“Kaiserhof” – vom Luxushotel zum Schullandheim


 

Die Lage und die Aussicht sind einmalig. Hoch über dem Wittdüner Strand und Kniep, mit Blick über die Halligen bis Pellworm und südwärts fast bis Helgoland, thront ein gewaltiges Gebäude, das heute das älteste des Ortes ist, noch unmittelbar aus den Gründungsjahren des Seebades auf der Amrumer Südspitze stammend, und das, als es in den Jahren 1892/93 errichtet wurde, auch einen stolzen Namen trug – “Kaiserhof”.
1889 war Wittdün mit einem ersten Hotel aus Fertigteilen von Wellblech gegründet worden – durch den Amrumer Kapitän und Strandvogt Volkert Martin Quedens. Aber dieser überließ dann schon im Jahre 1892 den weiteren Aufbau des Seebades einem Hotelier und Fuhrunternehmer aus Tondern, Heinrich Andresen. Und dieser gründete zusammen mit dem Direktor der Tonderner Bank, Fast, eine Aktiengesellschaft, die in großem Stile auf Wittdün zu bauen begann. Zunächst wurde auf der äußersten Südspitze das “Kurhaus” errichtet, “das nobelste aller Häuser an der deutschen Nordseeküste”, wie ein Prospekt aus jenen Tagen verrät. Und das war nicht übertrieben. “Luftige Zimmer” mit Ausblick über Nordsee und Wattenmeer, feudaler Speisesaal, Tanzsaal mit Theaterbühne und Billardzimmern, alles, was eine verwöhnte wilhelminische Badegesellschaft von einem Seebad erwartete, war im Hause vorhanden.
Unmittelbar darauf wurde dann der sehr ähnliche, aber etwas kleinere “Kaiserhof” erbaut. Und man darf mit Sicherheit annehmen, dass auch bei diesem für Amrumer Verhältnisse monumentalen Bauwerk die Schiffe mit dem Baumaterial bei Flutzeit am Strande anlandeten und bei Ebbe entladen wurden, und dann alles, jeder Ziegelstein, von Hand auf die Düne hochgetragen wurde. Und das alles bei einer Bauzeit von unter einem halben Jahr (man vergleiche die heutigen technischen Ausrüstungen und die nicht enden wollenden Bauzeiten am Berliner Flughafen, an der Elbphilharmonie in Hamburg oder dem Stuttgarter Bahnhof 21)!

Der “Kaiserhof” in den 1890er Jahren, links daneben die “Nordseehallen” des Hotels “Germania”, heute Jugendherberge

Die “Aktiengesellschaft Seebad Wittdün-Amrum” (AGWA) und ihr Direktor Heinrich Andresen betrieben ihre Häuser aber nicht selbst, sondern verpachteten diese durch öffentliche Bekanntmachung an Gastronomen. Und damit hatte die AGWA nicht immer Glück. Denn sowohl aus dem “Kurhaus” als auch aus dem “Kaiserhof” liefen die Pachtzahlungen nur zögernd oder gar nicht ein. Was auch kein Wunder war. Denn die Saison dauerte damals kaum zwei Monate, und danach standen die Zimmer fast ein Dreivierteljahr leer, und zwar vollständig. Denn außerhalb der Sommerferienzeit war nicht mit dem Besuch von Badepublikum zu rechnen. Ein dickes Buch mit Briefdurchschriften der AGWA-Direktion beweist die Nöte mit den Hotelpächtern. Im Jahre 1900 wurde sogar der Verzehr der Gäste durch den plötzlich hereintretenden Wyker Gerichtsvollzieher Wiese gepfändet – für den Hotelbetreiber kein gutes Renommée.
Einer dieser Pächter war ein gewisser Gustav Lubahn, und zu seiner Zeit ging es im “Kaiserhof” hoch her und entfaltete sich ein feudales Gesellschaftsleben, wie es in den Seebädern mit Rang (und dazu gehörte Wittdün!) üblich war. Die Gästelisten wiesen Herrschaften hohen und allerhöchsten Ranges auf, die sich im Speisesaal zum Table d’hôte oder zur Reunion versammelten. Im “Kaiserhof” wurden Delikatessen auf einem neuzeitlich ausgestatteten Buffet mit russischem Kaviar und geräuchertem Rheinlachs angeboten. Fast täglich gab es frischen Hummer von Helgoland, der vermutlich von dem aus Hamburg via Helgoland ankommenden Bäderdampfer der “Nordsee-Linie” mitgebracht wurde. Und natürlich spielte jeden Tag auch ein Solistenquartett auf.
Ja, in Wittdün ging es hoch her! Vielleicht zu hoch, angesichts der viel zu kurzen Saison. Und so war es auch kein Wunder, dass die AGWA (nach dem Erwerb des Kurhauses Satteldüne nun “AG Seebäder Wittdün und Satteldüne”) im Jahre 1907 zahlungsunfähig war und Konkurs beantragen musste. Heinrich Andresen verlor sein gesamtes Vermögen, und große Verluste erlitten Kurdirektor Robert Wolff und der Gründer Wittdüns, Volkert Martin Quedens, der einen Teil der Verkaufssumme für sein Hotel und andere Einrichtungen an die AGWA in der Gesellschaft hatte stehen lassen. Groß waren auch die Verluste der Tonderner Bank und vieler Bauern in der dortigen Umgebung, die Aktien der AGWA erworben hatten.

Neuer Besitzer – eine Hamburger Bank
Der Konkurs der Wittdüner Aktiengesellschaft bedingte zwangsläufig einen Besitzwechsel von “Kurhaus” und “Kaiserhof”. Zunächst bildete sich in Flensburg eine Gesellschaft “Nordseebäder Amrum GmbH”, hinter der Heinrich Andresen stand. Dieser aber hatte kein Geld, und schon zwei Jahre später ging auch diese Gesellschaft, die die Wittdüner Hotels und andere Einrichtungen übernommen hatte, konkurs. Nun wurden Banken, die für den Aufbau von Wittdün Darlehen gegeben hatten, unfreiwillige Besitzer eines Seebades. Der “Kaiserhof” hatte mit 38 “Logierzimmern” einen Wert von 127.000 Mark, damals eine gewaltige Summe. Haupteigentümer wurde die Hamburger Gewerbebank mit ihrer ersten Hypothek. Der Betrieb lief dann fast unversehrt weiter, weil die wilhelminisch-bürgerliche Gesellschaft des Kaiserreiches und damit das Badepublikum für Wittdün präsent blieb.
Aber der 1. Weltkrieg (1914-1918) machte dem Höhenflug des Seebades Wittdün ein Ende. Die militärverliebte bürgerliche Gesellschaft verschwand, und 1920 drohte eine Abstimmung im deutsch-dänischen Grenzraum über die zukünftige staatliche Zugehörigkeit. Amrum hatte fast 1000 Jahre zum Königreich Dänemark gehört, und ein entsprechendes Ergebnis schien möglich. Dies dachten auch kapitalkräftige Dänen, die fast alle großen Hotels und sonstigen Einrichtungen kauften, um gleich nach der Abstimmung ein komplettes Seebad im Besitz zu haben. Aber die Abstimmung ergab ein Votum von 86% für Deutschland, und die Dänen stellten ihren Besitz wieder zum Verkauf. Und nun schlug die Stunde des Hoteliers Carl Quedens (Sohn des Gründers von Wittdün). Er kaufte von den aus Kopenhagen und Flensburg angereisten Maklern Lassen und Egehage die Hotels “Viktoria”, “Vierjahreszeiten” und den “Kaiserhof”, verkaufte letzteren aber am 15. November an die Stadt Berlin-Wilmersdorf.

Berliner auf Amrum
Jetzt war Berlin auf Amrum. Namhafte Wilmerdorfer Bürger, darunter der Bürgermeister Habermann, hatten 1920 einen Verein für Erholungs- und Freistätten gegründet, um erholungsbedürftigen Kindern einkommensschwacher Eltern einen Erholungsaufenthalt zu ermöglichen. Zu diesem Zweck wurde das große Hotel in Wittdün erworben und mittels Spenden und Darlehen bezahlt. Nach entsprechenden Umbauten erfolgte am 1. April 1925 die Eröffnung als Kindererholungsheim für Sommerkuren mit jeweils 130 Berliner Kindern. Der 2. Weltkrieg (1939-1945) unterbrach die Arbeit der Genossenschaft, und das Heim wurde im Krieg durch die Wehrmacht und nach dem Krieg von der britischen Militärregierung beschlagnahmt, um Flüchtlinge und Heimatvertriebene unterzubringen. Als dann im Jahre 1950 die Flüchtlinge umgesiedelt und das Heim wieder freigegeben wurde, waren zunächst umfangreiche Renovierungen nötig, ehe das “Nordseeheim” ab Mai 1950 die Arbeit für die Kindererholung wieder aufnehmen konnte. Nach dem Einbau einer Zentralheizung 1955 konnten die Kuren dann auch – bis auf zwei Monate – auf das Winterhalbjahr ausgedehnt werden.

Das “Berlin-Wilmersdorfer Nordseeheim”, heute das älteste Haus in Wittdün

Die Mangeljahre im und nach dem Weltkrieg hatten der Kindererholung eine hohe Priorität vermittelt und überall, vor allem in Wittdün, entstanden Kindererholungsheime. Aber Anfang der 1970er Jahre hatte sich die Situation wieder verändert, und es folgte auf allen Nordseeinseln ein fast dramatisches “Kinderheimsterben”. Etliche Heime fanden dann ihren Fortbestand als “Landschulheime” bzw. Schullandheime mit der Aufnahme von Schulklassen mit jeweils zwei- bis dreiwöchigem Aufenthalt. So auch das “Berlin-Wilmersdorfer Nordseeheim” ab 1976. Schulklassen aus Berlin, bald aber auch aus anderen Teilen der Bundesrepublik, bevölkerten nun das Heim. Auf einem östlich gelegenen Grundstück wurde 1969/70 ein geräumiges Personalhaus gebaut, durch einen Tunnel mit dem “Nordseeheim” verbunden und von den Sozialämtern Wilmersdorf und Zehlendorf sowie von der Arbeiterwohlfahrt des Taunuskreises auch für einen dreiwöchigen Erholungsurlaub von Senioren genutzt.

Ulrich Schiweck – Abschied von Amrum
Lang ist die Reihe der Heimleiter/-innen, von denen etliche nur kurze Zeit, andere länger blieben. Aus der jüngsten Zeit machte sich vor allem Liesel Siebrand einen Namen, die von 1976 bis 1995 das “Nordseeheim” betreute und dann mit eigenem Wohnhaus auf Amrum blieb.

Ulrich Schieweck und Kirsten Hansen

Kürzlich musste leider Heimleiter Ulrich Schiweck aus gesundheitlichen Gründen die Insel verlassen. Geboren am 30. September 1958 in Vreden (Westfalen), wuchs er in Hamburg auf und ging 1977 für 12 Jahre zur Marine. Es folgten dann eine kaufmännische Ausbildung und für weitere 12 Jahre die Leitung eines Pflegeheimes in Büchen (Kreis Herzogtum Lauenburg) sowie eine zehnjährige Tätigkeit in der Softwareentwicklung für Alten- und Pflegeheime, ehe sich auf Amrum im Berlin-Wilmerdorfer Nordseeheim im Jahre 2015 eine Anstellung als Heimleiter anbot. “Es war eine schöne, aber auch herausfordernde Zeit”, erinnert sich Ulrich Schiweck. Jeweils bis zu 180 Schüler und 15 Lehrer bewohnten das Heim, darunter ein hoher Anteil an muslimischen Kindern, für die ein besonderes Essen – “halal” und frei von Schweinefleisch – zubereitet werden musste.

Im Personalhaus waren bis zu 20 Senioren zu betreuen – und im Garten davor ein Austernfischerpaar, das Jahr um Jahr bis 2018 in einem großen Blumenkübel brütete, aber trotz Aufsicht den Nachwuchs fast immer an Krähen und Möwen verlor. Gleichzeit war Ulrich Schiweck auch im Seenotrettungsdienst engagiert, sowohl in Cuxhaven und auf Nordstrand als schließlich auch auf der DGzRS-Station Seezeichenhafen Amrum. Schweren Herzens erfolgte nun, zusammen mit seiner Lebensgefährtin Kisten Hansen (dem “guten Geist des Hauses”), der Abschied von Amrum.
2020 Georg Quedens Urheberrecht beim Verfasser

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