Amrum ist eigentlich keine Euleninsel. Trotz umfangreichen Waldbestandes konnte die in Deutschland bzw. Europa häufigste Eule, der W a l d k a u z, auf Amrum bisher nur wenige Male und kurzfristig bestätigt werden. Im Inselwald fehlt es an uralten Bäumen mit geeigneten Bruthöhlen. Gleiches gilt für den ebenfalls über fast ganz Europa verbreiteten S t e i n k a u z (der Vogel mit dem “bösen” Gesicht). Und auch für die S c h l e i e r e u l e (um nur die Wichtigsten zu nennen) fehlen alte Kirchtürme und die bäuerliche Landschaft mit alten Feldscheunen und Einflugöffnungen.
Trotzdem lassen sich für Amrum zwei Eulenarten als Brutvögel nachweisen; die eine Art schon seit alter Zeit, und sie trägt sogar einen friesischen Namen:
K a a t ü ü l, die Katzeneule, deutsch: S u m p f o h r e u l e.
Die Sumpfohreule kommt in Sümpfen und Mooren vor, ist aber noch eher ein Vogel des Ö d l a n d e s, der Heide und der Dünen, unfruchtbar und ohne menschliche Aktivitäten. Eine solche Landschaft bietet Amrum mit seiner ausgedehnten Dünenlandschaft und noch bis Mitte des vorigen Jahrhunderts mit den Heideflächen in der Inselmitte. Diese Landschaft wurde ab 1948 durch eine umfangreiche Aufforstung verändert.
Aber die Sumpfohreule mag kein Gebüsch und keine Bäume. Bis Mitte des vorigen Jahrhunderts war die Inselheide ein typischer Brutplatz dieser Eule. Und wenn man auf dem Heideweg (Nei Stiich) zwischen Norddorf und Nebel unterwegs war, konnte man im Frühjahr die balzenden Männchen sehen. Sie stiegen hoch hinauf, begannen zu kreisen und ließen sich dann mit dumpfen “Bu bu bu” – Rufen herabfallen. Später, wenn das Eulenweibchen brütete oder bei den Jungen war, wurde man von den Männchen in einiger Höhe begleitet, stumm und mit bösen Augen. Kam man dann dem Brutplatz zu nahe, ließ sich das Männchen auf den Boden fallen und flatterte dort, sich flügellahm stellend, quäkend umher – das Schauspiel der sogenannten “Verleitung”, wie es auch von anderen Vogelarten (Enten, Limikolen) gezeigt wird, um von der Brut abzulenken. Raubwild dürfte auf dieses Schauspiel hereinfallen und die scheinbar verletzte und behinderte Beute verfolgen. Beim Menschen wirkt das “Verleiten” natürlich kaum, allenfalls bei unkundigen Spaziergängern!
Wie erwähnt, mag die Sumpfohreule keine Bäume. Und das heißt, dass ihr Nest am Boden liegt. Nest kann man aber nur bedingt sagen. In der Regel ist es nur eine kahle Stelle unter einem Busch Strandhafer oder Besenheide. Hier legt die Eule ihre weißen Eier, bis zu sieben, wenn genügend Mäuse vorhanden sind. Denn das Vorhandensein von Beutetieren bestimmt den Umfang des Geleges, bis hin zum völligen Aussetzen der Brut, wenn es an Mäusen fehlt (wohingegen die Menschheit ja bekanntlich eher zum gegenteiligen Verhalten neigt: je geringer die Nahrungsgrundlage, desto größer die Schar der Kinder).
Weil das Eulenei weiß und damit sehr auffällig ist, muss es gut gegen Krähen verborgen werden, und deshalb bleibt die Eule nach Ablage des ersten Eies gleich zum Brüten sitzen. Die folgenden Eier werden in Abständen von zwei bis drei Tagen gelegt, und das heißt, dass die zuerst gelegten Eier schon entsprechend lange bebrütet sind und die Jungen in gleichlautenden Abständen schlüpfen. Deshalb findet man in einem Eulennest neben schon fast halbflüggen Jungen in der Regel noch einige Eier, die noch ausgebrütet werden müssen.
Die Nachzügler haben nur eine Überlebenschance bei einem Überangebot an Beutetieren. Dann liegen manchmal ein halbes Dutzend Mäuse am Nestrand, mehr, als die Eulenmutter verfüttern kann. In diesen Fällen haben auch die Nachzügler eine Chance, flügge zu werden. Andernfalls sind sie früher oder später verschwunden, vermutlich gestorben und an die älteren Geschwister verfüttert.
Kaum halbflügge, verlassen die Jungen das Nest und verbergen sich in der Umgebung – ein sinnvoller Schutz in Gegenden, in denen es Füchse und andere Prädatoren gibt. Wird das Nest entdeckt, gehen nicht alle Jungtiere verloren.
Sumpfohreulen sind – wie selten andere Vogelarten – in sieben fast identischen Arten über die ganze Welt verbreitet. Sie brüten sogar auf Hawai, auf den Galapagosinseln im Pazifik und auf den Falklandinseln im Atlantik. Aber überall sind sie selten und treten als unstete Brutvögel – entsprechend der vorhandenen Beute – auf. Beispielsweise werden sie auf Amrum mit ein, zwei Bruten gezählt, in einem Jahr (1973) wurden aber 12 Bruten notiert. Und einige Jahrzehnte wurde die Sumpfohreule als Brutvogel auf der Odde gemeldet, wo vereinzelt auch brütende Küsten- bzw. Flussseeschwalben erbeutet wurden. Sonst bildeten vor allem Ostschermäuse die Hauptnahrung. Aber vor etwa fünf Jahren starben diese auf Amrum aus unerklärlichen Gründen aus, und damit verschwand auch die Sumpfohreule.
Waldohreule
Während die Sumpfohreule nur ganz kurze, oft nicht sichtbare Federohren hat, stehen solche bei der Waldohreule deutlich auf dem Kopf. Diese Eulenart brütet in alten Krähen- und Elsternnestern, die sie für ihr Gelege mit vier bis sechs weißen Eiern notdürftig herrichtet. Das heißt, dass sich diese Eulenart erst als Brutvogel auf Amrum ansiedeln konnte, als entsprechender Baumbestand den Rabenvögeln Gelegenheit zum Nestbau ermöglichte. Und das war frühestens in den 1920/1930er Jahren der Fall. Damals entstanden auf dem Leuchtturmgelände durch den Staat und privat auf der Inselheide bei Süddorf, Nebel und Norddorf sowie an der Satteldüne erste kleine Gehölze, vor allem mit Krüppelkiefern.
Die kleinen, isolierten Gehölze mit der umliegenden Heide und Feldmark waren ein ideales Brutgebiet für Krähen. Kein Gehölz ohne Krähennester, und um die Mitte des vorigen Jahrhunderts nachfolgend alle besetzt mit Waldohreulen. Die Anzahl der Brutpaare betrug insgesamt auf Amrum bis zu 12, entsprechend der günstigen Mäusejahre. Die Nestränder der Waldohreulen lagen über den tatsächlichen Nahrungsbedarf der Eulenfamilien hinaus jahrelang voller Ostschermäuse. Bekanntlich würgen Eulen, die zunächst ihre Beute “mit Haut und Haaren” fressen, Federn, Fell und Knochen als etwa daumengroße “Gewölle” wieder heraus. Diese geben zweifelsfreien Aufschluss über das Beutespektrum. Die Gewölle der Amrumer Waldohreulen wurden in den 1950er Jahren von Kumerloeve/Remmert untersucht und dabei festgestellt, dass nicht die häufige Ostschermaus, sondern die vor allem in den Dünen lebende W a l d m a u s mit fast 90% die Hauptbeute der Waldohreule ausmachte. Erst später überwog die Ostschermaus, wobei die Eule deren Erbeutung erst lernen musste, weil erwachsene Tiere schon zu groß sind. Darüber hinaus werden aber auch nächtlich schlafende Kleinvögel erbeutet.
Waldohreulen gehören zusammen mit dem Waldkauz zu den häufigsten Eulen in Deutschland, fallen aber wegen ihrer nächtlichen Lebensweise kaum auf. Am ehesten werden Bruten dieser Art noch im Hochsommer registriert, wenn die fast flüggen Jungen sich im Brutgebiet verstreut haben und nachts laut fiepend ihren Standort zwecks Fütterung an die Altvögel melden. Das gegenwärtige Verschwinden der Mäuse auf Amrum hat aber auch das Verschwinden der Eulen ausgelöst.
2022 Georg Quedens
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