Eine Frühjahrswattwanderung zur Kormoraninsel…


Unser Ziel: 54° 44,7’ Nord 8° 21,4’ Ost – die Kormoraninsel. Sie liegt mitten im Watt, ziemlich genau zwischen Amrum, Sylt und Föhr – ungefähr dreieinhalb Kilometer von jeder der drei Inseln entfernt. Zusammen mit Nationalpark-Watttführer Dark Blome hatte sich unsere kleine Wattwandergruppe auf den Weg gemacht. Etwa drei Stunden würden wir von Norddorf aus brauchen, schätzte Dark, der sich im Watt auskennt wie andere in ihrem Wohnzimmer und ohne den wir uns natürlich nicht ins Watt wagen würden, nicht einmal im Sommer. Wir – das waren zwei Frauen und vier Männer, Amrumer und Urlauber, darunter der freiberufliche Reisejournalist Oliver Abraham, in dessen schönen Artikeln seine große Zuneigung zur rauen Nordsee-Landschaft spürbar ist.

Der Wattführer avisiert die Wanderer bei den Rettungsdiensten

Rechtzeitig hatten wir uns mit Dark vorm Strand-Läufer in Nordorf getroffen und unsere „Winter-Wander-Ausrüstung“ in Empfang genommen: Wathose in der passenden Schuhgröße plus stabiler Transport-Rucksack, denn auf dem Weg galt es bei einstelligen Wassertemperaturen den großen Priel zwischen Amrum und Föhr möglichst bei tiefstem Niedrigwasser zu überqueren. Bei normalem Hochwasser beträgt der Tiefgang in der Fahrrinne dort zwischen 2,20 bis 2,80 Meter, doch bei extremer Ebbe – Dark hat den Termin der Wanderung extra so gelegt – reicht das Wasser nur bis zu den Oberschenkeln.

Die Kormoraninsel liegt etwas nördlich der üblichen Wattwanderroute nach Föhr, und um keinen falschen Seennotrettungsalarm auszulösen, hat uns der Wattführer deshalb sogar bei den Sylter Rettungskräften avisiert. Sicherheitshalber werden als Erkennungszeichen noch zwei neon-gelbe Warnwesten verteilt, von weitem deutlich sichtbar. Man kann ja nie wissen…

Insgesamt erwarten uns 13,5 Kilometer Fußmarsch. In Dünsum auf Föhr wird uns ein Großraumtaxi abholen und zurück zur Fähre nach Amrum bringen. Die Wathosen brauchen wir erst ganz oben an der Odde anzuziehen, bevor wir richtig ins Watt gehen. Man läuft darin zwar ganz passabel, aber ungefähr so tapsig wie in einer Skiausrüstung. Kalt wird einem garantiert nicht, doch die Kopfbedeckung ist wichtig!

Fragen über Fragen mitten im Watt

Die sechs Kilometer bis zur Odde vergehen wie im Flug, denn Dark, der seit 19 Jahren Gruppen durch’s Watt führt, legt hier und da immer mal wieder einen kurzen Zwischenstopp ein, um uns die Landschaften des Nationalparks näher zu bringen. Er erzählt von der Entstehung der nordfriesischen Inseln und des Wattenmeeres, von ökologischen Zusammenhängen, Tieren und Pflanzen, hat launige Anekdoten auf Lager und beantwortet Unmengen an Fragen. Als anerkannter Nationalpark-Wattführer bildet er sich regelmäßig fort und nimmt selbst in der Hochsaison nie mehr als 30 Personen mit ins Watt um Zeit für jeden Einzelnen zu haben.

Haben sie schon mal von der Strandwegerich-Gallrüsselkäfer-Schlupfwespe oder von der Strandflieder-Spitzmaus-Rüsselkäfer-Larve gehört? Alles Salzwiesen-Spezialisten – sowohl die Pflanzen als auch die Käfer und ihre jeweiligen Wespenfeinde. Stehen mancherorts auf der Roten Liste und halten sich gegenseitig in Schach: Die Käfer legen ihre Eier als Schutz vor Überschwemmungen in den Stängeln der jeweiligen Wirtspflanzen ab, aus denen die Larven sich dann peu à peu herausfressen und zu neuen Käfern werden, es sei denn eine Schlupfwespe hat vorher ihre Eier in den Larven abgelegt und auf ihre Art erledigt. Wahre Wortungetüme, aber lassen Sie sich diesen Öko-Krimi besser von Dark Blome auf dem Weg zur Odde erklären.

„Diese endlose Weite, einfach unglaublich!“, entfährt es einer Teilnehmerin als wir schon mitten im Wattenmeer stehen und Dark mit seiner Grabegabel einen großen Kreis zieht, um die Entstehung von Ebbe und Flut zu erklären.

Eine karge Landschaft? Mitnichten, doch der Großteil des Lebens spielt sich hier unterirdisch ab – zwischen den Sandkörnern in der „Sandlückenfauna“. Dort leben unendlich viele, mikroskopisch kleine Tiere unter extremen klimatischen Bedingungen. In einer Art Kanalsystem trotzen sie schwankenden Temperaturen, Wasserstand und Salzgehalt: ein bis zwei Millionen Lebewesen pro Quadratmeter Wattboden! Eine faszinierende, „verzwergte“ Tierwelt aus Quallen, Krebsen, Strudelwürmern … Sie wurde erst in den 1930er Jahren das erste Mal umfassend beschrieben und ist bis heute noch nicht voll erforscht.

Inzwischen waren wir über Tausende von kleinen Wattschnecken gelaufen, hatten Hunderte Laichbeeren des gefleckten Blattwurms und die filigranen Röhren von Köcher- und Bäumchenröhrenwurm entdeckt, einen Brotkrumenschwamm gesehen, diverse Schnecken und Muscheln und zwei verschiedene (!) Arten von Wattwürmern kennengelernt, Darks stabilem Vierzack sei Dank.

54° 44,7’ Nord 8° 21,4’ Ost – Die Kormoraninsel

Und dann sahen wir sie endlich, noch ziemlich weit vor uns liegen: die Kormoraninsel. Deutlich zu erkennen an der helleren, gelblichen Farbe des Sandes und schon seit vielen Jahren bei mittlerem Hochwasser nicht mehr überspült. Kegelrobben lagen dort und glitten ins Wasser. Eine einzelne Möwe wartete auf uns.

Seit dem Jahr 2000 ist die Kormoraninsel offiziell in den Seekarten verzeichnet. Der Name war vorher auf Amrum nicht gebräuchlich; hier betrachtete man die Sandbank eher als einen Teil des Liinsandes. Der Name stamme von einer Vermessungsfahrt, vermutet man im zuständigen Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie (BSH) – leider ist die Quelle nicht explizit vermerkt.

Vielleicht wurden bei der Vermessung zufällig einige Kormorane auf der Sandbank gesichtet, die dort gerade ihr Gefieder trockneten. Das lässt sich leider nicht mehr feststellen. Kormorane haben im Unterschied zu anderen Wasservögeln wie Enten oder Gänsen kein Fettgefieder. Da ihnen die Fettdrüse fehlt, müssen sie nach dem Tauchen ihre Federn trocknen. Dann sieht man sie vor Wittdün manchmal mit ausgebreiteten Flügeln auf Dalben oder ungestörten Sandplätzen sitzen, jedoch keinesfalls am Boden brüten.

Als wir schließlich auf der Kormoraninsel ankamen, war die Überraschung groß: Die Winterstürme um die Jahreswende müssen sehr viel Sand abgetragen habe. Dark Blome und Oliver Abraham, die beide letztes Jahr zuletzt hier draußen waren, stellten fest, dass die Insel nur noch halb so groß ist wie im letzten Jahr!

Bei Niedrigstwasser im großen Priel zwischen Amrum und Föhr

Wie gewonnen, so zerronnen? Der starke Sandverlust löst zwar Erstaunen, aber keine Verwunderung aus, denn Erosionen des Wattsockels und ein Sanddrift von West nach Ost sind an vielen Stellen der nordfriesischen Küste zu beobachten. Möglich, dass die Kormoraninsel in den nächsten zehn bis zwölf Jahren wieder abgetragen wird und sich flächenhaft auf dem Liinsand verteilt oder irgendwo neu aufbaut. Es lässt sich nicht genau vorhersagen, wo welcher Sand auftaucht und vielleicht eine neue Sandinsel bildet.

Auch der Amrumer Kniepsand verdriftet durch Seegang und Wind im Bereich der Brandungszone jedes Jahr um mehrere Meter in nord-östliche und süd-östliche Richtung, bildet vom Wind getrieben neue Vordünen und lagert sich zu den Inselspitzen hin ab oder landet über Umwege beispielsweise auch auf der Kormoraninsel. Man könne Sand nicht eindeutig erkennen und seine Herkunft 1:1 zuordnen, sagen die Fachleute, er ist immer eine Mixtur aus verschiedenen Körnern, doch der Sand, der vor Sylt als Küstenschutz aufgespült wird, ist grobkörniger als der Amrumer Kniepsand. Auch er verdriftet nach Süd-Ost und speist zusammen mit dem Jungnamensand, der ebenfalls abnimmt, zu Teilen die Kormoraninsel. Hinzu kommt vermutlich noch Sand aus Erosionen westlich der Kormoraninsel und aus den Aufspülungen vor Uetersum, die von der Strömung des Amrumtiefs abgetragen werden, meinen die Fachleute aus dem Küstenschutz.

Am 12. Mai geht Dark Blome das nächste Mal zur Kormoraninsel, aber schon ab Gründonnerstag wieder durch’s Watt nach Föhr. In der kalten Jahreszeit nimmt Dark nicht mehr als 20 Personen mit. Die Führung kostet 25,- Euro pro Person, einschließlich Wathose (ab Schuhgröße 36). Der Taxitransfer auf Föhr ist im Preis enthalten, aber die Fährfahrkarte nicht. Mehr Information finden Sie hier: www.der-inselläufer.de

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Über Astrid Thomas-Niemann

Astrid Thomas-Niemann ist gelernte Schifffahrtskauffrau sowie studierte Sprach- und Erziehungswissenschaftlerin. Sie hat viele Jahre als Schifffahrtsanalystin gearbeitet und lebt seit 2015 in Wittdün. Als junge Frau kam Astrid 1981 das erste Mal auf die Insel und besuchte auf Zeltplatz II die Niemanns aus Hamburg, die Amrum seit 1962 urlaubsmäßig die Treue halten, inzwischen bereits in der 4. Generation.

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