Um die Erd- und Heimatkunde ist es derzeit im Vaterlande nicht gut bestellt. Beide Fächer spielen seit Jahrzehnten in der Schule keine große Rolle mehr, wobei für letzteren Fall auch eine gewisse linke Ideologie unverkennbar ist. Nachdem der Begriff “Heimat” durch die Nazis missbraucht wurde, geriet er unter linke Räder – kein Wunder, dass die Heimatkunde als Schulfach an Bedeutung verlor und das Wissen darüber erschreckende Defizite aufweist. So wusste kürzlich eine Moderatorin des “Schleswig-Holstein Magazines” nichts über das von Kiel nur 50 Kilometer entfernte Danewerk, und eine Moderatorin von NDR2 verortete in einer Quizsendung die Lofoten in Schweden, obwohl drei Länder zur Auswahl angeboten wurden. Und eine Schulklasse an einer insularen Schule suchte Ostfriesland in der Gegend von Fehmarn in der Ostsee. Aber die Kultusministerin des Landes Schleswig-Holstein bekam doch einigen Gegenwind, als sie kürzlich das Schulfach Heimatkunde streichen bzw. umbenennen wollte.
Unverändert jedoch können Schüler und Erwachsene hierzulande z. B. wenig mit dem Begriff “Geest” anfangen, obwohl sie ohne dieselbe gar nicht hier auf Amrum wären. Denn der Boden, auf dem wir und unsere Häuser stehen, ist G e e s t!
Inseln – aus der Eiszeit geboren
Die Landschaft G e e s t ist nur hier im Norden bekannt. Inselgäste aus dem Süden und Osten der Republik können mit diesem Begriff nichts anfangen. Das Lexikon verrät, dass Geest ein höher gelegenes, die Marsch überragendes, aus eiszeitlichen Ablagerungen aufgebautes Gebiet nahe der Küste in Nordwestdeutschland ist, im allgemeinen trockener, unfruchtbarer Boden, mit Heide oder lichtem Kiefernwald bedeckt.
Die Insel Amrum ist, wie die Nachbarn Föhr und Sylt, eine solche Geestinsel, geboren in der Saaleeiszeit, die von etwa 240.000 bis 150.000 vor Beginn der Zeitrechnung dauerte und die bisher mächtigste Eiszeit war. Von den Höhen des heutigen Skandinaviens (Schweden, Norwegen, Finnland) schob sich ein kilometerhoher Gletscher über das nördliche Europa und bis Mitteleuropa herunter, in Deutschland bis an die Mittelgebirge (Harz u. a.). Vor der Gletscherwand wurden riesige Erdmassen, Geschiebelehm, Decksande, Gerölle und Findlinge transportiert und abgelagert. Ohne die Saaleeiszeit gäbe es heute kein Dänemark, kein Schleswig-Holstein und kein Sylt, Föhr und Amrum.
Nahezu der gesamte Kern der Insel Amrum besteht in Form einer saaleeiszeitlichen Altmoräne aus dieser Geest, im Norden beginnend auf den Höhen bei Norddorf, an der Ostseite dem Wattufer folgend über Nebel nach Steenodde und im Westen von der heutigen Küstenlinie bis einige hundert Meter südwestlich vom Leuchtturm. Hier an der Grenze des FKK-Zeltplatzes biegt der eiszeitliche Inselkern noch mit einem relativ hohen, abgerundeten Kliff nach Osten um und verläuft dann stark verflacht hinüber nach Steenodde, wo südwestlich des heutigen Ortes die Geest wieder ansteigt. An etlichen Stellen weist der Inselkern aber Einbuchtungen auf, so mit dem “Anland” bei Norddorf, am Wattufer bei Nebel Norderende bis an das Dorf heran und an der Westküste besonders auffällig südlich des Nebeler Strandweges bis fast zum Hause Tadsen hin. Dies wird von Geologen als “Litorinabucht” bezeichnet, ist aber heute mit Nadelwald aufgeforstet und tritt damit optisch nicht mehr so deutlich in Erscheinung. Und schon einen knappen Kilometer nördlich der Nebeler Strandhalle tritt das alte Ufer des Amrumer Geestkernes in Form einer mehr oder weniger deutlichen Kliffkante immer mehr von der heutigen, teils durch hohe Dünenkanten geprägten Küste zurück und liegt auf der Höhe des Leuchtturmes schon fast 200 Meter landeinwärts.
Eine besondere Einbuchtung in die Höhen des Inselkernes an der ehemaligen Amrumer Südküste bildet die Niederung “Guskölk”, vor etwa 1000 Jahren noch ein natürliches Hafenbecken, das die Einfa
hrt von Flachbooten mit Seetorf für die Verarbeitung zu Salz auf der nebenan liegenden “Dänsk Branang”, eine dem dänischen Königshaus gehörende Salzsiederei, ermöglichte.
Sanftgewellte Inselgeest – begraben unter Dünen
Das Wirken der Eiszeit hat auch durch den sommerlichen Bodenfluss über dem gefrorenen Untergrund den Inselkern geformt, der aus mehreren Höhenwellen von Osten nach Westen besteht. Eine erste Welle zieht sich nördlich der “Heidekate” über das Gewerbegebiet hin. Es folgt ein Tal mit Süddorf sowie eine neue Welle mit dem Mühlenhügel, wo die Inselgeest mit etwa 18 Metern ihren höchsten Punkt erreicht. Dann folgt wieder ein Tal mit Nebel und ein erneuter Anstieg nördlich des Dorfes, bis die Geesthöhe bei “Bäärendääl” wieder abfällt und dann bis zum “Anland” südlich von Norddorf erneut ansteigt. Über dem “Anland” bildet sich nochmals eine Senke, ehe dann die Inselgeest abschließend bis Norddorf wieder ansteigt.
Jahrtausendelang lagen die drei Geesthöhen von Sylt, Föhr und Amrum in einer weitgehend ebenen Landschaft von Marschen und Mooren – oder wurden umflutet von den Wogen des Weltmeeres im Hin und Her des steigenden oder fallenden Meeresspiegels im Gefolge der Eiszeiten. Denn immer, wenn es auf der Erde Eiszeiten gab, wurde ein Teil der irdischen Wassermengen in riesigen Gletschermassen auf den Polkappen und Hochgebirgen eingebunden, und die Ozeane fielen um über 100 Meter zurück! Die Saaleeiszeit war ja nicht die bisher Letzte. Etwa um 110.000 vor der Zeitrechnung drangen erneut Gletscher aus dem Norden vor, erreichten aber nicht mehr die südliche Nordseeküste, sondern endeten mit ihrer größten Ausdehnung an der Ostseeküste, wo sie die charakteristische Moränenlandschaft bildeten. Nur die westwärts fließenden Schmelzwasser haben noch in die Landschaftsgestaltung der nordfriesischen Inselwelt eingegriffen.
Von Menschen bewohnt
Immer aber blieben die hohen Geestkerne von Sylt, Föhr und Amrum von Überflutungen verschont, so dass hier heute noch die ältesten Spuren menschlicher Besiedlung zu finden sind. Sie führen zurück bis in die junge Steinzeit, also um etwa 3.000 vor Christus. Aus dieser Zeit stammt ein sogenanntes “Riesenbett” mit zwei Grabkammern aus mächtigen Findlingen in einem Wanderdünental nördlich der Vogelkoje Meerum. Diese vorgeschichtliche Stätte wurde 1952 freigeweht und durch das Landesamt für Vor- und Frühgeschichte unter Leitung von Professor Kersten ausgegraben und untersucht. Zu den bemerkenswerten Funden gehört ein Schädel, der eine “Trepanation”, eine Operationsöffnung, aufwies. Allerdings hat der arme Steinzeitmensch diesen offenbaren Versuch, ihn von einer Krankheit zu heilen, nicht überlebt.
In den nachfolgenden Jahrtausenden wurde die Inselgeest, die saaleeiszeitliche Altmoräne, für Landwirtschaft und Viehhaltung genutzt, und die Steinzeit wandelte sich zur Bronze- und schließlich zur Eisenzeit. Für diese letzte Zeit aus den ersten Jahrhunderten der Zeitrechnung wurde in einem Dünental nördlich von Meerum ein reetgedeckter Ständerbau originalgetreu nachgebaut.
Aber dann geschah ein Naturereignis, das bis heute prägend für das Landschaftsbild von Amrum ist: aus der Nordsee wurden gewaltige Sandmassen gegen die Inselküste getragen, und es bildeten sich Dünen, die schließlich die Hälfte der saaleeiszeitlichen Geest bedeckten und gleichzeitig im Norden (Nordspitze) und im Süden (Wittdün) dem Inselblock angelagert wurden. Beide Nehrungen, in deren Lee sich Marschen ablagerten, sind aber erst nach Beginn der Zeitrechnung entstanden. Und kein studierter Geologe und keine Wissenschaft konnten bis heute die Herkunft dieser Sandmassen für die Dünen und Nehrungen im Süden und Norden erklären. Die Dünen sollen erst nach dem 13./14. Jahrhundert entstanden sein. Darauf weisen Ackerbeete, Pflugfurchen und Siedlungsspuren in den Dünen hin, denn es ist unwahrscheinlich, dass sich noch menschliche Tätigkeit vollzog, als die Landschaft unter den Dünen begraben wurde. Dünensand wurde natürlich als feiner Belag durch Stürme über die ganze Inselgeest getragen – auch heute noch. Deshalb ist die Amrumer Geest sehr viel unfruchtbarer als jene auf Föhr oder auf dem Festland.
Vor Jahrhunderten ist der Amrumer Geestblock natürlich um einiges größer gewesen als heute. Darauf weisen Findlinge und Gerölle seewärts der Inselküste hin, die durch Sturmfluten und den nacheiszeitlichen Anstieg des Meeresspiegels zurückgesetzt wurde. Allerdings halten sich die Amrumer Landverluste – verglichen mit jenen auf Sylt – in Grenzen.
Georg Quedens