Für eine Insel wie Amrum ist eine medizinische Versorgung mit niedergelassenen Ärzten und Zahnärzten sehr wichtig. Neben den 2400 Einwohnern müssen auch bis zu 10.000 Gäste medizinisch betreut werden. Kurzfristig droht nun eine Lücke in der zahnmedizinischen Versorgung auf Amrum. Die Wittdüner Zahnärztin Nina-Patricia Bienert schließt ihre Praxis zum 31.10.2022 und Zahnarzt Jost Jahn in Nebel plant Anfang 2023 in den Ruhestand zu gehen. Für beide Praxen ist zurzeit kein Nachfolger in Sicht.
Wie Zahnärztin Bienert auf ihrer Homepage berichtet, ist es ihr seit der Praxiseröffnung 2018 nicht gelungen, ausreichend Personal auf Amrum zu finden. Dieses hat zu langen Wartezeiten bei den Patienten und zu einer sehr hohen Arbeitsbelastung bei dem zu kleinen Team geführt. Nicht zuletzt ist sicher auch fehlender, bezahlbarer Wohnraum für Mitarbeiter ein Grund dafür, dass es nicht gelingt, qualifiziertes Personal nach Amrum zu bekommen.
Zahnarzt Jahn aus Nebel gibt seine Kassenzulassung Anfang 2023 zurück. Er hat das Rentenalter erreicht und möchte in Zukunft etwas kürzertreten. „Mir macht die Arbeit als Zahnarzt immer noch Spaß und ich hätte mir auch vorstellen können, noch einige Zeit mit reduzierter Stundenzahl weiterzumachen, allerdings nicht in meiner eigenen Praxis, sondern als Aushilfe bei einem/einer neuen Kollegen/Kollegin“. Es ist sicher schwierig so kurzfristig Ersatz zu finden und es könnte bedeuten, dass ein Zahnarztbesuch auf der Nachbarinsel oder auf dem Festland notwendig wird, Notfälle könnten gar nicht abgedeckt werden.
„Wir haben diese Thematik auf Amtsebene angesprochen, „so Nebels Bürgermeister Cornelius Bendixen „und suchen nach Lösungen.“ Für einen neuen Zahnarzt müssten neue Praxisräume und eine Wohnung gefunden werden, was sicherlich nicht so einfach ist. Inwieweit hier die vorhandene Praxis in Wittdün samt Einrichtung übernommen werden kann, ist zurzeit nicht klar. „Ohne die Hilfe der Kommune ist es für einen neuen Zahnarzt vom Festland sehr schwierig eine neue Praxis zu eröffnen und auch noch eine geeignete Wohnung zu finden,“ so der Nebeler Zahnarzt Jahn. Die Kassenzahnärztliche Vereinigung Schleswig-Holstein zeigte sich überrascht von dieser Entwicklung. Es gibt zwar einen Sicherstellungsauftrag für die Kassenärztliche Vereinigung, dieser bezieht sich aber auf Kreisebene und nicht auf Gemeindeebene. „Uns liegt noch keine Information über die geplante Schließung der beiden Amrumer Praxen vor“, so Peter Oleownik, Vorsitzender der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein, „sobald wir offiziell informiert werden, können wir sicherlich bei einer Neubesetzung behilflich sein.“
Nach der Klärung von Raum- und Wohnungssituation, planen die Gemeinden und das Amt Föhr Amrum in entsprechenden Fachzeitschriften Anzeigen zu schalten.
Neben der zahnärztlichen Betreuung ist aber auch die generelle medizinische Betreuung ein Thema. Auf Amrum gibt es drei Kassenarztsitze, einen in der Praxis Beymann in Norddorf und zwei in der Praxis an der Mühle in Nebel (zweite Stelle wegen hoher Patientenanzahl). Zusätzlich gibt es in der Praxis an der Mühle noch eine weitere Stelle für Ärzte/innen in der Facharztweiterbildung zum Allgemeinmediziner. Nachdem Dr. Totzauer, der sich mit einem weiteren Arzt die 2. Stelle geteilt hat, Anfang des Jahres in Ruhestand gegangen ist, versucht Dr. Claudia Derichs einen neuen Kollegen nach Amrum zu bekommen. „Seit über einem Jahr habe ich alle möglichen Anstrengungen unternommen, einen Arzt/in für die Insel zu verpflichten, leider ohne Erfolg. Ähnlich wie auf dem Festland wird es immer schwieriger, vakante Hausarztstellen wieder neu zu besetzten,“ so Claudia Derichs.
Die medizinische Versorgung auf Amrum unterscheidet sich deutlich von der Situation auf dem Festland. Es gibt kein Krankenhaus, keine Facharztpraxen, keine Röntgenmöglichkeit und kein Labor. Die beiden Arztpraxen versorgen neben den 2400 Einwohnern in den Sommermonaten auch noch 10.000 Gäste, sowohl hausärztlich als auch akut- und notfallmedizinisch rund um die Uhr. Der ärztliche Bereitschaftsdienst (ab 18:00 Uhr, Sa/So 24h) wird durch die Ärzte/innen der beiden Praxen abgedeckt, die 24 h Notfallbereitschaft durch die Notfallmediziner/innen der Praxis an der Mühle.
Die vielen durchzuführenden Bereitschaftsdienste sind sicherlich für eine Neubesetzung nicht unbedingt förderlich, zumal sie sehr schlecht bezahlt werden. Zusätzlich ist es unverständlich, dass für einen Bereitschaftsdienst auf Föhr das Honorar mehr als doppelt so hoch ist wie auf Amrum, obwohl es dort ein Krankenhaus und deutlich mehr Ärzte gibt. Warum die Ärztekammer diese Unterschiede macht, ist nicht nachvollziehbar.
Zusätzlich zu der vakanten Stelle in der Praxis an der Mühle in Nebel wird altersbedingt in absehbarer Zeit auch ein Nachfolger für Dr. Breymann in Norddorf gesucht werden müssen, was nach den Erfahrungen der Praxis an der Mühle sicherlich nicht einfach werden wird.
Wie kann die medizinische Versorgung für Amrum zukünftig sichergestellt werden?
Auf Initiative von Dr. Claudia Derichs wurden erste Gespräche mit dem Amt und den Gemeinden über die Möglichkeit eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) geführt, welches die ärztliche Versorgung zukünftig auf Amrum sicherstellen könnte. Die Idee ist, eine Berufsausübungsgemeinschaft/Gemeinschaftspraxis mit 4-5 Ärzten zu betreiben, die selbständig oder angestellt in Vollzeit oder Teilzeit tätig sein könnten. Das Konzept sieht vor, dass die ärztliche Versorgung weiterhin in Selbständigkeit erfolgen soll und nicht als kommunal betriebenes Versorgungszentrum. Die Kommune stellt ein Gebäude zur Verfügung und vermietet die Räumlichkeiten an die Ärzte und weitere Interessenten aus dem Bereich Gesundheitswesen/Pflege. Gleichzeitig könnten in diesem neuen Gebäude auch Wohnmöglichkeiten für die Ärzte und Personal vorgesehen werden. Mit diesen Randbedingungen ist der Standort Amrum für einen neuen Arzt/Ärztin sicherlich attraktiver, aus Work Life Balance Sicht aber auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten.
Ein vom Amt Föhr Amrum eingeschalteter externer Koordinator, der schon einige MVZ konzipierte, hat in verschiedenen Gesprächen Kontakt zu einigen Beteiligten aufgenommen. Bisher gab es aber noch kein gemeinsames Treffen aller Beteiligten, was erfahrungsgemäß zu Irritationen bei Betroffenen aber nicht involvierten Personen führt. Innerhalb der drei Amrumer Gemeinden sowie auch bei den ansässigen Ärzten gibt es zu diesem Thema noch unterschiedliche Meinungen. Die Gemeinde Norddorf und auch Herr Breymann favorisieren momentan noch die Möglichkeit, einen Nachfolger für die Norddorfer Praxis zu finden. „Sollte sich dieses als zu schwierig erweisen, so werden wir sicherlich auch an einer gesamtinsularen Lösung mitarbeiten,“ so Norddorfs Bürgermeister Christoph Decker.
Erste Diskussionen über einen möglichen Standort werden kontrovers geführt. Neben der Frage, ob eine zentrale Lage in Nebel favorisiert wird, gilt es auch andere Randbedingungen, wie Verfügbarkeit von möglichen Grundstücken, vorhandenen oder neu zu erstellenden Bebauungsplänen oder sogar die Nutzung von bereits vorhandenen Gebäuden mit zu berücksichtigen. Es ist auch sinnvoll, die auf Amrum vorhandenen Kliniken (AOK, Satteldüne) mit eigenem medizinischem Personal mit einzubeziehen.
„Bis zum Jahr 2025 sollte auf jeden Fall eine Lösung für die zukünftige medizinische Versorgung auf Amrum etabliert sein,“ so Dr. Claudia Derichs, „die Zeit vergeht schnell und um die Idee eines MVZ zu realisieren, muss jetzt zeitnah Fahrt aufgenommen werden.“