Vogelkoje Wittdün – im Besitz von Amrumern, Berlinern und New Yorkern


Zwischen Wittdün und der “Heidekate” liegt ein Naturparadies, das den meisten Amrumern nahezu unbekannt ist und das nur ganz selten eher zufällig von Inselgästen betreten wird – das Urwaldgelände um den großen, stillen Teich der ehemaligen Vogelkoje. Unmittelbar nebenan führt ein Fahrrad- und Fußgängerweg vorbei mit täglich Hunderten von Passanten. Und auf der benachbarten Autostraße rauscht die Monotomie des ewigen Autoverkehrs. Gegenüber in den Dünen lärmen im Sommer die Brutkolonien der Möwen und liegt das Gewimmel des Campingplatzes. Aber im Gelände der ehemaligen Vogelkoje herrscht an der Seite des sommerlichen Trubels unfassbare Ruhe! Und mittendrin im Urwald von Birken, Erlen und Kiefern ein gewaltiges Menschenwerk – der mit Spaten und Schaufeln vor 140 Jahren ausgehobene Teich mit seinen sechs Seitenkanälen, den “Pfeifen”, über die Wildenten in die Netze und Reusen gelockt werden sollten.

Die Vogelkoje – 1883 mit 6 Pfeifen angelegt

Als Entenfanganlage aber war die Koje ein weitgehend ungenutztes Werk. Vergeblich wurden die aus dem Watt zu Süßwasserteichen einfliegenden Wildenten erwartet, und die “Aktionäre” der Koje erhielten keine “Dividende” in Form von Krick-, Pfeif- und Spießenten (Grauvögel) für ihren finanziellen Einsatz. Vielmehr mussten sie noch jahrelang Gerste für die Fütterung der “Lockenten” und für die erhofften Wildenten zahlen.

Verwirrende Eigentumsverhältnisse

Einige Jahre zuvor, 1867, hatte eine Gemeinschaft von Interessenten auf der Heideflur “Meerum” eine Entenkoje eingerichtet und verzeichnete nach anfänglichen Schwierigkeiten einen beachtlichen Erfolg. Beispielsweise wurden im Jahre 1880 2.660 Enten, 1881 4.590 und 1883 sogar 11.650 Enten, vor allem die großen und schmackhaften Spießenten (Anas acuta) gefangen. Allerdings fiel im folgenden Jahr 1884 die Fangmenge auf 2.368 zurück. Aber die Fangmengen der Vogelkoje bei Norddorf haben sicherlich dazu angeregt, auch im Süden von Amrum, auf der Flur “Klintum”, eine Vogelkoje anzulegen.

Die Amrumer Südhälfte war damals nahezu unbewohnt. Hier stand nur der 1875 in Betrieb genommene Leuchtturm mit Wärterhaus, aber die Südspitze Wittdün wurde erst ab 1890 für die Anlage eines Seebades entdeckt.

Klintum bestand aus einem Wechsel von Mooren mit Senken und Wassertümpeln, aus flachen Dünen und Heideland. Eine Senke bot sich als Anlage für den Kojenteich an. Aber es war ein beachtliches Werk, das hier von Menschenhand durchgeführt wurde, vermutlich aber begünstigt durch die zahlreichen Tagelöhner auf Amrum. Gab es doch vor Beginn des Fremdenverkehrs kaum festbezahlte Arbeitsplätze auf der Insel.

Es gibt aber keine Unterlagen über den Bau der Entenfanganlage, wie es überhaupt an Dokumenten über die Vogelkoje Klintum fehlt (es sei denn, diese liegen noch auf dem Dachboden irgendeines früheren “Aktionärs”). Zwei Gründe bieten dafür eine Erklärung: Die Koje hat fast keine Enten gefangen und deshalb keine Dokumente produziert. Und das Gelände geriet in die Besitz- und Bodenturbulenzen auf der Amrumer Südspitze Wittdün und in die damit verbundenen Zwangsversteigerungen.

Initiator des Kojenunternehmens war der in Süddorf, Haus Nr. 95 lebende Steuermann und Bauer Cornelius Jannen, verheiratet mit Marianne, geb. Tychsen aus Lunden. Cornelius lebte von 1830 bis 1900. Aus einem Schreiben der Kojeninteressenten der “alten” Koje Meerum an den Gemeindevorsteher Hinrich Philipp Hansen, unterzeichnet von 69 “Genossen” am 18. Februar 1884, geht hervor, dass “wir gegen die Anlage einer neuen Vogelkoje in Klintum nichts einzuwenden haben, aber mit der willkürlichen Verteilung der Actien, die einen großen Teil unserer Gemeinde ausschließt, sind wir nicht einverstanden (…)”. Offenbar wollten die Erbauer der neuen Koje in Klintum nur einige wenige “Kapitalisten” beteiligen, aber eine Liste vom 14. Januar 1884 weist dann die Hergabe von Aktien an 84 Insulaner in allen Inseldörfern auf, 63 volle, 18 halbe und drei 1/5-Anteile.

Am 26. April 1884 wird den “(…) Eingessenen Cornelius Jannen und Genossen in Süddorf die Konzession mit der Bedingung erteilt, dass diese innerhalb Jahresfrist fertiggestellt wird”. Gleichzeitig wird von der zuständigen preußischen Provinzialregierung eine “Polizeiverordnung” über die “Aufhebung des Jagdrechtes auf Amrums Grund und Boden” erlassen und unter Androhung einer Strafe bzw. entsprechender Haft zwischen dem 1. August bis zum Eintritt des Frostes jegliches Schießen und sonstiges Lärmen im Umkreis von zwei Kilometern rund um die Vogelkoje verboten.

Die Hütte des Kojenwärters – nur eine kleine Unwetter-Unterkunft

Als weiteres Dokument über die neue Vogelkoje liegt im Archiv des Verfassers eine Beschreibung des Wärterhauses in der neuerbauten Vogelkoje in Klintum vor. “Das Haus aus massiven Steinen wird auswändig 5 Meter lang und 4m breit (…)”.

Ebenfalls vorhanden ist das Tagebuch von Jacobine Tönissen geb. Engemann, mit Nachrichten über den Verkauf von einigen Spießenten (Grauvögel), die allerdings von der Vogelkoje Meerum geliefert sind, weil eigene Fänge offenbar fehlten. Ebenso ist die Lieferung von Gerste notiert, und hier werden 13 Anteiler, fast alle aus Süddorf, genannt. Nur einer, der Amsinck-Kapitän Friedrich Stuck, stammt aus Nebel.

Und nur wenige Male taucht die Vogelkoje Klintum im Protokollbuch des Gemeinderates Amrum (bis 1912 bzw. 1925 noch eine Gesamtgemeinde) auf.

In den 1880er Jahren treten auf Amrum im Zusammenhang mit dem überschwenglichen Landverkauf der Gemeinde Amrum an auswärtige Interessenten und Spekulanten aus Berlin die Kaufleute und Fabrikanten Felix und Alexander Jonas auf. Und die Gemeindevertretung, die kurz vorher noch den Leiter der Westfälischen Diakonissenanstalt, Pastor Friedrich von Bodelschwingh gerufen hatte, um “Vatersitte und Vaterglaube” auf Amrum gegen die “drohende Badekonkurrenz zu bewahren”, sagte den Brüdern Jonas umfangreiches Gelände zu.

Die Koje in ihrer Urform, um 1920

Die Vogelkoje Klintum in Berliner Hand

Die “Genossen” der neuen Vogelkoje hatten das Gelände von etwa sechs Hektar (nach anderen Angaben acht ha) zunächst für 18 Mark jährlich gepachtet. Aber am 20. Februar 1891 wird die Anlage für 11.424 Mark an Interessenten verkauft. Naheliegend ist die Annahme, dass es sich bei den “Interessenten” um die Amrumer Eigentümer der Kojenanteile handelt. Aber es ist eine Interessengemeinschaft aus Berlin, bestehend aus dem Fabrikanten Felix Jonas, dem Bankdirektor Alexander Jonas und dem Kaufmann Adolph Hegewaldt. Mit der Vogelkoje Klintum war aber nichts Kommerzielles anzufangen. Es war kein Bauland, und die Koje fing keine Wildenten. Vielmehr wurden die genannten Herren durch die Gemeinde Amrum zum Kauf genötigt, als “…Entgegenkommen dafür, dass die Gemeinde Amrum dem Herren Jonas das gepachtete Terrain (Bauplätze auf Wittdün) für 2.500 Mark per Hektar und ferner ein Terrain Gemeinde- und Dünenland beim Leuchtturm für die Dauer von 10 Jahren überläßt”. Aus heutiger Sicht ist es unglaublich, wie leichtfertig und großzügig die Gemeindevertretung mit Grund und Boden ihrer Heimatinsel umging. Denn bei dem Gelände am Leuchtturm handelte es sich um nicht weniger als 40 (vierzig!) Hektar, wo die Brüder Jonas offenbar ein Seebad à la Westerland planten. Die Aussicht, für landwirtschaftlich völlig wertloses Gelände Geld zu kassieren, muss den Gemeindevertretern total den Kopf verdreht haben! Jonas plante auch den Bau einer Eisenbahn auf Amrum. Wie anders hätte Amrum ausgesehen, wenn die Gebrüder Jonas ihre Pläne verwirklicht hätten? Aber offenbar fehlte den Herren dann doch das Geld, und sie erscheinen auch nicht mehr im Protokollbuch der Gemeinde Amrum. Lediglich das Grundbuchamt in Niebüll meldet, dass ab 1894 Alexander Jonas als alleiniger Eigentümer eingetragen ist und von dessen Erben die Vogelkoje Klintum im Jahre 1922 an den Schlachtermeister Theodor Lorenzen in Wittdün verkauft wird. Schon lange vorher, im Jahre 1905, war im Nordosten des riesigen Grundstückes eine kleine Parzelle an Lorenzen verkauft worden.

Theodor Lorenzen (1873-1952, auf Amrum mit Uckelnamen “Tedje Kaninn” genannt) hatte im Jahre 1911 an der Wittdüner Hauptstraße ein Haus errichten lassen und mit dem Abbruchholz der Wittdüner Wandelbahn hinter dem Haus einen Viehstall gebaut, wo bis zu 50 Kühe standen. Ebenso wurde hier die Schlachterei betrieben. Aber “Tedje” kam mit den Finanzen nicht zurecht, und als die Sparkasse in Wyk den Kredit sperrte, stand das Gewese zur Zwangsversteigerung an. Es wurde dann von dem Klempner und Installateur Paul Bohn (heute Fa. Arfst Bohn) erworben und der Stall als Werkstatt ausgebaut.

Karpfenangler Max Ganzel am Kojenteich

Die Vogelkoje – mit Ausnahme der 1905 erworbenen kleinen Parzelle – aber wurde im Jahre 1933 an den in New York lebenden Bauunternehmer Peter Norman Petersen verkauft. Die entsprechende Vermittlung besorgte hier auf Amrum der Kirchenälteste und Chronist Johannes Jannen, der offenbar in den USA als Kaufmann in New York mit “Piet” Petersen Bekanntschaft geschlossen hatte. Letzterer stammte vom nordfriesischen Festland, war aber mit einer Amrumerin, Therese Gerdine Tönissen, geb. 1881 in Nebel, verheiratet.

Was Peter Norman Petersen mit diesem umfangreichen Gelände wollte, ist nicht überliefert. Denn unverändert bestand Klintum aus einem Gemenge von Dünen, Heide, Mooren und darin dem großen Teich der Vogelkoje, der mit keiner Einrichtung an den ursprünglichen Zweck, hier Wildenten zu fangen, erinnerte. Und dazu bestand auch für die Zukunft keine Aussicht, umso mehr, als im Jahre 1901 direkt an der Südseite die Schienen der Inselbahn gelegt worden waren.

“Piet” Petersen hätte die Koje nach dem Weltkriegsende auch gerne wieder verkauft und war im Jahre 1952 zu diesem Zweck von New York nach Amrum gereist. Er übernachtete bei seinem Verwandten, den Schmiedemeister in Süddorf, Friedrich Tönissen. Als dieser von der Verkaufsabsicht (über die Gemeinde Nebel) und von der Preisvorstellung erfuhr, griff “Fiede” Tönissen für 500 Dollar bzw. 2000 Deutsche Mark kurzentschlossen zu, und so kam die Vogelkoje Klintum in den Besitz der Süddorfer Familie Tönissen, wo sie sich bis heute befindet.

Die fast völlig fehlende Aktenlage über die Vogelkoje Klintum bedingte langwierige Nachforschungen über den Besitzwechsel – bis ein Schreiben des Landgerichtes Flensburg am 8. August 2020 die Einsicht in das Grundbuch von Wittdün, Blatt 86 beim Grundbuchamt Niebüll, erlaubte. Und dort wurde freundlicherweise durch Herrn Peter Carstensen eine detaillierte Auskunft über den Wechsel der Besitzverhältnisse erteilt.

2021 Georg Quedens     Urheberrecht beim Verfasser

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