Station Nord – ein Gebäude am Norddorfer Strand


 

Am Strandübergang zum Norddorfer Kniepsand bzw. Badestrand steht ein Gebäude, dessen Zweck von außen nur teilweise erkennbar ist. Es dient als Wohnung für die Rettungsschwimmer während der Saison am Norddorfer Strand, enthält Sanitäranlagen und wurde zeitweilig als Liegehalle verwendet, die später in einen Raum für Kinder umgestaltet wurde. Im Untergeschoss befindet sich ausserdem ein Lagerplatz für die Ausstattung des Badestrandes.

Dieses Gebäude hat aber eine bewegte Geschichte. Es war ursprünglich eine Station der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS), aus roten Ziegelsteinen errichtet im Jahre 1888 für die Stationierung des Ruderrettungsbootes “Theodor Preußer”. Wegen der vielen und oft dramatischen Strandungsfälle hatte sich die DGzRS gleich nach der Gründung 1865 an der deutschen Nord- und Ostsee und besonders auch auf Amrum mit Rettungsstationen engagiert. Die erste Station war an der Amrumer Westküste, im Schutze des damaligen “Kniephafens”, angelegt worden. Der Kniephafen war ein umfangreicher Naturhafen, der dadurch entstanden war, dass sich ein langer Nehrungsarm parallel zur Inselküste gebildet hatte. Nur im Südwesten, etwa ab Höhe Satteldüne bis über Wriakhörn hinaus, lag eine große Sandfläche in direkter Verbindung mit der Inselküste.

Auf der Flucht vor der Versandung

Die erste DGzRS-Station mit Ruderrettungsboot wurde dort errichtet, wo heute die Strandhalle (“Strandpirat”) von Nebel steht. Aber von Südwesten her wanderten gewaltige Sandmassen Richtung Nordost, und es dauerte kaum zwei Jahre, und der Kniephafen begann zu versanden. Schon im Jahr 1867 musste die Rettungsstation einen guten Kilometer nach Norden verlegt werden. Aber auch hier hatte sie keinen Bestand. Unheimlich rasch wanderte von Südwesten der Kniep heran und legte die Station trocken, so dass schon 1876 eine erneute Verlegung nach Norden erforderlich wurde. Diese Station lag, von Norddorf aus gesehen, am Ende eines langen Dünen-Strandweges namens “Batjes Stieg” und wurde mit roten Ziegelsteinen aufgemauert, wofür die DGzRS nicht weniger als 5000 Mark aufwendete – eine damals kaum vorstellbare Summe. Aber diese Station erhielt auch eine Herdstelle, weil hier, zu weit entfernt von Norddorf, zuweilen halbtote Schiffbrüchige zu versorgen waren.

Aber auch “Batjes Stieg” hatte keinen Bestand. Der Kniephafen versandete durch die dynamische Sandzufuhr von Südwesten weiter, und es wurde zunehmend problematisch, das Rettungsboot zu Wasser zu bringen und über die Öffnung im Norden in die Nordsee zu den Strandungsstellen zu gelangen. Wieder stand eine Verlagerung der Rettungsstation an, und diese erfolgte 1888 an den Strandübergang von Norddorf. Dazu gibt das Gemeinderatsprotokoll der Gemeinde Amrum die folgende Auskunft: “Am 16. August 1888 beriet die Vertretung über den Antrag der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger, die Rettungsstation Kniephafen wegen der Versandung weiter nördlich nach Süder-Risum zu verlegen, mithin den Bootsschuppen auf Gemeindegrund zu erbauen. Der Antrag wurde gegen eine jährliche Vergütung von 3 Mark einstimmig genehmigt, namentlich aus Rücksicht darauf, um dem humanen Bestreben der Rettungsgesellschaft keine Hindernisse in den Weg zu legen”.

Damit stand der Grundsteinlegung der vierten(!) Rettungsstation binnen nur 20 Jahren am Kniephafen an der Amrumer Westküste nichts mehr im Wege.

Die Station NORD

Hier wurde nun ein gleichartiges Gebäude wie bei “Batjes Stieg” aufgebaut, das älteren Insulanern noch aufs genaueste bekannt ist, bestand es doch in seiner ursprünglichen Form bis in die 1950/60er Jahre hinein. Und noch bis über das Kriegsende 1945 hinweg stand in der Station Nord das im Jahre 1901 stationierte Ruderrettungsboot “Emile Robin”, benannt nach dem großzügigen französischen Förderer des Rettungswerkes.

Die Station Nord mit Ablaufslip für das Ruderrettungsboot

Bis dahin aber hatte die Station dramatische und aufregende Ereignisse erlebt. Am 30. Oktober 1890 stach von hier aus das Rettungsboot “Theodor Preußer” in See, gerufen zu einem Strandungsfall bei Wenningstedt auf Sylt, rund 40 Kilometer entfernt. Aber das Norddorfer Rettungsboot kenterte in einer Grundsee nahe Hörnum, und zwei Rettungsmänner verloren dabei ihr Leben – unter dem Titel “Ein Amrumer Seemannsgrab in der Ferne” ausführlich in “Amrum News” vom 04.08.2020 beschrieben.

Die Station Nord mit Besatzung: C. Jannen, P. Peters, M. Beissig, G. Peters, H. Karlisch, J. Schau. Vorne: E. Peters, J. Schudt

Amrum war mit den Hotels auf Wittdün und an der Satteldüne bei Nebel sowie mit den Seehospizen und dem Hotel Hüttmann seit 1890 Seebad geworden, und zu den Besuchern gehörte auch hoheitliche Prominenz. Am 11. Juli 1892 erschien der Bruder des letzten deutschen Kaisers, Prinz Heinrich, mit Gefolge auf der Station und verursachte die allergrößte Aufregung, wurden Adel und Militär seinerzeit doch geradezu vergöttert. Ein Bericht an die DGzRS in Bremen verrät, dass Prinz Heinrich mit Gefolge den Einsatz des Rettungsbootes erleben wollte, beim Einholen und Aufhieben des Bootes aber der volkstümliche Prinz höchstselbst und barfuß das Gangspill bediente – für die Amrumer und die zahlreich anwesenden Kurgäste ein vergessliches Erlebnis!

Überhaupt fehlte es an der Station Nord nicht an Publikum. Hier befand sich nämlich der Norddorfer Badestrand, und bei den zahlreichen Fotos, die für Postkartenzwecke entstanden, kam auch die Station des öfteren auf das Bild. Einsätze und Übungsfahrten des Rettungsbootes riefen jedes Mal ein großes Publikum herbei, darunter aus den Seehospizen auch zahlreiche Schwestern in ihrer Tracht.

Übungseinsatz. Unter den Zuschauern Diakonissen des Seehsopizes

Die Sandzufuhr von Süden und die Versandung des Kniephafens machten aber auch bei der Station Nord nicht halt. Schon bald nach der Jahrhunderwende (1900) musste eine mächtige Slipanlage errichtet werden, um eine noch schiffbare Wassertiefe im Kniephafen zu erreichen. Aber dann half auch diese nicht mehr, und nun musste das Rettungsboot mit seinen mit Eisenplatten (gegen das Einsinken in weichen Sandzonen) belegten Rädern von einem Pferdegespann über den trockenen Kniepsand in die Nordsee gezogen werden. Die Bauern in Norddorf (Georg Köster, Boy Peters, Heinrich Schult und Ermin Martinen) waren verpflichtet, reihum ihre Pferde “scharf” zu halten, d. h. mit Hufeisen beschlagen, um auch im Winter bei Eis und Schnee den Transport des Rettungsbootes zur Nordsee zu sichern.

Als am 13. November 1943 ein amerikanischer B24-Bomber von deutschen Jagdflugzeugen abgeschossen wurde und in Höhe des Quermarkenfeuers in unmittelbarer Strandnähe abstürzte, wurden sieben Leichen geborgen und vom Strandvogt Boy Peters in die Station Nord gebracht und dort mit Persenningplanen abgedeckt. Aber die Füße mit den schwarzen Fliegerstiefeln schauten heraus, und wir Dorfkinder gruselten uns ganz dolle, als wir durch die kleinen Fenster des Bootsschuppens schauten. Die Dorftischler Karl Flor, Friedrich Flor und Hinrich Bork und in Nebel Julius Bohn hatten einige Tage tüchtig zu tun, um die Särge anzufertigen. Und die Beerdigung erfolgte nach den Regeln ritterlicher Kriegsführung mit Ansprache und einer Ehrensalve aus den Karabinern des Zollgrenzschutzes. Manchmal kam sogar eine Abordnung von Sylt – in einer Zeit ansonsten brutaler Kriegsführung. Leider ist die Beerdigung im Sterberegister der St. Clemens-Gemeinde nicht vermerkt. Ab Ende 1942 werden sowohl die eigenen Gefallenen als auch die häufig antreibenden feindlichen Mariner und Flieger verschwiegen. Weil es der Toten zuviel wurde? Die alliierten Kriegstoten, begraben auf dem Neuen, 1938 eingerichteten Friedhof nördlich von Nebel, wurden nach Kriegsende exhumiert und auf Zentralfriedhöfen für Gefallene bestattet.

Das “Badekabinenhaus”

Nach Kriegsende, im Frühjahr 1945, hatte das Ruderrettungsboot ausgedient, und die Station Nord war als Rettungsstation bedeutungslos geworden. Die “Emile Robin” wurde an den Norddorfer Schiffer Victor Quedens verkauft und diente als “Möwe” zunächst zum Seemoosfischen, und dann, als der Fremdenverkehr ab Ende der 1940er Jahre wieder in Gang kam, als Ausflugsschiff mit Kurgästen. Die neue DGzRS-Station war schon seit 1916 der Seezeichenhafen, mit Motorrettungsbooten ausgestattet.

Von der Station Nord zum Badekabinenhaus

Der Norddorfer Badestrand konzentrierte sich bei Neubeginn des Fremdenverkehres auf “Ban Horn”, wo die Baracken des Arbeitsdienstes vom Deichbau 1935 als Badekabinenhaus hin versetzt worden waren. Aber dann veränderten sich durch die anhaltende Nordwärtswanderung des Kniepsandes die Strandverhältnisse, und der Badestrand wurde wieder vor dem Norddorfer Strandübergang eingerichtet. Hier lag ja auch der nun leere Schuppen der DGzRS, der als Badekabinenhaus und mit Sanitäranlagen durch die Gemeinde- und Kurverwaltung neugestaltet wurde. Und wo über ein halbes Jahrhundert lang ein Ruderrettungsboot gestanden hatte, wurden nun Reihen von Kabinen eingebaut. Denn es war damals üblich, dass die Kurgäste des Dorfes mit allerhand Bagage zum Strand marschierten, diese aber während des Badens in eine Kabine einschlossen.

Später wurde das Gebäude erweitert und aufgestockt, so dass die ursprüngliche Station nicht mehr erkennbar ist. Aber Fundamente und Fussboden dürften sich noch im Gebäude befinden, das unverändert “Badekabinenhaus” genannt wird und heute etlichen Zwecken dient. “Im Haus wird jeder Quadratmeter genutzt”, sagt Bürgermeister Christoph Decker.

Seit über 130 Jahren steht hier nun die “Station Nord” und trotzt Wind und Wetter. Und vergeblich versucht der “Blanke Hans”, das Gebäude zu beerdigen. Bei jedem Sturm wehen riesige Sandmassen vom Strand heran, aber ebenso hartnäckig werden diese zu hohen Kosten von der Gemeinde wieder weggebaggert – gilt es doch, aus der benachbarten Strandhalle (“Strand 33”) den Blick auf Badestrand, Kniepsand und Hörnum-Sylt zu bewahren. Die Natur aber möchte zu gerne einen hohen, mit Strandhafer bewachsenen Dünenwall vor den Gebäuden Strandhalle und Badekabinenhaus aufbauen. Wenn man sie ließe!

2020 Georg Quedens     Urheberrecht beim Verfasser

Über Georg Quedens

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