
Viele sagten: „Das geht nicht!“ Dann kam eine, die das nicht wusste und hat es einfach getan. Diese eine ist Elin Lorenzen, Kölner Spross einer alten Amrumer Familie.
Vor anderthalb Jahren fasste sie den Entschluss, den Schülern und Schülerinnen ihrer Deutschklasse am Mana-College in der Nähe von Neuseelands Hauptstadt Wellington Amrum und Europa zu zeigen. Amrum News berichtete im letzten Jahr über den Anfang dieses ganz besonderen Projekts. Viele Amrumer reagierten damals und wir konnten Elin schon schnell mitteilen: Alle Schüler, Schülerinnen und Lehrkräfte können in Amrumer Gastfamilien untergebracht werden. Wir, das sind Ute Feddersen-Hansen und Anna Grütte, zwei Amrumer Englisch-Lehrerinnen, die sich dafür engagierten, Elin in ihrem Projekt von Amrumseite aus zu unterstützen. In den Wintermonaten tüftelten wir ein abwechslungsreiches Programm für den fünftägigen Aufenthalt auf der Insel aus. Unterstützt haben uns dabei Peter Totzauer und Elins Bruder Matti Lorenzen.
Am Mittwoch Nachmittag war es dann soweit: Fünfzehn Gastfamilien und Elins eigene Familie standen am Anleger, um einundzwanzig Jugendliche und ihre Lehrkräfte zu begrüßen. Drei Flaggen hatten sowohl die „Kiwis“ als auch Amrumer dabei: die neuseeländische, die friesische und die Maori-Flagge. Letztere sollte jede Unternehmung der nächsten Tage begleiten. Eine Symbol dafür, dass die Gruppe vom Mana-College tief verwurzelt in der Maori-Kultur ist und deren Werte die Reise und auch das Miteinander auf der Insel prägte.
Die erste Kostprobe erhielten die Gastgeber direkt am Anleger: Der Lehrer Hohepa packte seine Gitarre aus, schnell formierten sich die Schüler und es ertönte eine gesungene und getanzte Danksagung an die Elemente und an Mana, die spirituelle Essenz aller Wesen. Auf Tereo, der Sprache der Maoris. Hieß es zu Anfang der Planung oft: Die Neuseeländer oder die Kiwis kommen, setzte sich bald der Maori-Name Aotearoa durch: Das Land der langen weißen Wolke. Und so begrüßten wir die Bewohner vom Land der langen weißen Wolke auf der Insel des langen weißen Strandes.
Dieser erste Abend gehörte den Gastfamilien. Die Schüler hatten Zeit, sich einzurichten, wurden auf einen Spaziergang durch die Dünen, zum Strand oder einfach auf die Gassi-Runde ihrer Gastfamilien mitgenommen. Lehrer und Eltern in der Ferne erhielten Posts von leckerem Essen, lachenden Gesichtern, gemütlichen Zimmern und Inselaussichten. Die Botschaft: gut angekommen! Früh ging in den Familien das Licht aus, die Anreise aus Kopenhagen – dem ersten Stop in Europa – war schon vor Tagesanbruch gestartet und der Jetlag war noch nicht ganz überwunden.
In den nächsten Tagen jagte ein Highlight das nächste. Unsere Planung von Zeiten, Orten, Veranstaltungen und Begegnungen war letztendlich nur das Gerüst, das oft von der Dynamik des Augenblicks oder dem Wetter eingeholt wurde.
Hier ein paar der vielen außerordentlichen Momente, die sich tief und nachhaltig in die Herzen von Gastgebern und Gästen einprägte:
Am Donnerstag früh erwartete die Schülerschaft der Öömrang Skuul ihre Altersgenossen vom anderen Ende der Welt. Der Vormittag an der Schule verging im Flug. Viele Amrumer Schülerinnen und Schüler gerieten in den Bann der kraftvollen Haka-Performance, das einige als Auftakt von Rugby-Spielen kannten. Danach drehten sich die Rollen um: Die neuseeländischen Jugendlichen reihten sich in das Publikum in der Amrumer Turnhalle ein und gemeinsam wohnten alle der Schul-Theatervorstellung bei. Erste Kontakte wurden geknüpft und spontan ein gemeinsames Basketballtraining für den Abend organisiert. Ganz klar: Sport und Musik verbinden.
Nachmittags erkundeten unsere Gäste den Amrumer Kniep und lernten in der Backstube von Henning Claußen, wie Teig gerührt, geknetet und geformt wird. Und natürlich wurde der fertige Hefezopf auch probiert und für sehr lecker befunden. „Dankeschön!“ riefen sie dem Bäcker zu.
Am Freitag ging es an den Norddorfer Strand. Im Naturzentrum hielt Karen Heidemann einen Vortrag über den Wal und seine Bedeutung für den Klimaschutz.
Nach einem Strandspaziergang stand für die Jugendlichen eine letzte Probe für ihren großen Auftritt an. Sie waren als extra Gruppe für den Heimatabend im Norddorfer Gemeindehaus „gebucht“ und wollten den Holzboden mal so richtig zum Beben bringen.
Zwischen Probe und Aufführung reichte die Zeit gerade mal zum Umziehen und für eine Crêpe in der Einkaufsstraße.
Das Gemeindehaus war bis auf den letzten Platz belegt und einige der Gasteltern wurden leider wieder nach Hause geschickt.
Zur Überraschung aller erschien Elin in der Friesentracht ihrer Großmutter, Marga Lorenzen und gab so dem festlich-traditionellen Rahmen noch eine besondere Note.
Vier Gruppen, vier Sprachen, vier Begrüßungen, zwei Minderheiten. Peter Totzauer (Shantychor) begrüßte auf Deutsch, Ute Feddersen-Hansen (Trachtengruppe) auf Englisch, Bandix Tadsen (Blaskapelle) auf Friesisch und Hohepa auf Maori. Als die Schülerinnen und Schüler aus Aotearoa als vorletzte Gruppe loslegten, bebte der Boden tatsächlich. Haka-Tänze und Lieder wechselten sich ab. Dankbarkeit, Willkommensgruß und Ehrung – diese Werte vermittelt der Haka im 21. Jahrhundert, wobei die einstige Bedeutung von Stärke, Kraft und kriegerischem Impact durchaus noch spürbar waren. Das Publikum war begeistert und bestimmt gingen einige Haka-Aufnahmen in den Social Media viral.
Am sonnenwarmen Samstag begleiteten wir die Gruppe auf die Eilun, zum Leuchtturm, durch die Dünen – bei Sonnenschein und abends sogar bei Vollmond. Bandix Tadsen fuhr zu den Seehundsbänken, zeigte auf einen Schweinswal, der ganz selbstverständlich auftauchte. Dark Blome erklärte Sternenbilder und den Winkel zur Milchstraße auf der nördlichen und der südlichen Halbkugel und ließ bei klassischer Musik das gechillte Gefühl aufkommen, das zu einem perfektem Amrumer Abend in den Dünen gehört.
Am Sonntag Nachmittag bewirtete Familie Lorenzen in ihrem Friesenhaus mit typisch norddeutscher Kaffeetafel – Friesenwaffeln, Nussbrot, Apfelkuchen, Käsekuchen und noch viel mehr wurden im Nu von den Jugendlichen verputzt. Nach einem Abstecher zur Kirche und den historischen Grabsteinen fanden sich dann Gäste und Gastgeber bei der Natourdüne in Wittdün ein. Nach einer Runde Boßeln stürmten alle das Bunte Büffet.
„Lasst erst die Amrumer unser Kiwi-Essen probieren!“, rief Elin in die Gruppe. In den Küchen der Gastfamilien war vorher Einiges auf die Beine gestellt worden, um authentische Rezepte nachzumachen. Besonders gut kamen Blades Fried Bread und Dallas’ und Navajos Otai-Drink an.
In seiner Dankesrede erklärte uns der Schulleiter vom Mana-College, Jeff Chapman, den Begriff „Manaaki Tanga“, der in diesen Tagen öfter gefallen war. Es ist der Inbegriff des maorischen Wertesystems, dem sich im Grunde alle Neuseeländer verschrieben haben: Gastfreundschaft, Respekt, ehrliches Kümmern um Besucher und das Streben, Gäste zum Teil der eigenen Gemeinschaft zu machen. Alle Amrumer und Amrumerinnen, die auch nur im Entferntesten mit diesem Austausch zu tun hatten, haben spontan und von Herzen das Manaaki Tanga gelebt. Hier ein paar Beispiele: Die Gastronomen, die unkompliziert auf die Wünsche einer so großen Gruppe eingingen. Die Verantwortlichen der verschiedenen Angebote, die die einzelnen Programmpunkte so flexibel (wenn überhaupt) abgerechnet haben, dass die Reisekasse für die kommenden Stationen noch gut gefüllt bleibt. Die Fahrradverleihe, die Helme und Räder zur Verfügung gestellt haben. Die großzügigen Spenden auf Flohmärkten und Veranstaltungen im letzten Jahr und nicht zuletzt auf dem Heimatabend am Freitag (gut über € 1.000). Ganz besonders dankten Jeff und seine Schülerschar den Gasteltern für ihr Engagement, ihre Herzlichkeit, das Essen, ein warmes Bett und das Gefühl, willkommen zu sein.

Als wir am Montag früh die Gruppe am Anleger verabschiedeten, war klar: Wo sich maorisches Manaaki Tanga und friesisches Rüm hart begegnen, entsteht eine besondere Freundschaft. Fa’afetai lava. Danke, dass ihr da wart!
Anna Grütte für Amrum-News