprüche an ihr Brutgebiet immer nur in beschränkter Anzahl. Ständiger und seit jeher genutzter Brutplatz ist die sogenannte “Kiesfläche” der äußersten Nordspitze mit ihrem Stein- und Muschelgeröll. Hier brüten in manchen Jahren um die 30 Zwergseeschwalben. Weitere Brutplätze bietet der Kniepsand am Quermarkenfeuer und bei Süddorf. Aber es gibt auch Jahre ohne Brutnachweis. Selten aber haben Zwergseeschwalben Bruterfolg. Sie werden nicht nur von Möwen und Krähen bedroht, sondern in hohem Grade auch durch die Natur. Die “Sternken” lieben die Nähe des Wassers und brüten nur wenig über der Hochwasserlinie. Die alle 14 Tage eintretende Springflut, verbunden mit wenigen Westwindstärken, genügt oft, um Gelege und Jungvögel zu überfluten. Im Juni ist auch tagelang anhaltender Regen, verbunden mit kaltem Nordwind, nicht selten, oder es weht aus Nordwest, und die Bruten der Zwergseeschwalben werden vom Sandflug bedroht.

Gelege von Überflutung betroffen

Eine weitere Seeschwalbenart, die Brandseeschwalbe (Thalasseus sandvicensis) hat früher auf Amrum gebrütet. Sie wird 1845 von Knudt J. Clement genannt und hat ebenfalls einen friesischen Namen: “Huuchsternk”. Heute ist diese Art vor allem mit einer großen Kolonie von bis zu 3000 Brutpaaren von der Hallig Norderoog bekannt, tritt aber im Hoch- und Spätsommer auch auf Amrum auf, wenn sie mit herrischen “Kerrik – kerrik” – Rufen längs des Meeresufers am Kniepsand südwärts zieht und das Ende des Sommers verkündet, während Fremdenverkehr und Badesaison noch in vollem Gange sind.
Alle hier genannten Seeschwalben ernähren sich von Fischen, die sie im stoßtauchenden Flug erbeuten. Und alle haben Füße mit Schwimmhäuten. Aber niemals sieht man eine Seeschwalbe schwimmend. Nur der frühere Krabbenfischer Heinz Domscheit hat einmal schwimmende Seeschwalben gemeldet.
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