Pimientos de Padron | Mais | Annattosamen. Kurz und knapp. So steht der erste Gang des diesjährigen 38. Gourmetfestivals im Hotel Seeblick in der Menükarte beschrieben. Während Mais jedem Gast bekannt ist, müssen über die Pimientos schon einige nachdenken und bei Annattosamen zückt wohl jeder das Handy und googelt. Zur Aufklärung: Die Pimientos sind kleine grüne Paprika aus Spanien, die meist mit Meersalz gebraten als Tapas serviert werden. Die Annattosamen stammen von den Früchten des Annattostrauchs, eines vor allem in Südamerika heimischen Gewächses. Sie werden als Gewürz oder Lebensmittelfarbe verwendet und haben einen erdig-bitteren Geschmack. So weit, so weitergebildet. Wie genau diese drei Komponenten nun zusammengefügt werden, bleibt trotzdem noch ein Champagner und etwas Fingerfood lang ein Rätsel.
Verantwortlich für das Menü an diesem Abend ist der Sternekoch Nicholas Hahn, der seit August 2023 Chefkoch im Berliner Fine-Dining-Restaurant Cookies Cream ist (Amrum News interviewte den Koch vorab). 2007 als rein vegetarisches Restaurant gegründet, erhielt es 2018 schließlich den ersten Michelin-Stern und die Auszeichnung als bestes vegetarisches Restaurant Berlins. Den beliebten Stern hat das Lokal seitdem jedes Jahr verteidigen können.
Für Nicholas Hahn ist es die erste Teilnahme am Gourmetfestival und das erste Mal auf Amrum. Neue Umgebung, neue Küche, ein komplett neues und unbekanntes Team. Mitgebracht hat er nur seinen Sous Chef Huy Long Nguyen und einige Zutaten. Vor Beginn des Abends schwärmt Hahn: “Die Küche ist klasse! Viel moderner als in Berlin! Und bisher lief alles reibungslos, die Atmosphäre im Team ist super.”
Insgesamt 61 Gäste haben sich an diesem ersten Abend zum Gourmetfestival angemeldet. Am Samstag werden es nochmal gut zehn Personen mehr sein. “Die Anmeldungen liefen etwas schleppender als sonst,” sagt Nicole Hesse, Chefin im Hotel Seeblick. Sonderlich überrascht war sie davon aber nicht, denn: “Das ist das erste vegetarische Menü in 38 Jahren Gourmetfestival überhaupt! Zu gut 90% ist es sogar vegan. Und dann auch noch auf Amrum. Manche Gäste haben sich dementsprechend bewusst dagegen entschieden. Aber wir wollten experimentieren, einfach mal mutig sein.” Während andere teilnehmende Restaurants immer wieder dieselben Spitzenköche einladen oder sich organisatorische Unterstützung beim Veranstaltungskomitee holen, suchen die Hesses ganz bewusst nach Köchen und Köchinnen und stellen selbst den Kontakt her. “Wir wollten in diesem Jahr explizit ein vegetarisches Menü. Daraufhin hat Gunnar Kontakt zu Nicholas aufgenommen und ist vorbeigefahren, um sich einen Eindruck von der Küche zu machen.”
Nachdem eine Rote-Bete-Variation von Gunnar Hesse selbst und kleine Sauerteigbrote der Bäckerei Claussen mit aufgeschlagener Nussbutter die erste Grundlage für Wein und Vegetarisches schufen, folgt gegen halb acht die Auflösung des Drei-Komponenten-Gangs.
Die zwei kleinen Paprika sind mit einer Creme von gebratenem Mais, Schalotten und Oregano gefüllt und mit Chilisauce und Räuchermayonnaise garniert. Anbei wird ein kleines Förmchen aus Noriblatt serviert, das mit frittiertem Mais befüllt ist. Eine Spinatcreme mit Limette ist auch noch Teil des Ganzen.
Dieses Schema durchzieht den ganzen Abend: Was simpel klingt, entpuppt sich als umfangreiche Kombination vieler raffinierter Details, die ein bislang unbekanntes Geschmackserlebnis erzeugen.
Ein Beispiel noch: Die Menükarte kündigt an: Sellerie | Macadamia | Yuzu.
Das Ergebnis ist Nicholas Hahns sogenanntes Signature Dish. Der Sellerie ist im Ganzen gegart, auf Salz, mit Miso mariniert und mit einer Macadamiaglasur und schwarzem Sesam überzogen. Dazu kommt ein Chutney von vakuumkandierter Blutorange und Yuzuschale. Außerdem dabei eine geräucherte Selleriecreme, Zitronencreme und eine Sauce mit Macadamia und Kokosnusswasser. Ein Hauch Kaffeeöl, das mit Chili infusioniert ist, bringt eine weitere Nuance ein. Dekoriert ist das Ganze noch mit einem Selleriechip. Fertig.
Nicholas Hahn kombiniert in seinen Gerichten nicht nur diverse Geschmackskomponenten miteinander – süß, sauer, salzig, umami – er spielt auch mit unterschiedlichen Konsistenzen und Temperaturen. Die eine Komponente auf dem Teller ist heiß, die nächste lauwarm und die dritte beinahe gefroren. Jeder Gang ist ein Erlebnis, das völlig unbekannte Geschmacksrichtungen und -kombinationen hervorruft. So empfinden wir von der Redaktion das zumindest. Doch was sagen andere Gäste?
Kalle Wruck vom Strandcafé Knülle ist zum dritten Mal beim Gourmetfestival dabei – und ebenso begeistert: “Ganz toll! Ich bin ja ohnehin seit vielen Jahren Vegetarier.” Für Männer gebe es seiner Meinung nach ja auch gute Gründe vegetarisch zu leben, scherzt er augenzwinkernd. Auch für Campingplatzbetreiber Kristian Bozic, der noch nie in seinem Leben Fleisch gegessen hat, hält der Abend noch komplett neue Geschmacksnuancen bereit. Sein Kollege und Freund Dominic Cloudt, ein bekennender Fleischliebhaber, schließt sich dem Lob an: “Da war alles an Aromen dabei – das war süß, salzig, sauer, warm, kalt. So vielfältig! Und ich habe wirklich kein einziges Mal das Fleisch vermisst.”
Kurz nach 23 Uhr, sieben Gänge von Nicholas Hahn, zwei von Gunnar Hesse, vier Weinen, einem Champagner, einem Verdauungsschnaps, Kaffee und einigen Sauerteigbroten später, endet der erste Abend des diesjährigen Gourmetfestivals im Seeblick. Bei ausgelassener Stimmung und unter viel Applaus zeigt sich das gesamte Team des Abend noch einmal seinen Gästen. Rund 20 Leute waren am Gelingen dieses Auftaktabends beteiligt. Gunnar Hesse ist überaus zufrieden und zieht einen Vergleich zum Fußball: “Während wir sonst eher Regionalliga spielen, war das heute Championsleague. Natürlich herrscht angespannte Konzentration in der Küche, aber die Gäste wollen ja auch etwas geboten bekommen. Da braucht es Disziplin. Trotzdem geht es immer freundlich bei uns zu.” Das spiegelt auch die zunehmende Zahl ehemaliger “Seeblicker” wider, die jedes Jahr extra für das Gourmetfestival an ihren früheren Arbeitsplatz zurückkehren. “Das ist immer auch für uns wie ein kleines Fest”, freut sich Hesse, “auch deshalb wollen wir jedes Jahr einen anderen Fokus des Menüs und neue Köche und Köchinnen. Wir machen das auch für uns, damit wir uns nicht langweilen.” Und gelangweilt haben sich an diesem Abend weder Team noch Gäste. So ausgelassen gelacht, geschnackt und gefeiert wird bei einem noblen Sternemenü dieser Klasse wohl selten…
Amrum News bedankt sich ganz besonders für die herzliche und großzügige Einladung. Ein großes Lob auch an das gesamte Team, das überaus aufmerksam, zuvorkommend und geduldig durch den Abend geleitet hat.
Fotos: Astrid Thomas-Niemann