Zu einem Amrum-Aufenthalt gehört eine Wanderung um die Nordspitze, die Amrumer Odde, einfach dazu. Geht man an der Wattseite entlang, kommt man kurz vor der Odde und dem Übergang zur Seeseite an gut sichtbaren Ruinenresten vorbei. Vielen stellt sich die Frage, was diese Zementreste wohl mal für einen Sinn gehabt haben mögen. Ruinen haben per se immer etwas Mystisches an sich und verlassene oder verwunschene Plätze sind oftmals Relikte der Geschichte und werden auch als „Lost Places“ bezeichnet.
Bei den hier beschriebenen Mauerresten handelt es sich Überbleibsel eines Seenotrettergebäudes der „Station Amrum Odde“. Tatsächlich wurde hier im Jahre 1912 eine ganz ungewöhnliche Rettungsstation eingerichtet, liegt diese doch am Wattufer. Das damalige Rettungsboot „Picker“ lag hier draußen im Priel nicht überdacht an einem Ankerstein. Etwas später wurde am Ufer ein festes Gebäude als Lager für die Ausrüstung der Besatzung und Versorgung mit Brennstoff errichtet, deren Überreste eben auch heute noch zu erkennen sind. Im Jahr 1930 wurde die DGzRS-Station Amrum Odde aufgelöst, weil das dortige Rettungsboot immer nur bei Hochwasser einsatzfähig war.
Auf Amrum gab es in der Vergangenheit an diversen Orten DGzRS-Stationen, zeitweise sogar mehrere parallel. Ein Standortwechsel der jeweiligen Stationen war oftmals schon nach wenigen Jahren notwendig, da, zumeist bedingt durch die Strömungsverhältnisse der Nordsee, die stetigen Veränderungen des riesigen Amrumer Strandes, dem Kniep, zu Versandungen der Wasserwege für die Rettungsboote führten.
Wer sich für die enormen Veränderungen des Kniepsandes interessiert, dem sei ein Blick in die Karte „Amrum – Reise durch die Zeit“ (ISBN 978-3-926137-51-7) angeraten. Hier sind die unterschiedlichen Küstenlinien des Kniepsandes mit Jahresbezeichnungen eingetragen. Besonders beeindruckend ist die Darstellung des „Kniephafens“ um ca. 1800, zu dieser Zeit bildete der Kniep, der im ursprünglichen Verlauf kein „Strand“ sondern eine Sandbank ist, einen riesigen Haken, der als Naturhafen genutzt wurde. Erst rund 100 Jahre später, um 1900, versandete der Kniephafen und die Sandbank lagerte sich dem festen Inselkern an.
Erst im Jahr 1861 wurde in Emden ein Verein zur Rettung Schiffbrüchiger gegründet, erste Rettungsstationen wurden auf Juist und Langeoog eingerichtet. Gleichzeitig entstanden in Bremerhaven und Hamburg ebenfalls Rettungsvereine die sich letztendlich 1865 in die DGzRS (Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger) zusammenschlossen. Dass auch auf Amrum entsprechende Rettungsstationen sinnvoll waren und sind zeigt die Dokumentation von über 40 Seenotfällen im Seebereich der Insel Amrum allein in den Jahren von 1860 bis 1870. Im Oktober 1865 wurde das erste Rettungsboot auf Amrum am Kniephafen nordwestlich von Nebel, in etwa dort wo sich die Strandhalle und der Strandübergang befinden, stationiert. Heute steht an dieser Stelle eine Wetterstation hoch auf einer Düne und man kann sich hier davon überzeugen wie groß der Wandel in der Landschaft gewesen ist. „Theodor Preußer“ hieß das erste auf Amrum stationierte Rettungsboot. Es war 8,40 Meter lang und wurde mit acht Riemen gerudert. Am 30. Oktober 1890 erlitt dieses Boot ein schreckliches Schicksal. Beim Versuch einem gestrandeten Schiff vor Wenningstedt auf Sylt zu Hilfe zu kommen kenterte es in einer Grundsee bei Hörnum. Zwei Rettungsmänner und Familienväter aus Norddorf kamen ums Leben. Der Vorfall ist als „Todesfahrt der Theodor Preußer“ in die Geschichte der DGzRS eingegangen.
Auf Grund der bereits beschriebenen, von Südwesten heranwachsenden riesigen Sandmassen und Versandung des Kniephakens, mussten die Standorte der Rettungsstationen innerhalb nur weniger Jahre immer weiter verlegt werden. Bereits 1867 wurde die zweite Station („Station Hörn“) in etwa der Höhe der Vogelkoje, rund einen Kilometer nordwärts zur ersten Station, errichtet. Die beiden ersten Stationen waren wohl reine Holzgebäude, denn man findet heute an diesen Stellen keinerlei Mauerreste. Anders hingegen bei der dritten Station, wiederum weiter nördlich, die als „Baatjes Stich“ bekannt ist. Hier finden sich noch Überreste gemauerter Strukturen. Diese Station wurde 1876 in Betrieb genommen und bis 1912 genutzt. Von 1918 bis 1930 musste das Gebäude als „Armenhaus“ für obdachlose Amrumer herhalten, diente nach dem 2. Weltkrieg als Flüchtlingsunterkunft, und danach bis in die 1960er Jahre als Jugendheim. Anschließend fand das verwitterte Anwesen noch einen Verwendungszweck als Strandkorb-Winterquartier bis es letztendlich abgerissen wurde und die Ruine im Laufe der Zeit von einer Düne überdeckt wurde. Ortskundige Wanderer können die noch sichtbaren Backsteinreste ausfindig machen, indem sie sich von Norddorf aus kommend entlang der Dünenkante bewegen und an der richtigen Stelle, in etwa in der Mitte zwischen Aussichtsplattform Himmelsleiter und Leit- und Quermarkenfeuer, einen Trampelpfad in einen kleinen Düneneinschnitt hinaufgehen. Blickt man hier von den Überresten über die Vordünen in Richtung Nordsee, bekommt ein eine Vorstellung davon, wie sehr sich die Landschaft stetig verändert, v. a. wenn man bedenkt, dass dieser Ort sich einmal nahe der Wasserkante befunden hat.
Im Jahr 1888 wurde in Norddorf die „DGzRS Station Nord“ eingeweiht, die zunächst parallel zur „Station Baatjes Stich“ betrieben wurde. Hier war bis 1938 ein Rettungsboot, das über einen hölzernen Ablaufslip zu Wasser gelassen, bzw. mit pferdebespanntem Transportwagen gezogen wurde, im Einsatz. Der aus Ziegelsteinen gemauerte Bootsschuppen existiert heute noch. Er wurde von der Gemeinde Norddorf erworben, mit Badekabinen und Sanitäranlagen versehen und dient als Veranstaltungsort „Lollypop“ am Strandübergang für touristische Zwecke.
Bereits 1868, drei Jahre nach Eröffnung der ersten Amrumer Rettungsstation am Kniephafen, wurde zur Sicherung des Seebereichs südlich der Insel in Steenodde eine weitere Station („Station Steenodde Amrum“) eingerichtet, die bis 1881 in Betrieb war. Von hier aus konnte das Rettungsboot nur bei Hochwasser zum Einsatz gebracht werden und so wurde dann 1883 die „Station Amrum Süd“ an der bis dahin noch unbewohnten Amrumer Südspitze „Witjdün“ in Betrieb genommen. Sturmfluten bauten die Amrumer Südspitze ab und im Februar 1916 stürzte die Station, die zu dieser Zeit nur noch als Materiallager genutzt wurde, ein. Seit 1913 lagen die Wittdüner Rettungsboote bereits frei auf der Reede am Nordufer von Wittdün in dem Priel, der bis nach Steenodde hinaufführt. 1914 wurde durch das Wasserbauamt der Seezeichenhafen erbaut, der u. a. auch als Stützpunkt für den Bau des sog. Hindenburg-Damms vom Festland nach Sylt diente. Seit 1916 haben die Schiffe der DGzRS hier ihren festen Liegeplatz auf Amrum.
Nicht nur vielen Schiffbrüchigen, auch erkrankten oder verletzten Gästen der Insel Amrum und deren Bewohnern, die die Hilfe der Seenotretter in Anspruch haben nehmen müssen, sind die Namen der immer moderner und sicherer werdenden Seenotrettungskreuzer „Ruhr-Stahl“, „Eiswette“, „Vormann Leiss“ mit deren Tochterbooten „Mellum“ und „Japsand“, in Erinnerung. Seit 2015 hat die „Ernst-Meier-Hedde“ mit dem Tochterboot „Lotte“, ein mit neuesten technischen, nautischen und auch medizinischen Errungenschaften ausgestatteter Kreuzer der 28-Meter-Klasse, im Seezeichenhafen ihren angestammten Liegeplatz.
„Rausfahren, wenn andere reinkommen“, so lautet der Slogan der DGzRS, die sich nach wie vor als Verein, der sich ausschließlich durch Spenden und ohne jegliche staatliche – öffentliche Mittel finanziert. Wer die Arbeit der DGzRS unterstützen will, kann dies jederzeit tun, z. B. über die Homepage „seenotretter.de“ eine Spende geben, oder auch nur einen kleinen Betrag in eines der an vielen Stellen aufgestellten Spendenschiffchen stecken.
Anm.: Das Buch „SOS – Das Seenotrettungswesen der Insel Amrum“ von Georg Quedens, erschienen im Verlag Jens Quedens, ISBN 978-3-943307-19-1, bietet dem an der Seenotrettung interessierten Leser einen auch mit Berichten zu Schiffsunfällen und deren Rettungsaktionen versehenen detaillierte historische Darstellung zur Geschichte der DGzRS auf Amrum. Aus diesem Buch stammt auch die Grafik zu den verschiedenen Seenotretterstationen auf Amrum.
Moin, wie kann das Watt so schnell von Ost nach West wandern? Siehe das erst sch/w Bild gegen das zweite Bild in Farbe.
Schönen Tag noch, Udo Frohme
Hallo Herr Totzauer,
Danke für diesen Artikel. Endlich ist mir klar, was das für Ruinen sind. Ich hatte immer vermutet, dass es sich um Reste irgendeines Militärbaus aus dem Zweiten Weltkrieg handelt.
Viele Grüße aus dem Ihnen ja auch bekannten Düsseldorf,
Daniel H. Friese
Hallo Herr Frohme, ziemlich einfache Erklärung… Bei der Schwarzweißaufnahme hat Herr Totzauer von Norden aus fotografiert, bei der nächsten Aufnahme in Farbe hat er von Süden aus fotografiert.
Viele Grüße von der Insel, Peter Lückel