Wahlkampfveranstaltung der Grünen auf Amrum – Robert Habeck im exklusiven Gespräch mit AmrumNews


Nun ist der Bundestagswahlkampf auch auf Amrum angelangt. Nachdem sich in den letzten Wochen die Schlagzeilen zur Bundestagswahl im September 2021 in den Nachrichten überschlagen haben, hat Robert Habeck am Dienstag, den 13.07.2021 auf seiner Küstentour auch Amrum einen Besuch abgestattet.  Der Ortsverband Föhr-Amrum organisierte die erste größere Wahlkampfveranstaltung auf Amrum überhaupt, die von vielen interessierten Insulaner*innen und Tourist*innen besucht wurde, im Anschluss konnte AmrumNews noch ein exklusives Gespräch mit dem Bundesparteivorsitzenden der Grünen führen.

Kerstin Mock-Hofeditz eröffnete die Veranstaltung

Bevor Robert Habeck das Mikrofon übergeben wurde, sprach zunächst die Husumerin Kerstin Mock-Hofeditz, die im September für Nordfriesland in den Bundestag einziehen möchte. Die Biologin steht auf dem Listenplatz sieben und hat damit durchaus Chancen ab Herbst politisch in Berlin aktiv zu werden. Ihre Kernthemen beschäftigen sich insbesondere mit dem für Nordfriesland so wichtigem Tourismus, erneuerbaren Energien, der Gesundheitswirtschaft sowie der Klimakrise und dem Artensterben. Insbesondere die Auswirkungen des größten Artensterbens seit den Dinosauriern könne man auch bereits in Nordfriesland erkennen. Mock-Hofeditz möchte sich unter anderem für vernünftige Meeresschutzgebiete einsetzen, auch, um den in der Nordsee heimischen Schweinswal zu retten, der durch Überfischung und Unterwasserlärm vom Aussterben bedroht ist.

An seine Vorrednerin anknüpfend ist für Robert Habeck das Meer und der Schutz der Meere ein wichtiges und auf Amrum natürlich besonders relevantes Thema.

Zunächst wünscht sich Habeck von den Besucher*innen der Veranstaltung Dinge politisch zu hinterfragen und zu analysieren was unsere heutige Zeit ausmacht. Er hofft, dass sie sich als mündige Bürger*innen Gedanken zu den wichtigen Fragen unserer Gesellschaft machen.

Dramatische Konsequenzen der Klimakrise …

Robert Habeck fängt seine Ausführungen zum Thema Klimaschutz mit einem für ihn besonders schockierendem Naturmoment an. Er erzählt von den insgesamt 29 Pottwalen, die 2016 an der europäischen Nordseeküste gestrandet sind, 13 davon in Deutschland. Habeck beschreibt, wie es dazu kommen konnte und erklärt, dass die Veränderung der Meeresökonomie, den Strömungen und des Klimas dafür verantwortlich sind (das Skelett eines dieser 2016 gestrandeten Wale befindet sich übrigens im Naturschutzzentrum in Norddorf und kann dort angeschaut werden, AmrumNews berichtete).

Dieses Ereignis verdeutlicht, wie dramatisch die Konsequenzen der Klimakrise sind und, dass wir diese bereits jetzt auch bei uns an der Nordsee erkennen können.

Meere sind die größten Freiräume der Welt …

Der Kern von Habecks Rede befasst sich mit zwei Problemen, die unsere Meere haben. Zunächst ist da das Problem der Erwärmung der Ozeane, bereits jetzt ist die Temperatur um knapp 1°C angestiegen, was dazu führt, dass die Lebensräume von vielen Tieren und Pflanzen zerstört werden. Das zweite Problem, das man als Amrumer*in oder Urlauber*in auch über die letzten Jahre beobachten konnte, ist die Verschmutzung des Meeres durch Plastik und Müll. Lange wurden die Meere als Müllhalden genutzt, hierbei wurden nach den zwei Weltkriegen auch massenhaft Munition in den Meeren entsorgt. Diese führen heute, ca. 75 Jahre später, zu großen Problemen, da Schadstoffe wie Phosphor austreten und an Strände gespült werden.

Klares Statement einer Norddorferin …

Laut Habeck sind die Meere die größten Freiräume der Welt, sie gehören niemandem. Hier liegt auch das Problem. Da sie niemandem gehören, kümmert sich auch niemand, weil alle denken, dass das doch die Anderen machen können. „Damit müssen wir aufhören“, sagt Habeck und fordert ein neues politisches Verständnis, und damit auch Verantwortung für Dinge zu übernehmen, die einem nicht gehören. Politik fängt mit Solidarität an. Als weiteres Problem identifiziert er, dass Probleme nicht angegangen werden, wenn sie zu groß erscheinen, dies führt zu einer Lähmung. Habeck fordert, dass kein Problem so groß werden darf, dass die Gesellschaft dieses nicht angeht. Als Beispiel führt er hier eine Technologie an, die in der Lage ist die zuvor angesprochene Munition zu bergen. Hierbei begegnet man dem nächsten Problem, wer bezahlt eine solche neue und teure Technologie? Bisher müssen solche regionalen Projekte entweder lokal oder international finanziert werden. Habeck möchte die Finanzierung solcher Projekte im Bund anstoßen und auch wenn die Beseitigung dieser Meeresverschmutzung Jahre oder Jahrzehnte dauert, so ist doch der wichtigste Punkt, dass wir endlich anfangen.

Zum Ende seiner Rede spricht Habeck nun von Investitionen und argumentiert, dass bei einer klugen Investition eine Wertschöpfung und neue Impulse, auch in der Wirtschaft, entstehen. Habeck beschreibt, dass die Schulden, die wir aktuell machen nicht nur monetär sind, sondern wir uns auch bei der Umwelt und bei späteren Generationen verschulden, die Frage ist, welche Schulden wiegen schwerer? Die Antwort ist für Habeck klar – die Schulden an der Umwelt und an späteren Generationen, für die wir uns später verantworten werden müssen.

18 Jahre haben wir noch, um die Volkswirtschaft umzubauen, wenn wir das richtig machen, so Habeck, führt das zu neuen Jobs, Wertschöpfung und klimaneutralem Wohlstand.

Abschließend formuliert Habeck die Kernfrage, die wir uns diesen Wahlkampf stellen sollten. Was ist der Wertekomplex auf den wir unsere Wirtschaft aufbauen wollen, was sind die Wertemodelle, nach denen wir leben wollen?

Freiheit ist der Grund, warum Menschen in Nordfriesland leben, Freiheit ist auch der Sinn der Politik. Freiheit bedeutet Bedingungen oder Regeln des eigenen Lebens selbst zu bestimmen und festzulegen. Wir müssen unser Regel-Set ändern und das bedeutet Freiheit.“

Anschließend an Habecks eigene Ausführungen und Visionen gab es noch mehrere Fragen aus dem Publikum, das auch während der Veranstaltung durch Applaus deutlich machte, welche Aussagen Habecks auf besonders große Zustimmung trafen.

Insgesamt war die Veranstaltung sehr gut besucht, auch die Sprecherin der Ortsgruppe Föhr-Amrum Esther Drewsen freute sich über die vielen Besucher*innen und auch über den Zuwachs in der Ortsgruppe, die sich in den letzten 18 Monaten auf 31 Mitglieder*innen fast verdoppelt hat (10 davon auf Amrum).

 

Robert Habeck im Interview mit Amrum-News

Anschließend an die offizielle Veranstaltung in Norddorf gelang es AmrumNews noch ein Interview mit Robert Habeck am Fähranleger in Wittdün zu bekommen, bevor er zur nächsten Wahlkampfveranstaltung auf die Fähre nach Föhr stieg:

Amrum News: Schön, dass Sie den Weg zu uns auf die Insel gefunden haben, es ist ja nicht das erste Mal, dass Sie aus politischen Gründen hier auf Amrum sind, Sie waren ja bereits 2015, damals noch als Umweltminister von Schleswig-Holstein hier, haben Sie denn auf Amrum auch schon mal ohne politische Verpflichtungen Urlaub gemacht?

Robert Habeck: Ja habe ich, ich habe eine Zeit lang in Großenwiehe gelebt und unsere Nachbarin kommt von Amrum, dann sind wir früher ein paar Mal als die Kinder klein waren nach Amrum gefahren, weil sie noch Leute kannte und dann haben wir uns da ein Zimmer genommen. Und ganz früher als ich noch einstellig gezählt habe, war ich mit meinen Eltern hier zum Sommerurlaub.

 

Amrum News: Wie erklären Sie sich, die Ergebnisse der letzten Bundestagswahl hier in Nordfriesland (9,4% Erststimmen und 11% Zweitstimmen) obwohl die Themen, die sie angesprochen haben eigentlich dazu prädestiniert wären Grün zu wählen?

Robert Habeck: Also ich würde sagen 10% vor vier Jahren in Nordfriesland ist erstmal super, da waren wir ja besser als beim Bundesdurchschnitt und Nordfriesland ist ja kein geborenes grünes Terrain. Ein Landstrich mit traditionsbewussten, heimatbewussten, (positiv gemeint) wissensstarken, einige würden sagen dickköpfigen Menschen, ist ja jetzt nicht der Inbegriff für Veränderungspolitik, insofern waren da schon 10%  super und ich glaube, das hat sich nochmal weiterentwickelt, jedenfalls habe ich das Gefühl. Ich meine, ich fühle mich in Nordfriesland sowieso quasi „Zweitzuhause“ und habe auch das Gefühl, dass die Themen und auch die Art, wie darüber diskutiert wird, sich nochmal weiterentwickelt hat, vom Nationalpark bis zur Windkraft, es gibt einfach viele Themen, die die Menschen und das was wir uns politisch vorstellen, vergleichsweise dicht zusammenbringt.

Amrum News: Wie beurteilen Sie die Wahlkampfstrategie der anderen Parteien?

Robert Habeck: Die sehe ich gar nicht. Ich bekomme das nicht so richtig mit, ich sehe natürlich auf der Nachrichtenebene, wenn da was passiert, aber etwas frech formuliert, beide Strategien, von Union und SPD, scheinen zu sein, möglichst nichts zu tun, möglichst nichts zu sagen und das ist ja keine Strategie. Nichtstun ist Hilflosigkeit.

Amrum News: Warum wird nicht mehr Druck aufgebaut endlich die Stromtrassen fertigzustellen und die in Schleswig-Holstein produzierte Windenergie effizient zu nutzen?

Robert Habeck: Das geht doch ganz schön voran. Das ist mein alter Handlungsbereich und klar, die Stromtrassen gehören zur Energiewende dazu, sie sind sozusagen die Adern der Energiewende. Schleswig-Holstein ist im Bundesdurchschnitt fantastisch, wenn wir im Bund überall so weit wären, wie in Schleswig-Holstein, dann hätten wir keine Probleme. Die Mittelachse, also die A7-Achse ist fertig gebaut, wenn ich das richtig sehe und angeschlossen. Die Westküstenleitung, ich war ja gestern in Klixbüll, da wird das Umspannwerk für den letzten, fünften Abschnitt in Dänemark gebaut, das ist in Windeseile errichtet worden. Klar es geht immer noch schneller, aber in diesem Fall nicht wirklich. Wir haben damals die Planungszeit erheblich eingekürzt und überall in Deutschland erzähle ich, wie der Stromtrassenausbau an der Schleswig-Holsteinischen Westküste verhandelt und umgesetzt wurde und alle kommen aus dem Staunen gar nicht raus. Da muss ich mich eher nochmal bedanken bei all denen, die mitgemacht haben. Wie das getragen wurde und gelöst wurde ist beispielgebend für Deutschland.

Amrum News: Warum sollten die Insulaner*innen gerade diese Bundestagswahl die Grünen wählen?

Robert Habeck: Da die Insulaner*innen ja wissen, dass ich bei den Grünen bin, muss ich sie nicht belehren was mein Wahlwunsch wäre. Aber mein Wunsch wäre, dass sie für eine Politik stimmen, die den besonderen Wert der Inseln als Ort in der, aus meiner Sicht, wunderbarsten Naturkulisse die wir in Deutschland haben, respektiert, schützt und weiter ausbaut und dann werden sie schon selber entscheiden was die richtige Wahl ist.

Amrum News: Vielen Dank für Ihre Zeit und eine erfolgreiche Küstentour!

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Über Rieke Lückel

Rieke Lückel wurde 1995 in Wittdün auf Amrum geboren und hat hier ihre Kindheit und Jugend verbracht. Nach dem Abitur in Dänemark verbrachte sie ein Jahr in Neuseeland und arbeitete dort für Amnesty International, um im Anschluss ein Ethnologie und Politikwissenschafts Studium in Hamburg zu beginnen. Durch die langen Semesterferien verbringt Rieke meist den ganzen Sommer auf Amrum, um ihren Bruder bei SUP Amrum in Wittdün zu unterstützen. Bereits 2010 schrieb sie einen Artikel für AmrumNews und nun 10 Jahre und viele Uni-Hausarbeiten später möchte sie sich erneut den journalistischen Herausforderungen stellen.

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