55. Sommerausstellung in der Nebler Mühle eröffnet.
Zwischen Mohn und reifem Korn radelt eine Frau in ihrem luftig dunkelblauen Sommerfähnchen aufrecht am Meer entlang und lädt ein, sie wiederzusehen in der aktuellen Sommerausstellung des Vereins zum Erhalt der Amrumer Windmühle. Lächelt sie oder trotzt sie mit halb-offenem Mund dem Sommerwind? Schon seit dem letzten Rotary-Künstlerfest hing der Flyer mit diesem Karweick- Gemälde an meiner Pinnwand. Ich war nicht die Einzige, die sich lange auf die erste Ausstellung des Lübecker Künstlers in der Nebler Mühle gefreut hat; entsprechend gut war die Vernissage am 23. Juni besucht. Viele Amrumer Künstlerinnen und Künstler gaben sich ein Stelldichein und Pianist Manuel Pabst (einst Musikpädagoge auf Amrum) war für die musikalische Untermalung sogar eigens aus Eckernförde angereist.
Felix Karweick (Jahrgang 1972) zeichnet, „seit er einen Stift halten kann“. Er studierte an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Hamburg Design mit Schwerpunkt Illustration und begann seine künstlerische Laufbahn als Aktionskünstler am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin. Mühlenvereinsvorsitzender Volker Langfeld stellte den freischaffender Illustrator, Zeichner und Maler vor, der an vielen verschiedenen Projekten beteiligt ist und den es seit 1993 immer wieder auf die Insel verschlägt. Hier findet er eine beständige Quelle der Inspiration und seit 25 Jahren Unterschlupf im Haus der Familie des Künstlerkollegen Otfried Schwarz (Panscho) in Nebel. Auf Amrum ist Karweick insbesondere durch seine „tierisch“ humorvollen Gemälde wie die „Blaue Maus“ bekannt und seine einfühlsamen, phantasievollen Illustrationen der Seefahrer-Geschichten in den beliebten Vorträgen von Kai Quedens.
Kai Quedens, selbst Kunstschaffender, würdigte seinen Freund und Kollegen mit einer brieflichen Laudatio, da er nicht zur Vernissage kommen konnte. Er hoffe, das „Karweick-Werk“ in seiner ganzen schöpferischen Bandbreite in der Amrumer Windmühle vereint zu sehen. An Karweicks Figuren könne man sich einfach nicht satt sehen und freue sich jedes Mal über seine grotesken, humoresken Bild-Geburten. Wenn Karweicks Bildgeschichten zu Gemälden werden, bewundere er ihn fast am meisten. „Dann krabbeln die Figuren vom Bildträger an die Oberfläche in den Raum hinein, treten uns entgegen, als möchten sie uns sagen: Hey, hier bin ich!“, schreibt Quedens. Das sei etwas Wunderbares im schönsten Sinn des Wortes, ein vollkommenes „Illustrations“-Gemälde, was er so weder bei Degas noch bei Toulouse-Lautrec gesehen habe, sondern eigentlich nur bei Felix Karweick. Karweick sei durch und durch ein Künstler. Er bringe seine Gestalten und Landschaften mit Leichtigkeit und Sicherheit in verschiedenen Techniken auf den Punkt. Ein „Felix Karweick“ verschönere nicht nur die Wand – ein echter „Karweick“ an der Wand bereichere einem das Leben! „Man wird ein Bild von Dir von Tag zu Tag mehr liebgewinnen (…) Sag das deinen Gästen – sonst sag ich es ihnen“, endet der von Volker Langfeld verlesene Brief.
„Niemals hätte ich geglaubt, dass hier in der Mühle einmal meine Bilder hängen würden“, sagte Felix Karweick tief gerührt, der mit seinen schlaksigen 1,97 Metern Länge in den hinteren Räumen der Mühle den Kopf einziehen muss, um nicht an die Decke zu stoßen. Der mit einer amüsanten Erzählweise gesegnete Künstler kam erstmalig kurz nach seinem Abitur am Lübecker Johanneum nach Amrum. Durch einen Freund namens Johannes Nachtigall und eher zufällig, „weil alle anderen schon verreist waren“. Das Geld der jungen Leute reichte nur für zwei Wochen auf dem Campingplatz, aber beim ersten Blick von der Aussichtsdüne auf den weiten, hellen Kniepsand (Amrum-Fan Nachtigall hatte das „Ereignis“ spektakulär angekündigt: „Pass auf, jetzt kommt’s!“) „hat sich die Insel für immer in mein Herz gefressen“, erzählt Karweick. „Abends hab’ ich kleine Zeichnungen angefertigt, auf Servietten und Bierdeckeln, die mir die Besucher vom Campingplatz abgekauft haben.“ Nach zwei Wochen verkündete er seinem Kumpel: „Jonny, wir verlängern!“
Inzwischen lebt Karweick „für und von seine(r) Kunst. Ohne finanzielle Absicherung“, wie Kai Quedens anerkennend schreibt, den mit Karweick nicht nur die berufliche Freundschaft, sondern auch ein ausgeprägter Sinn für Humor, das feine Gespür für Skurriles und ein komödiantisches Talent verbindet.
Aus manchen der für die Vorträge von Kai Quedens entstandenen Tuschezeichnungen und Aquarelle, die jetzt erstmals im Original in der Mühle ausgestellt sind, spricht Karweicks Schalk. So hat der Pastor in den Bebilderungen der Sage vom Untergang der Stadt Rungholt gleich „doppelt Schwein“, dass er als einziger dem Tod entrinnen kann: Erst wird er gezwungen, einer Sau die letzte Ölung zu geben („Die Rungholt Sauerei“) und dann sieht er in seinem vorhersehendem, apokalyptischen Traum einen Schweinepriester warnend von seiner Kanzel predigen, während die lasterhafte Gesellschaft im Meer versinkt („Der Traum“).
Karweicks Werk ist vielseitig, auf keinerlei Weise naturalistisch, fotografisch oder Effekt haschend und das macht diese Sommerausstellung in der Mühle wirklich spannend.
Seine Bilder fangen nicht einfach allgemeine Stimmungen ein, weder seine Zeichnungen noch seine Gemälde. Sie sind konkret. Exemplarisch. Er setzt Gefühle und Assoziationen direkt ins Bild , nachvollziehbar – die Gefühle der Abgebildeten selbst und die des schöpferischen Malers auf die Situation, mit der er uns eine Geschichte erzählt, von den Leuten hier am Meer, seiner aktiven Zuneigung zu dieser Landschaft, ihrer Weite, ihrem starken Wind und ihrem ganz besonderen Licht.
Die Gesichter real lebender Menschen auf Karweicks Gemälden sind meist nicht detailliert ausgearbeitet, manchmal sogar bewusst verwischt, und dennoch ausdrucksstark. (A-historische Ausnahmen bestätigen die Regel: Erkennen Sie die beiden Insulaner auf der emotional ungeheuer ausdrucksstarken Zeichnung „Das Leck“?) Ein bisschen erinnert mich Karweicks Blick auf die Menschen an Heinrich Zille, der die Protagonisten des Berliner Hinterhof-Milieus gemalt, gezeichnet oder karikiert, jedoch nie bloßgestellt hat. Durch den Titel „Die Störenfriede“ für die Frau an der Geige vor offenem Fenster mit ihrem eifrig spielenden kleinen Sohn samt Hund am Klavierflügel zum Beispiel oder die Illustrationen der Familiengeschichte von Merret Lassen aus Rantum auf Sylt mit ihren 21 Kindern, von denen acht Kapitäne wurden, die den dänischen König empfing und ihm ihr Hinterteil präsentierte.
Wie sich in der Mühle zeigt, für mich eine echte Überraschung, haben keineswegs alle Zeichnungen oder Gemälde des Künstlers einen ironischen Unterton. Seine Illustrationen und die, vor allem in den hinteren Räumen der Mühle versammelten, Gemälde in Tempera, Öl und Acryl zeigen auch ganz andere Aspekte seines Schaffens.
Welch’ ein Licht hat Karweick da auf seine großen Landschaftsgemälde „Priggen im Watt“ und „Abendsonne in Nebel“ gezaubert? Lieblingsbild vieler Besucher: die von einer Möwe im Flug begleitete Menschen-Karawane weit draußen „Im Watt“. Etwas schade, dass die Hängung der „Heuballen“ auf dem Geesthang (hinter der Treppe) keinen größeren Abstand zum Gemälde ermöglicht und die Frau „Auf dem Fahrrad“ im hellen Naturholzrahmen kaum auffällt im Eingang zu den hinteren Räumen.Das Ölgemälde „Café Knülle“ sollte man sich auch einmal von weitem ansehen, dann erinnert es an eine modernisierte Strandszene aus den 1920er Jahren. Und vor dem „Sturmcafé“ in Acryl sollten Sie unbedingt etwas länger und mit wachem Auge verweilen, denn es gibt darauf unglaublich viel zu entdecken. Auch ein Technik-Vergleich zwischen den Ölgemälden „Amrumer Trachtengruppe“ (Das Bild bleibt auf der Insel!) und „Frühstück mit Orangensaft“ ist reizvoll hinsichtlich der Wirkung des Lichts und der gewählten Perspektive (Impressionismus versus Moderne). Unmöglich, alle 30 ausgestellten Werke hier im Einzelnen zu besprechen, aber bevor ich es vergesse: Für den „Apfel am Morgen“ sollte man wenigstens einmal vor Ort in Nebel gewesen sein und dann über Realismus in Karweicks Bildern diskutierenJEs stimmt: Felix Karweick ist der Insel, dem Meer und allem was daran, darauf, darüber und darunter so geschieht, in tiefer Zuneigung verbunden – und das sieht man auf seinen Bildern in der Amrumer Mühle.
Ich drücke Ihnen die Daumen, dass noch nicht allzu viele rote „Verkauft“-Punkte darunter kleben, denn es gibt in der Mühle kein „Jonny, wir verlängern!“
Die 55. Sommerausstellung in der Nebler Mühle ist vom 23. Juni bis 23. August 2019 zu sehen, täglich von 10:30 – 13:00 Uhr und 14:30 bis 17:00 Uhr, montags jedoch nur bis 16:00 Uhr und sonntags erst ab 11:00 Uhr.