Vogelzug im Wattenmeer

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Amrum ist die Insel der Vögel. Keine andere Insel an deutschen Küsten kann einen ähnlichen Reichtum, vor allem an See- und Wasservögeln, aufweisen, wobei in der Brutvogelwelt die Möwenarten (die Heringsmöwen allein mit 6000 – 8000 Brutpaaren) dominieren. Aber auch Zugvögel treten im Frühjahr und Herbst in Mengen auf, und hier sind es neben Wildgansarten (Ringel- und Nonnengans) vor allem Limikolen. Limikolen sind Angehörige einer großen Vogelfamilie, zu der Kiebitz, Austernfischer, Brachvögel, Regenpfeifer, Strandläufer, Schnepfen und etliche andere gehören.

In der Zugzeit fallen vor allem die großen Scharen der Knutts und Alpenstrandläufer auf, die sich zu Tausenden im Watt mit den Gezeiten hin- und herbewegen. Bei Ebbe eilen die Vögel weit verstreut nahrungssuchend über das Watt, picken kleine Muscheln und Wattschnecken sowie Schlickkrebse und Würmer aus Sand und Schlick. Aber diese Limikolenarten können nicht oder nur kurze Strecken schwimmen und müssen deshalb vor der auflaufenden Flut aus dem Watt weichen. Die Flut drängt die Vögel immer mehr zusammen, und zunächst bilden sich kleine Scharen, die sich dann mit anderen zusammenschließen und immer größer werden. Schließlich steigen sie auf, durch die Menge bedingt mit weithin “brausendem” Flügelschlag, und streben nun als “Vogelwolke” zu einem Versammlungs- oder Rastplatz am Ufer oder einer flutfreien Sandbank.

Alpenstrandläufer auf dem Deichvorland

Dabei zeigen sie oft eindrucksvolle Flugspiele, erscheinen mit ihren hellen Bäuchen wie eine weiße Wolke, schwenken dann aber sekundenschnell um und ziehen nun als dunkle Wolke über das Watt. Niemand weiß, wie im Sekundenbruchteil das lautlose Kommando des Hin- und Herschwenkens durch die Vogelmassen funktioniert. Und nie oder nur ganz selten stoßen Vögel im Massenschwarm zusammen. Über dem Rastplatz am Ufer über den Salzwiesen “schraubt” sich die Vogelschar oft erst einmal in die Höhe und “regnet” dann herunter.

So geht es mit Ebbe und Flut hin und her, bis die Vögel Anfang Mai, spätestens Mitte des Monats in zielstrebigem Flug zu ihren Brutplätzen auf Island und in der skandinavischen und sibirischen Tundra eilen. Dort brüten sie aber nicht in dichten Scharen zusammen, sondern verlieren sich als Einzelpaare vollständig in der Weite der nordischen Landschaft. Unterwegs zu den Brutplätzen bekommen beide Arten dann auch ihr Brutkleid: Die Alpenstrandläufer ihren schwarzen Bauchfleck und die im Winter grauen Knutts ein rostbraunes Gefieder.

Neben diesen beiden Arten treten oft in beachtlicher Menge die größeren Pfuhlschnepfen auf, erkennbar an ihrem aufwärts gebogenen Schnabel. Auch sie sind oft zu Tausenden in einer einzigen Schar zu sehen, und auch hier verfärbt sich das graue Winterkleid zum Brutkleid mit kupferbrauner Brust. Pfuhlschnepfen sind Brutvögel der hochnordischen Tundra in Lappland und Sibirien.

In den letzten Jahren ist eine weitere Limikolenart sehr zahlreich geworden – der Goldregenpfeifer. Die früher seltenen Vögel sind im April bei Hochwasser zu Tausenden in der Norddorfer Marsch zu sehen, wo sie auf die nächste Ebbe warten. Etliche dieser Vögel sind schon im Brutkleid und bieten mit ihrem goldgesprenkelten Rückengefieder und den hermelinartigen weißen Streifen in der Abgrenzung zum schwarzen Kopf- und Brustgefieder ein “königliches” Bild. Auffallen sind auch ihre melodisch – schwermütigen Rufe “tlüü-i”.

Der Große Brachvogel läßt in der Zugzeit seine melodischen Triller hören

Eine weitere häufige und durch melodische Triller bemerkbare Vogelgestalt, die sich während der Hochwasserzeit auf den Salzwiesen am Amrumer Wattufer versammelt, ist der größte aus der Limikolenfamilie, der Große Brachvogel. Und kundige Naturbeobachter sehen auf dem Asphaltdeich bei Norddorf oder auf dem Klipp zwischen Nebel und Steenodde stehend weitere Arten wie Grünschenkel, Dunkle Wasserläufer, Steinwälzer (die am Nebel-Steenodder Kliff am Ufer mit dem Schnabel Steine umdrehen, um die Insekten darunter zu erbeuten) und andere. Am Kniepsand und vor der Odde am Weststrand fallen die zierlichen Sanderlinge auf, die mit rasend schnellen Beinen mit den Wellen auf und ab laufen, um Nahrung aus der auflaufenden Flut zu picken.

Im Spätsommer sieht man nicht selten Versammlungen von Säbelschnäblern am Amrumer Watt. Und allgegenwärtig sind natürlich die Charaktervögel des Wattenmeeres, die Austernfischer, die nach der Brutzeit in kleinen und großen Scharen versammelt sind, sich aber nicht zum Wegzug entschließen und im Lande bleiben, so lange es keinen Winter und Eisbedeckung im Wattenmeer gibt.

In der herbstlichen Zugzeit ist das Amrumer Watt aber auch belebt von Unmengen von Möwen, vor allem Lachmöwen, die auf der Feldmark (hinter der Pflugschar von Landwirten) sowie in den Marschenwiesen Bodengetier erbeuten, jetzt aber den dunkelbraunen Kopf der sommerlichen Brutzeit verloren und nur noch einen dunklen Fleck neben den Augen haben. Die Lachmöwe (Möwe der Lachen) war noch vor einigen Jahren ein nicht seltener Brutvogel auf Amrum, kommt heute aber nur noch in Einzelpaaren und in Kleinkolonien vor. Offenbar kann sie sich nicht gegen die Großmöwen (Mantel- und Silbermöwen) behaupten.

Lachmöwen im Amrum Watt

Auch Sturmmöwen sind jetzt auf der Insel so häufig wie zu keiner anderen Jahreszeit. Es ist übrigens ein “Märchen”, dass Möwenscharen in der Luft oder auf dem Lande Sturm ankündigen. Im Hochsommer stellen sie den fliegenden Ameisen nach, und im Herbst halten sie Mauserruhe auf dem Land und suchen nur die Geselligkeit anderer Möwen.

Sehen wir allerdings in den Wintermonaten am Strand, im Watt oder auf der Insel Möwen mit schwarzen Flügeldecken, dann sind es nicht die häufigsten Brutvögel, die Heringsmöwen, die sich als Zugvögel um diese Zeit an südeuropäischen und westafrikanischen Küsten befinden, sondern Mantelmöwen. Die größte aller Möwenarten ist seit etlichen Jahren ebenfalls Brutvogel auf Amrum, allerdings noch in geringer Anzahl von höchsten 20 Paaren auf der Odde und im NSG Amrumer Dünen.

Von den Silbermöwen ist in den Wintermonaten auf Amrum aber erstaunlich wenig zu sehen. Sie treiben sich um diese Zeit in europäischen Fischereihäfen und auf den noch vorhandenen Mülldeponien umher. Und sehen wir auf dem Pfahl einer Buschlahnung am Watt bei Norddorf oder Nebel oder auf der großen Buhne am Fähranleger Wittdün, manchmal auch auf einem Seezeichen, einen großen schwarzen Vogel mit ausgestreckten Flügeln, dann ist es ein “Meerrabe”, ein Kormoran. Kormorane waren früher – weil ganz selten in heimischen Breiten – an Amrumer Küsten unbekannt. Wie bei den Wildgänsen erfolgte auch hier seit den 1970/1980er Jahren eine unglaubliche Vermehrung, und heute brüten diese großen schwarzen Vögel schon drüben auf Föhr. Kormorane sind reine Wasservögel, die ausschließlich von Fischen leben. Aber sie haben kein Fettgefieder wie Enten und Gänse und müssen deshalb nach Schwimmen und Tauchen ihr Gefieder trocknen. Deshalb sitzen sie oft mit ausgebreiteten Flügeln.

“Die Wandergans mit hartem Schrei…”
…nur fliegt in Herbstes Nacht vorbei…”, dichtete Theodor Storm über seine graue Heimatstadt am grauen Meer, Husum. Es gibt keine Vogelart, die Wandergans heißt. Vermutlich hat Storm die Ringelgans gemeint, die mit rauhen Rufen (ronk-ronk) an der Meeresküste entlang zieht. Sie ist auch auf Amrum seit jeher sehr häufig, im Spätsommer und Herbst allerdings in kleinen Scharen, die bald weiterziehen, aber im Frühjahr von März bis Mai mit bis zu 3000 Vögeln, die nicht mehr wie Jahrhunderte früher im Watt Seegras äsen, sondern auf den Marschenwiesen und Getreidefeldern der Insel einfallen und ein Problem für die Landwirtschaft sind.

Seit einigen Jahren ist eine weitere hochnordische Wildgans Durchzügler und Wintergast auf Amrum – die Nonnengans (Weißwangengans) mit bis zu 1000 Exemplaren. Ihre Brutgebiete sind Spitzbergen und die Eismeerküsten. Aber etliche Paare haben entdeckt, dass es wohl komfortabler ist, an der Nordseeküste zu bleiben und hier zu brüten.

Georg Quedens

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