Massenfang von Wildenten in den Vogelkojen

Im alten Amrum waren die dürftigen Lebensverhältnisse Anlass zu einer umfangreichen Nutzung der Natur durch Fischfang und Jagd. Zu dieser Nutzung gehörte auch die Anlage von Vogelkojen zum Massenfang von Wildenten, nachdem die Inselfriesen im 18. Jahrhundert als Walfänger auf holländischen Schiffen in den Niederlanden den erfolgreichen Betrieb solcher Anlagen gesehen hatten. Um anno 1730 segelte im Herbst eine kleine Abordnung von Föhr nach Nordholland, um die Vogelkogen und deren Fangprinzip genauer in Augenschein zu nehmen und anschließend in der Marsch der Gemeinde Oevenum nahe am Deich eine erste Vogelkoje, genauer Entenkoje, einzurichten. Diese Koje fing im Laufe ihres Bestehens bis dato fast 3 Millionen Wildenten, zumeist Spieß-, Pfeif- und Krickenten, die im Herbst in Unmengen aus ihren nordischen Brutplätzen nach Holland und England zogen. Später kamen dann auch die einheimischen Stockenten dazu (die in den Föhrer Vogelkojen noch heute gefangen werden dürfen).
Der Erfolg der Oevenumer Anlage regte natürlich auf Föhr auch in anderen Gemeinden und auf Sylt die Errichtung von Vogelkojen an, und trotz der Kosten von etwa 5.000 Talern entstanden bald bei Borgsum (1754) und Ackerum (1766) weitere Kojen, bis 1887 insgesamt sechs allein auf Föhr. 1767 wurde eine Koje bei Kampen auf Sylt eingerichtet, der später weitere folgten.

Auf Amrum wurde erst im Jahre 1806 über eine Anlage beraten. Aber diese kam, obwohl man nördlich von Nebel am Wattufer schon das Gelände erworben hatte, nicht zustande. Es hieß, dass man auf Amrum lieber die ungehinderte Jagd mit der Flinte betreiben wolle, aber Flintenschüsse die Wildenten erheblich stören und den Fangerfolg einer Vogelkoje beeinträchtigen würden. So blieben die Wildenten im herbstlichen Watt bei Amrum zunächst und lange vom Massenfang verschont. Aber im Jahre 1865/66 ergriff der Schmied Nickels Johann Schmidt (1829-1910) die Initiative, und in der sumpfigen Heideflur Meerum wurde eine Vogelkoje errichtet, gebaut für die Summe von 2.400 Mark Courant und finanziert von 80 Losen, gezeichnet von fast allen Inselhäusern. Die Dividende waren Wildenten. Und bis zum Jahr der Stilllegung 1936 wurden in der Vogelkoje Meerum rund 420.000 Enten gefangen! Der Erfolg dieser Koje veranlasste im Jahre 1883 einige Einwohner aus Süddorf, einen Antrag an die Regierung über die Anlage einer weiteren Vogelkoje zu stellen, und zwar in der Dünenheide von Klintum nordwestlich von Wittdün. Die Amrumer Südspitze war damals noch völlig unbewohnt. Aber als sie ab 1889 für den Fremdenverkehr und für die Anlage eines Seebades entdeckt wurde, war es mit der Ruhe und der Möglichkeit des Entenfangs vorbei. Die Klintumer Vogelkoje, die von Anfang an wegen ihrer landschaftlichen Lage keinen Enteneinflug verzeichnete und keine Enten fing, musste stillgelegt werden und liegt heute als stiller, waldumsäumter See.

Ein ähnliches Bild – waldumsäumter Süßwassersee – bietet heute auch die Vogelkoje Meerum, die um 1936 als Entenfanganlage stillgelegt wurde. Durch den radikalen Entenfang längs der ganzen Nordseeküste von England über Holland, Nordfriesland bis Dänemark hatten sich die Entenbestände stark vermindert. Aber auch die Zugwege hatten sich verlagert.
Wesentlicher aber war der Erlass von Naturschutzgesetzen in der Nazizeit. 1936 wurde nicht nur der Entenfang in den Vogelkojen derart mit Auflagen belegt, dass sich der Fangbetrieb kaum noch lohnte. Auch die Bejagung von Hoch- und Niederwild wurde durch Schutzmaßnahmen eingeschränkt und z. B. einige Fischfangmethoden wegen Tierquälerei verboten. Dazu gehörte das “Hukern” und das Aal- und Schollenstechen. Auch die nächtliche Jagd mit der Blendlaterne auf Enten, Gänse und Limikolen im Wattenmeer war nicht mehr erlaubt. Vorher waren die Vogelscharen in “freier Jagd” mittels Schrotflinte konzentriert bejagt worden. Möweneiersammeln wurde terminiert und kontrolliert, der “Fischräuber” Seehund bekam in der Aufzuchtzeit der Jungtiere eine Schonzeit (vorher wurden Seehunde wegen des Felles, der essbaren Leber und des für Beleuchtungskörper ausgekochten Tranes eifrig bejagt).
Es war schon ein Kuriosum der Geschichte: Ausgerechnet die Nazis, die bei all ihren Untaten gegen Menschen keine Hemmungen kannten, legten vorbildliche, noch heute gültige und von anderen Ländern übernommene Jagd- und Naturschutzgesetze vor und richteten überall im Reich Naturschutzgebiete ein, auf Amrum z. B. die Nordspitze, die Odde.
Entsprechend der uralten Mentalität der Inselfriesen dauerte es allerdings einige Jahre, ehe die Gesetze beachtet wurden. Dann blieb nur die relativ “freie” Kaninchenjagd, um einer übermäßigen Vermehrung vorzubeugen. Und unverändert gab es in etlichen Inselhäusern Jäger und Flinten. Aber dann brach 1963 auch auf Amrum unter den Kaninchen die Myxomatose aus, und später kam noch die Chinaseuche hinzu, und auf Amrum wurde Halali geblasen.
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