Amrum hat in gewisser Weise oft im Schatten der großen Nachbarinsel Sylt gestanden. Das gilt insbesondere, wenn es sich um prominente Besucher handelt. Sylt kann mit Gott weiß wen renommieren – Königinnen und Könige, Reichspräsidenten und Minister aller Ränge waren Kurgäste auf Sylt und haben sich dort sogar Häuser erbaut. Und in Kampen begründete sich ein sogenanntes „Künstlerdorf“, in dem sich nahezu alle Größen aus Kunst und Kultur, aus Film und Fernsehen ein Stelldichein gaben. Und natürlich haben sich auch die bedeutenden Wirtschaftsführer, Verleger und Fabrikanten in die „Kurlisten“ eingeschrieben. Seit Gründung der Seebäder auf Sylt, seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bis dato, sind es Hundertschaften an Prominenz gewesen. Damit können weder Föhr und noch weniger Amrum dienen.
Allerdings bildete sich in den 1970/80er Jahren in Nebel eine kleine „Künstlerkolonie“, vertreten durch die Schauspieler Per Schmidt und Hansjörg Felmy sowie dem Sänger Hermann Prey, die aber sehr viel weniger Aufhebens von sich machten, als etwa die aProminenz auf Sylt, und die eigentlich nur konzentriert in der Öffentlichkeit bei der Strandreinigung im Frühjahr auftraten und sich gelegentlich im Gasthaus „Ekke Nekkepen“ bei Thea und Heinz Andresen versammelten. Unvergessen ist natürlich auch der Besuch des Bundespräsidentenpaares Marianne und Richard von Weizsäcker, die im August 1989 vier Wochen im Hotel „Pidder Lyng“ in Norddorf wohnten.
Einige Kuraufenthalte von „hohen Herrschaften“ hatte es allerdings auch schon früher, in der Anfangszeit des Seebades Wittdün gegeben. Beispielsweise heißt es im Jahre 1911 im Prospekt des „Kurhauses“, dass „daselbe durch einen sechswöchigen Aufenthalt Seiner Königlichen Hoheit des Kronprinzen von Sachsen nebst Gefolge sowie durch den Besuch des Prinzen Waldemar von Preußen und des Prinzen Antonio von Sachsen-Koburg-Gotha, ferner im Jahre 1913 durch den Besuch Ihrer Kgl. Hoheit Prinzessin Irene Heinrich von Preußen nebst Gefolge ausgezeichnet wurde (…)“.
Das „Prinzenhaus“ am Seehospiz I
Die Seehospize der Westfälischen Diakonissenanstalt in Norddorf – wie Wittdün im Jahre 1889/90 gegründet – konnten sich keineswegs mit den noblen Hotels, dem „Kurhaus“, dem „Kaiserhof“ oder „Victoria“ auf der Amrumer Südspitze messen, aber gerade wegen ihrer bescheidenen Ausstattung scheinen sie das Interesse der höchsten Familie im damaligen deutschen Kaiserreich erweckt zu haben. Im Sommer 1892 meldete sich Prinzessin Irene Heinrich von Preußen für die „Sommerfrische“ im Seehospiz an und wohnt mit ihren Kindern in einem Nebenhaus am Seehospiz I, das später „Prinzenhaus“ genannt wurde. Der Aufenthalt muss ihr gefallen haben, denn 1893 übernahm sie das Protektorat über das Seehospiz, und für Amrum bedeutete dies die allerhöchste Anerkennung und die Bekanntmachung des Inselnamens und des Seebades Norddorf im gesamten Deutschen Reich.
Irene Luise Maria Anna war eine geborene Prinzessin von Hessen-Darmstadt, dortselbst geboren am 11. Juli 1866, eine Schwester der russischen Zarin Alexandra, die im Gefolge der kommunistischen Oktoberrevolution mitsamt dem Zaren und ihren Kindern in Jekaterinburg ermordet wurde. Und wie ihre Schwester Alexandra, so war auch Irene eine Trägerin der Bluterkrankheit, der dann auch zwei ihrer drei Söhne zum Opfer fielen.
Irene hatte 1888 ihren Cousin Prinz Heinrich geheiratet und hieß fortan Prinzessin Heinrich. Prinz Heinrich war ein Bruder des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II. und in der Thronfolge an nächster Stelle (wäre Prinz Heinrich anstelle seines Bruders Kaiser und Regent des Deutschen Reiches gewesen, wäre der 1. Weltkrieg vermutlich vermieden worden).
Prinz Heinrich wurde am 14. August 1862 in Potsdam geboren, und er soll keine leichte Kindheit gehabt haben, weil er den Ansprüchen der Mutter nicht genügte. Wie üblich in allerhöchsten kaiserlichen Familien absolvierte er später eine Militärkarriere und wurde 1909 zum Großadmiral befördert und konnte im 1. Weltkrieg auf der Ostsee die russische Flotte in die Defensive drängen. Das Ende des Krieges und die „Entmachtung“ des Adels beendigten dann seine Karriere, während sein Bruder, Kaiser Wilhelm, nach Holland ins Exil verschwand.
Mit der Heuharke auf der Kaiserlichen Kutsche
Beide, Prinz Heinrich und seine Gattin Irene, waren ungeachtet ihres kaiserlichen Ranges durch ihr „leutseliges“ und bescheidenes Auftreten in der Bevölkerung außerordentlich beliebt. Dies kam auch während ihrer Aufenthalte auf Amrum zum Ausdruck und lieferte Stoff für mancherlei Anekdoten. Während ihrer „Sommerfrische“ im Seehospiz erhielt die Familie einige Male Besuch vom Vater Prinz Heinrich. Einmal stand er auf der Brücke in Wittdün, wie so oft in Zivil und unerkannt, als er beobachtete, wie nachlässig die Dampferbesatzung mit dem Ausladen seines Gepäcks verfuhr. „Gehen Sie doch etwas sorgfältiger mit der Bagage um“, sagte der Prinz und bekam zu hören: „Och, dat is blot Prinz Heinrich sin Kram“.
Ein anderes Mal befand sich der Prinz auf einem Marineschnellboot an der Küste vor Amrum und ließ sich zwecks Besuch seiner Familie mittels Ruderboot am Kniepsand an Land bringen. Hier traf er auf ein Fuhrwerk – vermutlich von einem Strandvogt – und bat um Mitnahme. Der Fuhrmann kannte den noblen Herren in Marineuniform nicht und fragte, wohin er denn wolle. „Ich will die Prinzessin Heinrich besuchen“, war die Antwort. „Das wird nicht einfach sein, denn die ist verheiratet, und da steht ein Posten vor der Tür“, gab der Amrumer Fuhrmann zu bedenken. „Weiß ich“, antwortete der Mariner, „aber sie wird mich schon reinlassen, denn ich bin ihr Mann“.
Die Volksnähe des hochherrschaftlichen Paares wurde auch durch einen anderen Vorfall vermittelt. Die kaiserliche Kutsche war unterwegs zwischen Nebel und Norddorf, als man auf halbem Weg am Straßenrand eine Bäuerin mit einer Heuharke über der Schulter traf. Der Prinz ließ anhalten und fragte die Insulanerin, ob sie nicht aufsteigen und mitfahren möge. Die Bäuerin erkannte das Prinzenpaar und antwortete verlegen, „die Ehre ist wohl zu groß“. Aber Prinz Heinrich nötigte zum Einsteigen und so fuhren sie in das Dorf mit der Heuharke auf dem Rücken der stolzen Amrumerin.
Welch große Rolle solche Erlebnisse im Leben der biederen Inselbewohner spielten, kann man nur ermessen, wenn man um die fast unterwürfige und überschwengliche Verehrung weiß, die seinerzeit dem Adel und insbesondere den Angehörigen des deutschen Kaiserhauses entgegengebracht wurde. Groß war deshalb die Aufregung, als am 11. Juli 1892 das Prinzenpaar mit Gefolge die Station Nord der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger am Norddorfer Strand besuchte. Der Leiter des Ortsausschusses, der Kapitän Julius Schmidt, informierte dann auch umgehend die höhere DGzRS-Leitung, „dass seine Kgl. Hoheit der Prinz und die Prinzessin nebst Gefolge die Station besuchte und – nachdem der Vormann Volkert Ricklef Flor gerufen war – das Rettungsboot („Theodor Preußer“) mit allen Herrschaften an Bord über die lange Slip zu Wasser gelassen und wieder aufgezogen wurde, wobei S. Kgl Hoheit, der sich barfuß ausgezogen hatte, selbst das Gangspill bediente (…)“.
Prinz Heinrich barfuß und das Rettungsboot höchstselbst mit aufziehend – das war schon ein Ereignis in damaliger Zeit und dokumentiert ein weiteres Mal die Volksnähe des Prinzen.
Feierlich klang die Nationalhymne
Aber auch seine Gattin hatte in der Bevölkerung einen hohen Stellenwert. Davon zeugen persönliche Kontakte, z. B. Brieffreundschaften, u. a. mit Mina Quedens in Norddorf. Und 1896 wurde ihr die Ehre zuteil, dass ein neugebauter Seebäderdampfer der Nordseelinie, Direktor Albert Ballin, auf ihren Namen „Prinzessin Heinrich“ getauft wurde. Der Dampfer wurde auch einige Jahre auf der Linie Hamburg-Helgoland-Amrum-Föhr eingesetzt.
Und noch einmal, am 7. Juli 1913, sorgte ein Besuch der Prinzessin auf Amrum für Schlagzeilen, als die ganze Atmosphäre und der Zeitgeist der wilhelminischen Ära – unmittelbar vor dem 1. Weltkrieg und ihrem Untergang – noch einmal lebendig wurden. Die Zeitung schreibt: „Unserem Bade wurde eine hohe Ehre zuteil durch den Besuch Ihrer Königl. Hoheit, der Frau Prinzessin Heinrich von Preußen. Mit Extradampfer Ballin traf höchstdieselbe nebst Exzellenz Graf Hahn, Fräulein von Oertzen (die Hofdame und engste Vertraute der Prinzessin, d. V.), Exzellenz von Bülow, Herrn Landrat Rogge und anderen geladenen Gästen bei schönstem Wetter hier ein und wurde von den Spitzen der hiesigen Behörden an der Brücke empfangen. Hierauf erfolgte die Vorstellung des Vaterländischen Frauenvereines durch Frau Direktor Wolff (Gattin des Wittdüner Bürgermeisters und Kurdirektors Robert Wolff, d. V.). Die Herzlichkeit und Leutseligkeit der hohen Frau wird unvergesslich bleiben (…). Unter der Ehrenpforte empfing eine reizvolle Gruppe junger Friesinnen mit einem Willkommenslied in heimatlicher Sprache die Fürstin, Fräulein Bendixen überreichte einen Blumenstrauß, und aus hunderten Kinderkehlen brauste ein begeistertes Hoch.“
Der Besuch von Prinzessin Heinrich galt der Einweihung des Kinderheimes des Vaterländischen Frauenvereins (Vorläufer des heutigen DRK, d. V.), „(…) wo Probst Stoltenberg das Wort zu einer Weiherede ergriff (…) und den Segen Gottes herabflehte. Einen schönen Abschluß fand der ereignisreiche Tag durch einen Fackelzug, den etwa 200 Kinder überbrachten. Sichtlich gerührt dankte die hohe Frau, welche vom Balkon des Kurhauses dem fröhlichen Treiben zuschaute, und feierlich klang der Gesang der Nationalhymne zu ihr empor“.
Aber noch einmal bekam Prinzessin Heinrich in ganz anderer Form mit Amrum zu tun. 1914 war der Weltkrieg ausgebrochen und auf Amrum eine zahlenmäßig kräftige „Inselwache“ stationiert worden, um eine Invasion der Briten zu verhindern. Zur Inselwache wurden vorwiegend auch einheimische Männer eingezogen und absolvierten ihren Wehrdienst in der von Kugeln und Granatenschuss unbehelligten Heimat. Als nun aber im vierten Kriegsjahr 1917 angesichts der misslichen Lage die Inselmänner zur Front eingezogen wurden, schlossen sich einige besorgte Inselfrauen zusammen und schrieben einen Bittbrief an die Prinzessin mit dem Ansinnen, ihre Männer vom Fronteinsatz zu verschonen. Dabei wurde darauf hingewiesen, dass in dänischer Zeit, also bis vor 1864, die Insulaner vom Kriegsdienst zu Lande befreit waren. Namens der Prinzessin Heinrich, „die ein warmes Interesse für die Insel Amrum und ihre Bewohner ausgesprochen hat“, antwortete die Hofdame Ihrer Königlichen Majestät, L. von Oertzen, „daß es dem stellvertretenden Gen. Kommandeur des I.X.A.K. nicht möglich sei, der Bitte nachzukommen und die 16 Männer wieder der Inselwache einzugliedern (…) bei dem schweren Kampf, den das Vaterland zu bestehen hat und zu dem jedermann nötig ist“.
Ein Jahr später war der Kampf zu Ende, Deutschland kapitulierte, und das Kaiserreich ging zu Ende. Kaiser Wilhelm floh – wie erwähnt, nach Holland. Die Familie Prinzessin Irene und Prinz Heinrich wohnte auf ihrem Gut Hemmelmark bei Eckernförde. Hier starb Prinz Heinrich am 20. April 1929, seine Frau Irene am 11. November 1953.
© Georg Quedens, 2019