Stumme Zeit – Solche Gespräche müssten wir viel öfter führen …


Stumme Zeit – ein besonderer Heimatroman

Die engagierte Sylter Gästeführerin Silke von Bremen stellte ihren Debütroman „Stumme Zeit“ auf Amrum vor. Obwohl die Autorin des Reiseklassikers „Gebrauchsanweisung für Sylt“ auf Amrum nicht allzu bekannt ist und das Cover ihres Debütromans ein Bild der Kirche St. Severin in Keitum auf Sylt zeigt, zog es Samstagabend über 60 Interessierte zur Lesung ins Norddorfer Gemeindehaus, darunter gut die Hälfte Insulaner:innen. „Nie hätte ich gedacht, dass so viele Amrumer hier sind, obwohl die Geschichte auf Sylt spielt“, sagte eine Norddorferin nach der rundum gelungenen Lesung mit anschließender Diskussion.

Silke von Bremen liest im Norddorfer Gemeindehaus aus ihrem Debütroman „Stumme Zeit“

Silke von Bremen ist selbständige Gästeführerin aus Leidenschaft und eine engagierte Heimatforscherin. Wer Sylt jenseits des Mainstreams kennenlernen möchte, sollte sich von ihr führen lassen – humorvoll und unterhaltsam, aber auch ernsthaft und ausgesprochen kenntnisreich. Die diplomierte Geografin leitete das Sylt-Museum in Keitum und lebt zusammen mit dem Sylter Landschaftsfotografen Hans Jessel seit über 30 Jahren auf Deutschlands nördlichster Insel. Kaum jemand kennt Sylt so gut wie sie.

Stumme Zeit heißt ihr erster Roman, der gut geschrieben interessante und spannende Einblicke in die jüngere Geschichte der größten nordfriesischen Insel gibt, die heute zum Inbegriff der Reichen geworden ist. Die Handlung führt zurück in die 1970er Jahre, als der Massentourismus begann, die Insel zu erobern.
In der Pause signiert die sympathische Autorin Buch um Buch

„Hauptprotagonistin ist Helma, die seit ihrer Geburt 1936 in einem Dorf auf Sylt lebt. Die Lage nahe dem Wattenmeer und die Präsenz von vielen alten Kapitänshäusern lässt auf das Dorf Keitum schließen, einst Hauptstadt von Sylt und ein Stück lebendige Inselgeschichte aus der Zeit des 18. Jahrhundert, als der Walfang noch die Haupterwerbsquelle von Sylt war.
Hier lebt Helma nach dem Tod des wenig geliebten Vaters Sönnichen allein auf dem alten Hof und beherbergt neuerdings Badegäste. Alte Aufzeichnungen führen sie gedanklich zurück in die Zeit, als ihre Mutter Karen kurz nach Helmas Geburt starb. Über sie und ihren Tod wurde nie gesprochen. Ebensowenig über das Verschwinden der Mutter ihres besten Kinderfreundes Rudi im Jahr 1944. Beide forschen nun nach, was ihren Müttern passiert ist und tauchen tief in eine raue, dunkle Zeit ein. Neben der Zeit des Nationalsozialismus, der auch auf Sylt wütete, wird die Zeit der 1970er Jahre lebendig, als sich durch den Tourismus das Inselleben radikal änderte, Traditionen verschwanden, aber auch Geld auf die einst bitterarme Insel strömte. Auch Bewohner, die einst fortgegangen sind, kehren zurück. So wie die einstige Jugendliebe Helmas, Dietrich. Zur gleichen Zeit treibt ein Brandstifter sein Unwesen im Dorf und seiner Umgebung.“
So fasst Petra Reich in ihrem Literaturblog Literaturreich.de die Handlung des Romans zusammen, ohne zu viel von der Geschichte preiszugeben, die im Verlauf des Romans immer spanender wird.

Der Titel „Stumme Zeit“ könnte nicht besser gewählt sein, thematisiert der Roman doch die bis heute nachwirkende familiäre und gesellschaftliche Sprachlosigkeit über Ereignisse im Nationalsozialismus, die vielfach noch immer tabuisiert und beschwiegen werden – nicht nur auf Sylt.
Sie habe über ein Stück Geschichte geschrieben, die auf Amrum, Föhr und Sylt ganz besonders tief vergraben liegt, so die Autorin Silke von Bremen, die wunderbar erzählen, aber auch sehr genau zuhören kann. Erst jetzt werde langsam begonnen zu graben und zu forschen. Auf einmal würden dann alle wacher, und etwas passiert.
Uli Siering mit Silke v. Bremen im Gespräch

„History is not the past, it is the present. We carry our history with us. We are history.“ Nicht zufällig stellt die Autorin ihrem Roman-Erstling dieses Zitat von James Baldwin voran. In dem, ganz wunderbar von Ulrich Siering im Anschluss an die Lesung geführten Literatur-Gespräch, sagte die gebürtige Altländerin: „Wenn man in Richtung Brokdorf marschiert ist, spätestens dann, wird man ein Stück bundesrepublikanischer Geschichte. Wir alle schreiben Geschichte. Jeder von uns ist ein Stück Geschichte.“

Also mischt sich die „Von Bremen“ engagiert und empathisch auf vielfältige Weise auch in das soziale, politische und kulturelle Leben unserer Nachbarinsel ein. So initiierte sie u.a. das Projekt „Living-History“ in Keitum, gründete denFörderverein „TelefonSeelsorge Sylt e.V. und setzt sich mit der Bürgerinitiative „Merret reicht’s: Mitmachen, einmischen, anders denken, mit Spaß und Leidenschaft – aus Liebe zu Sylt“ für bezahlbaren Wohnraum auf der Insel ein.
Dankschön der Veranstalterin Kirsten Sothmann (Bücherstube)

Vor zwei Jahren gründete sie den Arbeitskreis „Erinnerungskultur Nationalsozialismus auf Sylt“, der erreichte, dass vor Ort ein Gedenkstein an die Todesopfer des NS-Kriegsgerichts auf Sylt erinnert und inzwischen 25 Stolpersteine auf das Schicksal von 23 Personen hinweisen, die aus unterschiedlichsten Gründen Opfer des Nationalsozialismus wurden. Deren Biografien zu recherchieren und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, war mit viel Arbeit verbunden, aber die betroffenen Familien seien dankbar, endlich darüber reden zu dürfen. Das tut gut, erzählte Frau von Bremen im Bühnengespräch nach der Lesung.

Stolpersteine zu verlegen, um Menschen, die in den Schatten gestellt und aus der Geschichte, aus den Erzählungen heraus gedrängt wurden, die man nicht sehen will, wahrzunehmen – das werde auch auf Amrum überlegt, berichtete Ulrich Siering. „Macht das!“, ermutigte Silke von Bremen das Amrumer Publikum und erntete dafür spontan Beifall wie für Vieles, was sie an diesem kurzweiligen Literaturabend über die Arbeit an ihrem ersten Roman preisgab.
„Solche Gespräche wie heute müssten wir viel öfter führen“, blieb an diesem schönen Sommerabend keine Einzelmeinung.
Stumme Zeit“ erschien im Dörlemann Verlag und ist für 25 Euro im Buchhandel erhältlich (ISBN 978-3-03820-137-3)
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Über Astrid Thomas-Niemann

Astrid Thomas-Niemann ist gelernte Schifffahrtskauffrau sowie studierte Sprach- und Erziehungswissenschaftlerin. Sie hat viele Jahre als Schifffahrtsanalystin gearbeitet und lebt seit 2015 in Wittdün. Als junge Frau kam Astrid 1981 das erste Mal auf die Insel und besuchte auf Zeltplatz II die Niemanns aus Hamburg, die Amrum seit 1962 urlaubsmäßig die Treue halten, inzwischen bereits in der 4. Generation.

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