
Bis auf den letzten Platz besetzt war das Norddorfer Gemeindehaus, etwa 250 – 300 Amrumer waren der Einladung des Amtes Föhr Amrum gefolgt, um sich über den Stand der Planungen für ein kommunales Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) auf Amrum zu informieren.
Seit 2021 hat Frau Dr. Claudia Derichs von der Praxis an der Mühle erfolglos versucht, einen Nachfolger für Ihre Hausarztpraxis zu finden. Trotz intensiver Bemühungen ist dieses nicht gelungen. Genau wie auf dem Festland wird es zunehmend schwieriger, freiwerdende Hausarztstellen neu zu besetzten. Allein im Bereich Schleswig-Holstein gibt es zurzeit 68 unbesetzte Hausarztstellen. Viele junge Ärzte scheuen den Weg in die Selbständigkeit und bevorzugen eine Tätigkeit im Angestellten-Verhältnis, oft auch aus Work-Life-Balance gründen in Teilzeit. Vor zwei Jahren hat Frau Dr. Derichs angekündigt, im Jahre 2025 ihre Tätigkeit als selbständige Hausärztin zu beenden, aber in Aussicht gestellt, ihre ärztliche Tätigkeit noch einige Jahre im Angestelltenverhältnis fortzuführen.

Unter der Leitung des Projektkoordinators Harald Stender erarbeitete eine Arbeitsgruppe bestehend aus Mitgliedern der drei Amrumer Gemeindevertretern, dem Amt Föhr- Amrum, der Ärztegenossenschaft Nord, einem Rechtsanwalt und einem Architekturbüro wie eine zukünftige hausärztliche medizinische Versorgung auf Amrum gewährleistet werden könnte. Kommunalberater Harald Stender verfügt über viel Erfahrung auf diesem Sektor und hat schon zahlreiche MVZ auf den Weg zur Gründung begleitet. Letztendlich kam man zu dem Ergebnis, dass ein kommunales Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) die einzige erfolgsversprechende Alternative ist.

Für ein kommunales MVZ wird eine gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung (gGmbH) gegründet. Die Kassenärztliche Vereinigung hat in diesem Fall erstmals genehmigt, dass mehr als nur eine Kommune Gesellschafter sein kann. Alle drei Amrumer Gemeinden werden Gesellschafter. Das Stammkapital wird insgesamt 1.000.000 € betragen (alle drei Gemeinden haben ihren Anteil bereits im Haushalt 2025 eingeplant). Es gibt einen Geschäftsführer für den kaufmännischen Teil und einer der angestellten Ärzte hat die medizinische Leitung. In den Aufgabenbereich des kaufmännischen Bereiches fallen die Abrechnung der Medizinischen Leistungen mit den Krankenkassen, Personalangelegenheiten sowie die wirtschaftliche Verantwortung. Die medizinische Verantwortung unterliegt ausschließlich der medizinischen Leitung.

Neben dem MVZ gilt es auch ein neues Gebäude für die Praxisräume zu finden. Die derzeitigen Behandlungsräume der Praxis an der Mühle stehen nur noch bis Ende 2026 zur Verfügung. Es wurden verschiedene vorhandene Gebäude hinsichtlich der Unterbringung eines neuen „Ärztehauses“ untersucht, keines konnte jedoch die Anforderungen an eine moderne, neue Praxis erfüllen und es bleibt nur die Lösung eines Neubaus. Da bis Ende 2026 eine Lösung gefunden werden muss, bietet sich nur eine Neubaumöglichkeit nördlich des Wittdüner Badelandes an, nur hier lassen die baurechtlichen Randbedingungen einen schnellen Baubeginn zu. Die Architekten der Firma Planungsring Mumm und Partner, die sowohl auf Amrum als auch auf Föhr schon einige Bauten betreut haben, erstellten einen Entwurf, der im Erdgeschoß auf einer Grundfläche von 335 qm Praxisräumlichkeiten für 3 Behandlungsräume und entsprechender Infrastruktur bereitstellt. Im Obergeschoß sind 4 – 6 Wohnungen unterschiedlicher Größe mit einer Grundfläche von insgesamt 345 qm vorgesehen. Die derzeitige Kostenrechnung sieht Gesamtkosten von etwa 4,3 Mio. € vor. Finanziert werden soll das Gebäude durch die Vermietung des Untergeschosses mit den Praxisräumen an das MVZ und der Wohnungen im Obergeschoß an Mitarbeiter.
Der von Imke Kraatz von der Ärztegemeinschaft Nord vorgestellte Businessplan machte deutlich, dass mit einem zukünftigen kommunalen Medizinischen Versorgungszentrum erhebliche finanzielle Belastungen auf die Amrumer Bürger zukommen. Da der endgültige Umzug in das neue Gebäude erst Ende 2026 geplant ist, zeigt der Businessplan in den Übergangsjahren 2025 – 2027 unterschiedlich hohe Einnahmen, Ausgaben und Verluste, die sich dann 2028 stabilisieren.
Ab 2028 wird dann ein voraussichtlicher jährlicher Verlust von etwa 500.000 € von den drei Gemeinden getragen werden müssen. Dieser Kalkulation liegen jährliche Einnahmen in einer Höhe von etwa 450.000 € und Ausgaben von etwa 950.000 € zugrunde. Bei den Ausgaben dominieren mit über 60% die Personalkosten für die zurzeit geplanten 2 Arztstellen und 5 Medizinischen Fachangestellten (MFA). Für die jährlichen Managementkosten sind 129.000 € – 180.000 € eingeplant, für die Miete der Räumlichkeiten etwa 100.000 €. Ob und inwieweit sich diese Kosten und Einnahmen noch optimieren lassen, soll bis zur endgültigen Entscheidung am 28. Januar weiter untersucht werden.
Begleitet werden die Planungen auch von der Kommunalaufsicht, die letztendlich auch entscheiden wird, ob diese sehr hohen zusätzlichen finanziellen Belastungen realistisch sind und überhaupt von den Gemeinden getragen werden können. Henning Christiansen von der Kommunalaufsicht Nordfriesland erklärte, dass der jährliche Haushalt der Gemeinden ausgeglichen sein muss. Norddorfs Bürgermeister Decker machte deutlich, dass sich alle darüber im Klaren sein müssen, dass dieses nur mit Einsparungen in anderen Bereichen möglich sein wird. Es gibt für eine ausreichende Medizinische Versorgung so gut wie keine Fördermöglichkeiten. Die Kassenärztliche Vereinigung, die eigentlich für eine ausreichende medizinische Hausarztversorgung verantwortlich ist, lässt die Gemeinden hier leider allein.
Es wurden viele detaillierte Fragen gestellt und alle Anwesenden sind sich der Schwere der anstehenden Entscheidung bewusst. Es wurde aber auch deutlich, dass es keine Alternative gibt. Amtsdirektor Christian Stemmer fragte an Ende der Veranstaltung die anwesenden Bürger nach einem Stimmungsbild. Eine große Mehrheit unterstützt die Pläne zu einem MVZ.
Es gab auch einige Vorschläge, wie man die finanziellen Herausforderungen abmildern könnte. Ein Unterstützungsverein könnte sich beispielsweise an den Kosten des neuen MVZ beteiligen. Dieses gäbe auch den Amrumer Gästen die Möglichkeit, mit einer Spende an der Finanzierung der medizinischen Versorgung während ihres Urlaubs auf Amrum beizutragen.
Am 28. Januar werden alle drei Amrumer Gemeindevertretungen in einer gemeinsamen Sitzung über die Zukunft der medizinischen Versorgung auf Amrum entscheiden. Eine schwere Entscheidung mit weitreichenden Folgen.
Leider konnte ich nicht teilnehmen. Ich frage mich also immer noch was genau denn…
> Da bis Ende 2026 eine Lösung gefunden werden muss, bietet sich nur eine Neubaumöglichkeit nördlich des Wittdüner Badelandes an, nur hier lassen die baurechtlichen Randbedingungen einen schnellen Baubeginn zu.
… diese Baurechtlichen Bedingungen sind, und ob eine Neubau Fertigstellung bis Ende 2026 in Wittdün wirklich alternativlos wäre?
Es ist ja nicht so als ob irgend eine Praxis auf Amrum Radiologie betriebe und für Röntgen, CT, MRT o.a. spezielle Räume oder Anschlüsse bräuchte die die Gebäudeauswahl einschränken könnten. Behandlungsräume sind nach meinem Verständnis grundlegend auch einfach “nur Räume”, ebenso wie Wartezimmer, Büros, Lager oder Aktenablage.
Wäre es nicht ebenso möglich; und evtl. nicht teurer; erst ein mal eine Temporäre Lösung zu finden bis ein Neubau dann fertig wäre. Den ich schon aus Praktischen Gründen eher in der Inselmitte sehen würde. Darum sind ja wohl auch die Rettungswagen und der Hubschrauber-Landeplatz in Nebel. Da sollte doch die gleiche Priorität auch auf einer dann wahrscheinlich einzigen Verbleibenden Arztpraxis auf der Insel liegen. Wie viel Unterschied (Leben) mögen 4-5 Minuten Zusätzliche Fahrtzeit zum Arzt ausmachen?
Ich könnte mir nur denken das die aktuellen Bebauungsplan-Querelen hier ein Faktor sind. Gibt es für so ein Projekt wirklich keine Ausnahmen oder Ausnahme-Genehmigungen? Wenn das neue MVZ erst mal angefangen oder gebaut ist wird es zu spät sein,
Hier fände ich es gut wenn Amrum-News noch Details recherchieren und Berichten könnte. K.M.
Die Sicherstellung der medizinischen Grundversorgung obliegt der Gemeinde, sofern diese nicht durch privatwirtschaftliche Anbieter gewährleistet werden kann. Das Medizinische Versorgungszentrum (MVZ) wird hierbei als mögliche Alternative betrachtet. Laut der vorgestellten, stabilisierten Wirtschaftsplanung ist jedoch ein jährliches Defizit von etwa 500.000 Euro zu erwarten. Darüber hinaus sind zusätzliche, derzeit noch nicht quantifizierbare Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Betrieb des MVZ zu berücksichtigen.
Henning Christiansen von der Kommunalaufsicht Nordfriesland weist darauf hin, dass die jährlichen Haushalte der Gemeinden zwingend ausgeglichen sein müssen. Die zentrale Herausforderung liegt daher in der langfristigen und nachhaltigen Finanzierung solcher Verluste. Auf die Bürger umgerechnet, würde dies eine Belastung von über 200 Euro pro Kopf jährlich bedeuten. Für die Gemeinde Nebel ergibt sich dabei ein anteiliger Betrag von rund 208.000 Euro. Gemäß dem Finanzplan der Gemeinde für 2025 ist diese Summe mit den bestehenden Einnahme- und Ausgabenstrukturen nicht zu decken.
Zusätzlich sieht sich die Gemeinde Nebel in den kommenden Jahren mit erheblichen Mehrkosten durch geplante Projekte konfrontiert. Die kumulierten Ausgabensteigerungen könnten, wie in vielen anderen Gemeinden, eine deutliche Erhöhung der Hebesätze für Grundabgaben erforderlich machen – unter Umständen auf das Zwei- bis Dreifache bei gleichbleibender Ausgabenplanung.
Die Investitionen in die Gründung und den Betrieb des MVZ werden grundsätzlich durch die Notwendigkeit einer gesicherten medizinischen Grundversorgung gerechtfertigt. Allerdings bleibt offen, ob die geplante Größe und Ausstattung des MVZ in diesem Umfang notwendig ist. Dieser Punkt könnte diskutiert werden, ist jedoch nicht ausschlaggebend für die grundsätzliche Umsetzung des Projekts.
Die Gemeinden waren sich des möglichen Defizits bereits im vergangenen Jahr bewusst. Bürgermeister Decker hat die Dringlichkeit erkannt und angekündigt, Einsparpotenziale prüfen zu wollen. Für die Gemeinde Nebel steht diese Prüfung offenbar noch aus. Es bleibt jedoch kritisch zu hinterfragen, warum bereits bei der Verabschiedung der Haushalte im Vorjahr keine entsprechenden Maßnahmen zur Risikominderung eingeleitet wurden.
Carl Lorenzen, Nebel