Dreimal Pastor Mechlenburg


Im Chorraum der St. Clemens-Kirche in Nebel hängen ein Epitaph und ein Gemälde, die an drei Pastoren der Familie Mechlenburg erinnern, die in der Zeit von 1739 bis 1875, also über einen Zeitraum von fast 150 Jahren – nur unterbrochen in der Zeit von 1778 bis 1787 – Seelsorger auf Amrum waren und Geschichte geschrieben haben, insbesondere der Letzte, der Enkel Lorenz Friedrich Mechlenburg.
Am Anfang der Pastorendynastie steht Friedrich Marstrand-Mechlenburg, geboren im Jahre 1710 in Christianssund in Norwegen. Wie kam ein Norweger auf die abgelegene Insel Amrum? Bekanntlich gehörte Amrum etwa seit der Wikingerzeit, also spätestens seit dem 10. – 12. Jahrhundert, zum Königreich Dänemark. Aber auch Norwegen gehörte seit dem Jahre 1389 (Kalmarer Union) zu Dänemark – bis 1814, so dass es hinsichtlich der Nationalität keine Differenzen gab.
Mechlenburgs Eltern waren der Kaufmann Jörgen Friedrich Marstrand und Ehefrau Else Margarete Mechlenburg, so dass zunächst der Doppelname Marstrand-Mechlenburg entstand – ein seltenes Phänomen, dass der Familiename der Ehefrau dominierte, stand doch das Patronymikon, der männliche Name, seinerzeit an absolut erster Stelle!
In der Bischofs- und Krönungsstadt Trondheim besuchte der junge Friedrich die Schule, und hierzu gibt es ein weiteres Aufrufezeichen. Denn in Trondheim wimmelte es jenen Jahren von Amrumern, die von dort aus in allen Rängen, darunter mit etlichen Kapitänen, zur See fuhren (unter anderem Vater und Sohn Oluf Jensen und Hark Olufs sowie Hark Nickelsen, alle aus Süddorf-Amrum). Der fleissige Archivar der Ferring Stiftung in Alkersum, Reinhard Jannen, vermutet, dass hier schon möglicherweise eine Beziehung von Marstrand-Mechlenburg zu Amrum zustande gekommen ist.
Zunächst aber wurde Friedrich vom Trondheimer Stiftsprobst zum Studium der Theologie nach Kopenhagen gesandt, dem 1735 ein weiteres Studium in Jena folgte.
1739 kam Friedrich Marstrand Mechlenburg als Pastor nach Amrum – unter bemerkenswerten Umständen: Er heiratete im Juli 1739 die junge Witwe Anna Catharina seines im 36. Lebensjahr verstorbenen Vorgängers Nikolai Hansen Outzen und erleichterte sich damit den Zugriff auf die Pastorenstelle. Denn eine Pastorenwitwe war für die Kirchenbehörden immer ein Problem, und es gibt zahlreiche Beispiele, dass ein Pastor eine Anstellung nur dann bekam, wenn eine hier vorhandene Witwe geheiratet oder anderweitig versorgt wurde.
Mit der Heirat hatte der nun 29jährige Friedrich Marstrand-Mechlenburg dieses Problem gelöst, und er bekam mit Anna Catharina noch sieben Kinder!
Das Ehepaar wohnte zunächst in Norddorf, denn hier stand das Pastorat. Der Pastor musste sich deshalb ein Pferdefuhrwerk halten, um bequem zu Kirche und Friedhof zu gelangen. Aber bald beschwerte sich der Pastor aus Norwegen über die Wohnverhältnisse und wurde durch ein Gutachten einer Kommission von Westerlandföhr (mit Amrum in einer Harde bzw. Birk vereint) bestätigt. Die Kommission urteilte: “Das Pastorat ist ein elendes Haus…” Schließlich wurde nach jahrelangem Streit mit der Gemeinde Amrum, die einen Neubau finanzieren musste, durch Resolution des dänischen Königs verfügt, dass ein Neubau errichtet und dieser von Norddorf nach Nebel verlegt werden sollte. Dies geschah im Jahre 1758.
Auf dem Epitaph in der St. Clemens-Kirche lesen wir in Goldschrift: “Hier ruhen die irdischen Theile eines hiesigen wohlverdiendten Predigers, des Herrn Friedrich Mechlenburg, geboren in Christianssund in Norwegen, 1710 Hierher berufen 1739, verheiratet mit seines Vorwesers Witwe die Frau Anna Catherina Outzen Geborene Riese von Ager – schow 1740. Er war Vater von 7 Kindern, von welchen 4 Söhne und 1 Tochter seinen Tod erlebten. Er starb den 20 Martz 1778, da er 38 1/2 Jahr Prediger gewesen und 67 1/2 Jahr gelebt. Sein Parentationstext Luc. 24, 26 und Leichen Text Cot. 4, 1.2”
Das Epitaph verschweigt, dass Pastor Mechlenburg wegen des Neubaus und der Kosten des Pastorats jahrelang mit seiner Gemeinde im Streit lebte und noch 1770 an den Bischof in Ribe schrieb: “Es ist nicht zu beschreiben, welche Boshaftigkeit die Amrumer seit Beginn meiner Amtstätigkeit hinsichtlich des Schul- und Armenwesens, des Küsters und der Kirche gegen mich bewiesen haben”.
Auf Friedrich Marstrand Mechlenburg folgte zunächst Pastor Carsten Christiansen, geboren im September 1738 in Klanxbüll. Dieser blieb aber nur neun Jahre auf Amrum und wurde 1787 an die höher dotierte Kirche St. Laurenti in Westerlandföhr versetzt.

Pastor Christian Riese Mechlenburg, Pastor von 1787-1827

Auf Christiansen folgte nun wieder ein Mechlenburg, Christian Riese Marstrand, geboren am 3. September noch im alten Pastorat in Norddorf. Ab seinem 13. Lebensjahr in der Lateinschule seines Onkels, des Bischofs in Ribe und ab 1764 bei einem anderen Onkel, dem Bischof in Aalborg, ausgebildet und nach dem Besuch der Universität in Kopenhagen, wurde er im Jahre 1784 als Kandidat der Theologie zum Predigeramt auf Amrum berufen. Er war verheiratet mit Naemi Dorothea Petersen aus Dagebüll und hatte mit ihr fünf Kinder.

Pastor Lorenz Friedrich Mechlenburg, Pastor von 1827-1875

Von den fünf Kindern des vorgenannten Ehepaares hat der am 15. Februar 1799 im Pastorat in Nebel geborenen Friedrich Lorenz Mechlenburg die nachhaltigsten Spuren in der Inselgeschichte hinterlassen. Am 2. August 1827 wurde er – wie schon Vater und Großvater – Pastor in der St. Clemens-Gemeinde auf Amrum, nachdem er in Kopenhagen ein entsprechendes Studium absolviert hatte. Lorenz Friedrich war ein vielseitig interessierter Mann, der sich wie kein anderer vor und nach ihm um die Inselgeschichte bemühte und Stapel von Aufzeichnungen hinterlassen hat. Zugleich war er ein eifriger Vorkämpfer für die Bewahrung der friesischen Sprache durch eine umfangreiche Wörtersammlung, scheute sich aber auch nicht, seine Heimatinsel fremden Besuchern anzupreisen, die ein halbes Jahrhundert vor Beginn des eigentlichen Fremdenverkehres zu Tagesausflügen vom benachbarten Seebad Wyk herüberkamen – darunter die dänischen Könige Christian VIII. und Frederik VII. Ersterer hatte von 1842 bis 1847 in Wyk mit Gefolge seine Sommerresidenz und kam alljährlich zu Besuch und Visitation des Schulwesens sowie zur Kaninchenjagd nach Amrum, 1844 auch in Begleitung des Märchendichters Hans Christian Andersen. Und Frederik VII. besuchte 1860 den äußersten Winkel des Königreiches und machte Pastor Mechlenburg in einer fröhlichen Feierlaune im Pastorat zum Ritter des Danebrog-Ordens.

König Frederik VII. machte Pastor Mechlenburg zum Danebrog-Mann

Pastor Mechlenburg korrespondierte auch mit dem dänischen König über seine Entdeckung wikingerzeitlicher Grabstätten im Skalnastal auf Amrum, war sozusagen der “Advokat” der Inselbevölkerung, wenn es um Schriftsätze bei Rechtssachen an die Obrigkeit ging, setzte sich mit Gnadengesuchen für “Strandräuber” nach erfolgten Gerichtsurteilen ein und war im übrigen ebenso gut Bauer wie Pastor. Das Prinzip der Pastorenversorgung in damaliger Zeit war nämlich, dass sich diese von dem umfangreichen Kirchen- und Pastoratsland (rund 70 Hektar!) weitgehend selbst ernähren sollten. Und Pastor Mechlenburg war ein eifriger und akkurater Bauer, wie umfangreiche Aufzeichnungen über seine landwirtschaftliche Tätigkeit beweisen. Er war faktisch der einzige Großbauer auf der Insel, was auch Scheune und Ställe am alten Pastorat belegen.

Vor der Mündung eines Exekutionskommandos
Pastor Mechlenburg erlebte aber auch die unruhige Zeit des Staatswechsels von Dänemark zu Preußen bzw. zum Deutschen Reich. Anno 1850 gab es zunächst die “Schleswig-Holsteinische Erhebung” gegen den dänischen Gesamtstaat, und dabei standen die Amrumer, allen voran ihr Pastor, auf dänischer Seite. Nun lagerten aus dem Krieg zwischen Dänemark und England (1807 – 1814) einige erbeutete Kanonen hinter dem Pastorat, und am 2. September 1850 erschien ein Kanonenboot der “Insurganten” mit sieben bewaffneten Matrosen, um die Kanonen abzuholen. Doch Pastor Mechlenburg verweigerte die Herausgabe und wurde von einigen herbeigeeilten Dorfbewohnern (für die die Schleswig-Holsteiner feindliche Truppen = Insurganten waren) unterstützt. Aber am 4. September 1850 erschienen die Schleswig-Holsteiner mit 40 Mann und verschifften die Kanonen. Wieder stellten sich etliche Amrumer, darunter der Pastor, den Feinden in den Weg, die aber ihre Gewehre auf die Insulaner richteten, so dass diese einige Minuten lang befürchteten, erschossen zu werden.
Der Krieg von 1864 zwischen Dänemark und Preußen/Österreich endete dann mit einer dänischen Niederlage und der Abtrennung der schleswig-holsteinischen Herzogtümer aus dem dänischen Gesamtstaat.
Lorenz Friedrich Mechlenburg war verheiratet mit einer Insulanerin, Matje Tückes, Tochter des Austernfischers Tücke Rauerts aus Norddorf, der schon als 30jähriger bei Hörnum verunglückt war. Durch seine Frau, aber auch durch sein gesamtes Lebensengagement für Amrum, war der Pastor ganz mit seiner Heimatinsel verbunden. Zehn Kinder wurden dem Ehepaar Mechlenburg geboren, von denen aber fünf in jungen Jahren starben – wie üblich mangels ärztlicher Versorgung im alten Amrum. Ein Sohn kam als Seefahrer ums Leben, und nur einer, Richard, geboren 1847, wurde Pastor, amtierte aber nicht auf Amrum, sondern in Helminghausen und Waldeck.
Lorenz Friedrich Mechlenburg wirkte bis zu seinem Tod am 13. Oktober 1875 (vorzeitiger Ruhestand war unbekannt), musste in seinen letzten Lebensjahren aber manchmal durch den Küster Bandix “Böle” Bonken vertreten werden. Er war ganz und gar mit der Inselgemeinde, auch durch Sprache und Lebenshaltung, verwachsen.

Pastor Beck wollte um 1875 die Amrumer noch frommer machen

Aber der Nachfolger, ein junger Pastor namens Georg Leonhard Beck, kam aus Bayern und war ein “Fundamentalist”, der mit den Amrumern wegen seines religiösen Fanatismus bald über Kreuz geriet und schon drei Jahre später seinen Dienst auf der Insel quittierte.

Georg Quedens

 

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