Spannend zu lesen: Die Seenotrettungsgeschichte Amrums …


Schöne Herbstlektüre: das neue Buch von Georg Quedens

Die Rettungsgeschichte der Inseln ist so interessant“, sagt Georg Quedens, und es wundere ihn, dass es von keiner der anderen nord- oder ostfriesischen Inseln ein Buch darüber gäbe. Nun hat er eins geschrieben: „Das Seenotrettungswesen der Insel Amrum“, erschienen im Verlag seines Bruders Jens Quedens. „Der Stapel von Archivalien, die ich gesammelt habe, war hoch.“ Quedens spannt die Geschichte von der Gründung der Rettungsgesellschaft 1861 bis in die 1960er Jahre, mit einem kleinen Ausflug in die heutige 28-Meter-Klasse von Amrums derzeitigem Retter, der Ernst Meier-Hedde.

Blick ins Buch: Packend und Packeis

Amrum mit seinen weit-weit in die Nordsee hineinreichenden Sandbänken und Untiefen ist immer noch eine Gefahr für die Schifffahrt, schreibt Quedens. Und auch die graue Vorzeit war auf der Insel wild, was die Dokumente belegen, die in den Jahren von 1860 bis 1870 über 40 Seenotfälle vor Amrum verzeichnen. „Nirgends gab es das an der deutschen Küste“, sagt Quedens. Der alte Mann – das darf man schreiben – hat das unsagbare Glück des vielen Wissens und guter Quellen. Seit Jugend an sammelt er. „Ich hatte immer den unheimlichen Drang, alles was Amrum betrifft aufzubewahren. Meine Schwachstelle ist allerdings, dass ich nicht genau benennen kann, was ich wann woher habe“. Von großem Wert für die zig Kapitel auf den knapp 160 Seiten seines neuen Buches waren die Aufzeichnungen von Carl Quedens – “der Sohn vom Bruder meines Urgroßvaters“, der vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1950er Jahre hinein eine Familienchronik führte, in der er auch die Bergungsfälle seines Vaters Volkert mit aufzeichnete. „Volkert Quedens war so was wie der Bergekönig der Insel. Über 30 Schiffe hat der wieder flott gemacht“ sagt Quedens über den Mann, der auch der Gründer Wittdüns war.

Die Strandung der Pella 1964 – ein Foto aus dem Archiv des Autors

Bergelöhne waren eine verdammt wichtige Einnahmequelle der Amrumer. DIE Einnahmequelle. Und was manchmal wie ein Zuhilfekommen aussah, wenn sich die Insulaner zum gestrandeten Schiff hin aufmachten, war nicht selten eine Beschau dessen, was an Wert da sei. „Die dachten zuerst an Gewinn“, weiß Quedens. So geschehen auch beim Hamburger Dampfer „Albis“ im Winter 1922 – vermutlich verewigt auf dem Altarblatt in der Wittdüner Kapelle – dessen neun „halbtote Schiffbrüchige“ von den Rettungskräften aus dem einzig aus dem Meer herausragenden Mastkorb gerettet werden konnten, wofür die Rettungsmannschaft später eine Medaille erhielt. Ohne Auszeichnung blieb Vormann Carl Quedens, der sich schon vor der Mannschaft auf den Weg zum Schiff gemacht hatte und später mitgerettet werden musste. „Für uns hatte das Rettungswesen kein freundliches Wort“, notierte Carl Quedens in seiner Chronik. Die Ablehnung, schreibt Georg Quedens in seinem Buch, dürfte eher durch den Umstand begründet sein, dass Carl Quedens er mal wieder in bester Familientradition eher den Bergelohn im Auge hatte als die Rettung der Mannschaft. „Ich müsste das im Buch auch öfter kritisch angemerkt haben. Alle, die losfuhren, waren doch bemüht, die ersten zu sein.“ Mit der Aussicht auf Profit war natürlich oft Leid verbunden. Eine Strandung 1863 auf Hörnum-Sand kostete neun Amrumer Rettungsmännern das Leben. „Es gab 25 Waisen hier. Ein dramatischer Fall in der Strandungsgeschichte war das.“

Es waren „kernige Gestalten“ sagt Quedens über die Amrumer Retter

„Kernige Gestalten“ zieren den Titel des Buches. Es ist die Besatzung der alten Rettungsstation Nord am Norddorfer Strand. Ihre Namen sind die Namen der Insel, die heute noch auch jedem Gast im Gehör sind: Jannen, Schuldt, Peters, Karlisch, Schau. „Fast alle hab ich noch in meiner Knabenzeit gekannt“, sagt Quedens.

Zu schreiben über die alte Zeit hat ihm Spaß gemacht. Die Bergung der Ladung Hafer 1939, von einem vor Amrum gestrandeten Schiff, der Gang mit der Mutter und dem Handwagen über den Kniep, ist noch in seiner Erinnerung. Georg Quedens war in den Archiven der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) in Bremen, er hat auf Sylt gesucht, sich historische Seekarten besorgt und mit dem Nachlass von Julius Schmidt – „aus einer riesigen Truhe auf seinem Dachboden in Nebel“ – eine wichtige Quelle entdeckt. Schmidt war langjähriger Vorstand des Ortsausschusses „und damit praktisch Leiter der Rettungseinsätze. Der Mann hatte Telefon“, beschreibt Quedens die Verhältnisse Anfang 1900. „Telefon auf Amrum! Da waren auf dem Festland noch Trommel und Rauchzeichen üblich.“ So scherzt der 84-Jährige gerne.

Die Schreibmaschine – aus sicherer Entfernung fotografiert

Dieses Buch und alle anderen davor – „rund 80“ – entstehen auf einer Schreibmaschine, die als Zeichen ihrer Moderne ein Korrekturband mit sich führt. Das Instrument passt zum Diaprojektor, mit dem Georg Quedens seit einem halben Menschenleben seine interessanten Vorträge unter die Menschen bringt. „Ja, ich weiß, beides kommt aus der Bronzezeit, und ich hab es in einem der Hühnengräber auf Amrum gefunden.“

Mit wenigen Ausnahmen ist die Fülle an Material hier erstmals zusammengestellt. Allein das Kapitel um die „Todesfahrt des Rettungskreuzers Theodor Preußer“ hat so oder ähnlich schon in einer der unglaublich informativen Jahreschroniken gestanden, die der Autor bis vor ein paar Jahren schrieb . „Eine unserer Familientragödien“ sagt Quedens. Ein Vorfahr, Jens Peter Bork, war einer der beiden Amrumer Rettungsmänner, die im Oktober 1890 bei dem Versuch starben, gemeinsam mit Kameraden einem havarierten Schiff vor der Küste Sylts zu Hilfe zu kommen. Ihr Rettungsboot kenterte. Die Leichen von Bork und Theodor Flor trieben später vor Nordjütland an, wo ihnen das Grab bereitet wurde. „Wenn wir auf Dänemark-Tour sind, dann ist es kein Umweg diese eine Stunde dranzugeben, um dahin zu gehen“ sagt Quedens.

Sein Buch sammelt Fakten um alle Rettungsboote und Amrumer Vormänner, über Generationen von Lebensrettern und dokumentiert Dutzende von Rettungseinsätzen. Das berühmte „U 979“ ist drin, das U-Boot, was der deutsche Kommandant Meermeier absichtlich vor der flachen Küste des Knieps versenkte. Der Erzfrachter „Pella“ ist genannt, die „Pallas“ natürlich „der größte Strandungsfall an der deutschen Nordseeküste “ sagt Quedens, der beide Schiffsunglücke mit seiner Kamera dokumentierte – von Bord eines Ausflugsbootes, dessen Kapitän ihn übersetzte.

Der Retter „Ruhr-Stahl“ taucht auf, und die „Eiswette“. Mit den beiden 23,2- und 20-Meter-Klasse-Schiffen der Seenotrettungsgesellschaft dürften viele Amrum-Gäste einsteigen in das Ach-das-waren-noch-Zeiten-Geseufze. Viele werden sich an die Schiffsleistungen in den Eiswintern erinnern – und an die Babys, so süß, mit dem „vermutlich längsten Geburtsnamen der Welt“: geboren zwischen Wittdün-Amrum und Wyk auf Föhr.

Der Autor bei sich zuhause

Zusammengenommen eine, wie Quedens sagt „spannende Geschichte“. „Ich frage mich, warum ich, als der neue Rettungskreuzer, die Ernst Meier-Hedde kam, so spät reagiert habe. Mich hätte es gefreut, wenn wir als Insel mit einer so großen Rettungswesengeschichte ein Schiff mit einem Namen hier liegen hätten, der mit der Insel verbunden ist, vielleicht mit einem aus den Familien, die über Generationen die Vormänner auf den Rettungsschiffen gestellt haben.“ Quedens grübelt. „Ich habe der Gesellschaft geschrieben, aber zu spät.“

Georg Quedens, der unermüdlich auf seinem Bronzezeitgerät Geschichten tippt, freut sich über die Rückmeldungen, die er bekommt. Seine Stories für Amrum-News werden natürlich auch in New York gelesen. „Ich habe meinen Vetter in New York zum 80. Geburtstag gratuliert und wollte erzählen, was hier so los ist. Weiß ich doch alles, sagt er. Er macht nämlich morgens immer das Dings an und liest Amrum News.“

Georg Quedens: SOS – das Rettungswesen der Insel Amrum, Verlag Jens Quedens, Amrum 2019, 160 Seiten, 12,90 Euro, ISBN 9783943307191

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Über Undine Bischoff

Journalistin und Texterin. Fuhr mit drei Jahren zum ersten Mal über den Kniep – in einer Schubkarre. Weil ihr Vater da draußen eine Holzhütte baute, zwanzig Feriensommerjahre lang. Betextet Webseiten und Kataloge, schreibt für verschiedene Medien und natürlich für Amrum News.

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